Interview Friedrich Merz: „Wir müssen auf die systemischen Herausforderungen von China Antworten finden“

Friedrich Merz: „Wir müssen auf die systemischen Herausforderungen von China Antworten finden“
Im Interview spricht Friedrich Merz zu aktuellen politischen Themen Klartext (Bild: CDU)

Seit heute findet in Pforzheim eine Regionalkonferenz der CDU statt. Zu wichtigen Themen führte das Wochenblatt im Vorfeld ein Interview mit dem Bundesvorsitzenden Friedrich Merz.

Interview mit Friedrich Merz

Kanzler Scholz und die Ukraine

Herr Merz, Kanzler Scholz gibt nicht nur bei der Unterstützung der Ukraine das Bild eines Zauderers ab. Können Sie die von ihm versprochene „Führung“ (wer Führung bestellt …) erkennen?

„Nein, ich verstehe die Ukraine-Politik von Olaf Scholz bis heute nicht, auch nach seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz nicht. Er lässt da viele Dinge im Unklaren und scheitert mit seiner Kommunikation. Ich bin der Meinung, unsere Unterstützung der Ukraine muss zum Ziel haben, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Und zwar im Sinne von: Sie stellt die uneingeschränkte territoriale Integrität des Landes wieder her. Putins imperialen Ambitionen muss Einhalt geboten werden, das liegt im deutschen und europäischen Interesse.“

Energetische Sanierung von 1 Million Wohneinheiten

Auch bei energetischen Sanierungen hinkt die Regierung den notwendigen Zielen weit hinterher. Welche Maßnahmen müssten ergriffen werden, damit 1 Million Wohneinheiten jährlich saniert werden können?

Wichtig für Bauherren und Unternehmen ist vor allem Planungssicherheit. Das hat Minister Habeck Ende 2021 mit der plötzlichen und unerwarteten Einstellung des wichtigsten KfW-Förderprogramms massiv und langfristig erschüttert. Auch das weitere Vorgehen war chaotisch. Programme kurzzeitig zu öffnen und dann wieder zu schließen, schafft kein Vertrauen bei Bürgern und Investoren. Kein Wunder, dass die Menschen bei Sanierungen zögern, wenn sie sich auf versprochene Förderprogramme nicht verlassen können. Und das in einer Situation, in der die Preise am Bau und auch für Sanierungen stark steigen und Handwerker kaum freie Kapazitäten haben. Damit Sanierungen endlich in Schwung kommen, brauchen wir die richtige Mischung aus Information und Beratung, verlässlichen Förderprogrammen und echten Steuervorteilen für erfolgreiche Sanierungen. Dabei sollte entscheidend sein, ob wirtschaftlich effizient CO2 eingespart wird und nicht, ob bestimmte KfW-Kennzahlen erreicht werden.

Gesundheitsversorgung in der Bundesrepublik

Die Gesundheitsversorgung der Republik wurde gegen die Wand gefahren. (Ein großer Mangel bei Haus- und Fachärzten, ein noch größerer Mangel an Pflegekräften, fehlende Arzneimittel). Was müsste getan werden, um eine tiefgreifende Verbesserung der Versorgungslage zu erreichen?

„Der Ärztemangel auf dem Land und die Konzentration in urbanen Regionen ist ein großes Problem, hier sind auch die Länder gefordert, wenn es etwa um die Zahl der Medizinstudienplätze geht. Pflegekräfte fehlen bereits jetzt und viele von ihnen werden in den kommenden Jahren zusätzlich in Rente gehen. Wir brauchen einen Maßnahmenmix, um neben der Gewinnung von Berufsrückkehrern und ausländischen Pflegekräften auch die Ausbildungszahlen in Deutschland weiter zu erhöhen. Dabei geht es neben einer ordentlichen Bezahlung auch um gesellschaftliche Anerkennung. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für die pharmazeutische Industrie mit Produktionsstätten in Deutschland und Europa. Das hat nicht zuletzt auch die Corona-Pandemie gezeigt. Pharmazieunternehmen wird es immer schwerer gemacht in Deutschland zu produzieren, dabei war unser Land früher die Apotheke der Welt. Die Ampel tut viel zu wenig, um in der akuten Krise für konkrete Abhilfe zu sorgen. Als Union haben wir als Sofortmaßnahme einen Bund-Länder-Gipfel zu Medikamentenengpässen gefordert. Hersteller, Apotheken, Großhändler, Krankenkassen und die Politik müssen endlich an einen Tisch.“

Wie bekommen wir den Fachkräftemangel in den Griff?

In fast allen Wirtschaftsbereichen fehlen Fachkräfte. Warum ist das so und welche Maßnahmen sind notwendig, um die einhergehende Schwächung des Wirtschaftsstandortes zu beseitigen?

„Der demographische Wandel macht sich zunehmend auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Daher ist es notwendig, Arbeits- und Fachkräftepotentiale zu heben. Wir müssen alles dafür tun, dass junge Menschen eine gute Ausbildung erhalten und unser Bildungssystem nicht ohne Abschluss verlassen. Auch die Steigerung der Frauenerwerbstätigkeit und das Potential älterer Arbeitnehmer müssen wir berücksichtigen. Für unseren Arbeitsmarkt brauchen wir daneben dringend qualifizierte Zuwanderung, aber wir brauchen keine unkontrollierte Einwanderung in unsere Sozialsysteme. Wir müssen deshalb klar unterscheiden: Wen brauchen wir und wer braucht uns? Das Asylrecht gilt, da geben wir Schutz. Das heißt bei Abschiebungen aber auch: Wer kein Anrecht auf Asyl hat, muss gehen. Das Problem ist: Es kommen zu wenig Fachkräfte, die Bundesregierung kümmert sich nicht darum, dass endlich konsequent abgeschoben wird und die Zuwanderung nach Deutschland verläuft weitgehend unkontrolliert. Wenn wir so weitermachen, werden viele Kommunen bald an ihre Belastungsgrenzen kommen, weil Infrastruktur fehlt: Wohnungen, Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Und der Fachkräftemangel bleibt bestehen.“

Warum fehlen in Deutschland so viele Sozialwohungen?

In Deutschland fehlen hunderttausende Sozialwohnungen. Die neue Regierung verfehlt ihr Ziel von jährlich 400000 neuen Wohnungen deutlich. Woran liegt das?

„Das die Ampel-Regierung das wichtige Wohnungsbauziel deutlich verfehlen wird, ist ein baupolitischer Hammer und eine Enttäuschung für viele Menschen auf Wohnungssuche. Bundeskanzler Scholz hat einen weiteren Problemfall im Kabinett: Bundesbauministerin Geywitz. Anstatt die Fehler bei sich selbst zu suchen oder gar Lösungen zu erarbeiten, schiebt sie die baupolitische Misere auf die aktuellen Rahmenbedingungen – aber wer sollte die ändern, wenn nicht die amtierende Bundesregierung? Für das Förderchaos im Wohnungsbau ist die Regierung allein verantwortlich. Bürger, Investoren und Bauunternehmen brauchen endlich Planungssicherheit und bessere Rahmenbedingungen. Für den Bundeskanzler besteht hier dringender Handlungsbedarf.“

Kann Deutschland in Sachen Digitalisierung überhaupt noch mithalten?

In Sachen Digitalisierung hinkt Deutschland der internationalen Spitze meilenweit hinterher. Welcher „Turbo“ muss gezündet werden, um den deutlichen Rückstand aufzuholen?

„Es braucht eine Beschleunigung von Planungsverfahren nicht nur bei Windrädern, sondern auch für den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Wir müssen uns doch die Frage stellen: Wo wollen wir in zehn Jahren stark sein? Pharma, Biotechnologie, Umwelttechnologie oder Künstliche Intelligenz, die Verknüpfung von Digitalisierung und Dekarbonisierung – überall liegen Möglichkeiten für neue Wertschöpfung am Wirtschaftsstandort Deutschland. Soziale Marktwirtschaft und der Wettbewerb bringen die besten Innovationen hervor. Nur so können wir unseren Wohlstand erhalten. Neben der notwendigen Infrastruktur müssen aber zum Beispiel auch bereits von der Vorgängerregierung aufgesetzte Prozesse wie der Onlinezugang von Behördendienstleistungen und der Umgang mit Daten vorangebracht werden.“

Wie kann unsere Politik die Bürger im Bezug auf die Inflation und hohe Energiepreise entlasten?

Hohe Energiepreise und die Inflation machen den Bürgern zu schaffen. Wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten bei der Wirtschaftspolitik?

Deutschlands Energieversorgung ist in diesem Winter gesichert, auch weil viele Unternehmen ihre Produktion eingestellt und runtergefahren haben. Im Jahr 2022 lag der Anteil der Industrieproduktion an der gesamten wirtschaftlichen Leistung in Deutschland erstmals unter 20 %. Der Winter ist außerdem zum Glück bis jetzt so mild gewesen, dass der Gasverbrauch nicht so hoch war wie befürchtet. Das sind günstige Umstände, die uns geholfen haben. Aber die Wirtschaft wächst nicht und die Preise sind gestiegen. Das ist keine besonders gute Lage, die kann man weder schönreden noch schönrechnen. Die entscheidende Frage ist aber: Wie kommen wir wirtschaftlich aus dieser Situation, auch aus dieser Inflation wieder heraus? Wo steht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft in, sagen wir mal, zwei bis drei Jahren? Die Bundesregierung hätte von Anfang an das Energieangebot stärker ausweiten müssen. Dann wäre beim Strom der Preis nicht so in die Höhe geschossen. Und ich bleibe dabei, dass es richtig wäre, die Kernkraftwerke in Deutschland noch mindestens bis Ende 2024 laufen zu lassen. Die werden jetzt aus rein ideologischen Gründen am 15. April 2023 abgeschaltet. Zehn Millionen Haushalte werden dann vom Netz der Kernkraft genommen und müssen anderweitig versorgt werden. Das ist keine Kleinigkeit.“

Die Rente und das Umlagesystem: Ist die gesicherte Rente garantiert?

Von der Rente wissen alle, dass das bisherige Umlagesystem an seine Grenzen stößt. Welche Maßnahmen sind notwendig, um auch in der Zukunft eine gesicherte Rente zu garantieren?

In der aktuellen Krise darf auch nicht vergessen werden, dass in den sozialen Sicherungssystemen ein großes Problem auf uns zurollt, vor allem in der Altersversorgung. Bereits jetzt fließt jeder vierte Euro des Bundeshaushalts in die Rente. 2023 soll der jährliche Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zur Rentenkasse bei 112,4 Milliarden Euro liegen, 2026 werden es schon 128,8 Milliarden Euro sein. Allein aus den Beiträgen der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse werden wir in einer älter werdenden Gesellschaft die soziale Absicherung nicht finanzieren können. Im Grundsatzprogrammprozess der CDU werden wir Wege für einen neuen Generationenvertrag aufzeigen.“

Fehler in der Außenpolitik. Welche gefahren bestehen?

In der Russland-Politik wurden in den letzten Jahren Fehler gemacht. Besteht nicht die Gefahr, dass sich dies bei den Beziehungen zu China wiederholt?

„Deutschland darf nicht erneut abhängig von einem autokratischen Staat werden. Wir müssen im wirtschaftlichen Verhältnis zu China auf strikter Gegenseitigkeit bestehen: Das, was wir chinesischen Unternehmen in Europa erlauben, muss umgekehrt auch europäischen Unternehmen in China erlaubt sein. Zurzeit dürfen europäische Unternehmen in China nicht das tun, was wir chinesischen Unternehmen in Europa einräumen. Dieses Ungleichgewicht steht zu Recht auf dem Prüfstand. Wir werden uns in den nächsten Jahren nicht vollständig von China entkoppeln können, aber bestehende strategische Abhängigkeiten müssen wir reduzieren und kritische Infrastruktur und Industrien schützen, sowie Lieferketten diversifizieren. Das empfehle ich allen Unternehmen und das sollte Deutschland insgesamt tun. Hier gibt es aber Unstimmigkeiten in der Bundesregierung, das Kanzleramt steht auf der Bremse wie am Beispiel des Hamburger Hafens deutlich wurde. Man möchte da einige harte Realitäten im Wettbewerb mit China nicht wahrhaben und an alten außenpolitischen Glaubenssätzen des „Wandel durch Handel“ festhalten. Trotz vielfacher Ankündigung, liegen weder die Nationale Sicherheitsstrategie noch eine China-Strategie der Bundesregierung vor. Dabei müssen wir jetzt dringend eine Antwort finden auf die systemischen Herausforderungen, die von Seiten Chinas an uns und Europa herangetragen werden.“

Schafft es die CDU/CSU bei der nächsten Wahl wieder in den Entscheiderkreis?

Viele Menschen wollten nach 16 Jahren Merkel eine Veränderung in der Regierung. Was macht Sie hoffnungsfroh, dass es der CDU/CSU gelingt, bei der nächsten Wahl wieder die Regierungsgeschäfte zu übernehmen?

„Spätestens nach der verlorenen Bundestagswahl 2021 war klar: Wir müssen uns als Partei erneuern. Auf diesem Weg sind wir bereits ein großes Stück vorangekommen. Für mich war im Jahr 2022 wichtig, die Handlungsfähigkeit der Opposition im Deutschen Bundestag herzustellen. Das ist gelungen, unsere Abgeordneten prägen die Debatten im Parlament. Auch in den Umfragen stehen wir stabil da. 28 Prozent sind für das erste Jahr okay, aber das reicht noch nicht. Ich möchte, dass wir stabil über 30 Prozent liegen. Vor allen Dingen müssen wir so stark werden, dass die regierende Koalition im Deutschen Bundestag keine Mehrheit mehr hat. Diese Regierung gibt uns täglich Anlass zu Kritik. Wir müssen jetzt aber noch mehr eigene Konzepte und Ideen entwerfen. Da sind wir auf einem guten Weg, aber dieser Weg braucht noch etwas Zeit. 2023 werden wir uns schwerpunktmäßig den Themen und eigenen Lösungsvorschlägen zuwenden. Das vierte Grundsatzprogramm in der Geschichte der CDU wird zur Europawahl 2024 vorgestellt. Und ich möchte, dass sich die Union nicht nur in einer Person wiederfindet, sondern dass es eine Reihe von Köpfen gibt, von denen unsere Themen authentisch vertreten werden.“