„Sonst wachen wir auf und leben nicht mehr in einer demokratischen Gesellschaft.“

„Sonst wachen wir auf und leben nicht mehr in einer demokratischen Gesellschaft.“
Die Abgeordneten Prof. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Gerster (SPD) und Josef Rief (CDU) sehen das Erstarken der AfD mit Sorge. (Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka // picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH // picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

Der Höhenflug der AfD in Meinungsumfragen nimmt beängstigende Ausmaße an. Im Bund erreichte die Partei zuletzt 20 Prozent, in Baden-Württemberg 19 Prozent. Mit erst vor wenigen Tagen gewählten Landrat reißt die AfD auch die bisherigen Barrieren für die Besetzung hoher Ämter in den Kommunen ein. Wie konnte es so weit kommen?

Wir fragten bei den Bundestagabgeordneten des Wahlkreises Biberach nach, ab wann sie die Parteien diesen besorgniserregenden Trend ernst nehmen? Zudem wollten wir wissen, ob die Abgeordneten wirklich (wie Kanzler Scholz) daran glauben, dass bei der nächsten Wahl dieser „Spuk“ in sich zusammenfällt und die Partei auf alte (deutlich niedrigere) Ergebnisse zurückfällt? Die Antworten lagen inhaltlich, fast erwartbar, weit auseinander.

Josef Rief (CDU): „Das Zurückdrängen der AfD wird kein Selbstläufer“

Rief fand mahnende seinem Statement: „Natürlich sind Umfragen nur eine Momentaufnahme, und kommende Wahlen werden zeigen, wie die Parteien abschneiden. Unabhängig davon müssen wir an die Ursachen für die aktuellen Werte ran, und hier widerspreche ich dem Bundeskanzler: das wird sicher kein Selbstläufer!

Scholz´ Antwort hat mich schon irritiert. Und wir müssen nicht nur den Osten Deutschlands in den Blick nehmen. Auch bei uns in der Region gibt es nicht wenige, die eine große Skepsis uns gegenüber äußern bei Themen wie Klimawandel, Ukraine-Krieg, Zuwanderung, Sozialstaat, beginnend bereits während der Corona-Pandemie. Zunehmend können es sich Wählerinnen und Wähler, die eigentlich andere Parteien präferieren, vorstellen, auch AfD zu wählen.

Wir von der CDU nehmen dies sehr ernst und stellen uns auf einen langen Weg ein, um Vertrauen in unsere Politik zurückzugewinnen. Wir müssen erklären, dass tragfähige Lösungen für unser Land mit rechten Parolen und vermeintlich einfachen Antworten nicht zu erreichen sind. Ganz persönlich kann ich nicht nachvollziehen, wie man es verantworten kann, die Partei von Höcke und Co. signifikant mit seiner Wahlentscheidung zu stärken.

Dies als „bloßen“ Protest zu bezeichnen ist eine Verniedlichung der Verantwortung, die jeder und jede bei seiner Wahl hat. Die außen- und verteidigungspolitischen Vorstellungen der AfD, ihre Haltung zu NATO und EU, sind verantwortungslos, kosten uns schon jetzt Ansehen im Ausland und gefährden den Wohlstand für breite Bevölkerungsschichten in Deutschland.“

Martin Gerster (SPD): „Die Ampel muss die Bedürfnisse der Bevölkerung besser adressieren“

Der SPD-Abgeordnete Gerster lobt die eigene Regierung, erkennt aber angesichts der vielen Herausforderungen für die Ampel-Regierung noch Kommunikationsprobleme: „Ich bin aktuell sehr viel im Wahlkreis Biberach unterwegs, habe in den letzten Wochen mit vielen Menschen gesprochen. Nicht wenige machen sich Sorgen angesichts der großen Herausforderungen für unser Land und erkennen, dass in wichtigen Bereichen zu lange Stillstand herrschte. Jetzt muss in erhöhtem Tempo viel nachgeholt werden, das sorgt – verbunden mit den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und Inflation – für Unsicherheit.

Die Ampel-Koalition unter Kanzler Olaf Scholz hat unzählige Vorhaben auf den Weg gebracht, um unser Land schneller klimaneutral zu machen, unseren Wirtschaftsstandort zu sichern und zukunftsfähig umzubauen, die Sozialsysteme effektiver und gerechter aufzustellen. Das Gesetz für Fachkräfteeinwanderung ist beschlossen, die überfällige Krankenhausreform bereits angelaufen. All das sind Zukunftsthemen, derer wir uns annehmen – und für die die AfD keine tragfähigen Konzepte anbietet. Stattdessen leugnet sie den Klimawandel, möchte an völlig veralteter und teurer Kernenergie festhalten, sich in die wirtschaftliche Abhängigkeit von Putin begeben, setzt auf Abschottung und Spaltung. Sie ist damit keine Alternative, sondern ein echtes Risiko für unser Land. Ich kann nicht erkennen, dass die Bürgerinnen und Bürger das wirklich wollen. Unabhängig davon sollte die Ampel die Bedürfnisse der Bevölkerung besser adressieren und ihre Vorhaben auch besser kommunizieren. Dann gewinnen wir auch Vertrauen zurück.“

Prof. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen): „Wir müssen die antidemokratischen Forderungen der Rechtsextremen enttarnen“

Reinalter: „Ich kann nicht verstehen, warum sich so viele Leute dazu hinreißen lassen, über die Wahl der AfD nachzudenken. Wer hinschaut, stellt fest, dass rechtsextremes Gedankengut dort zur Tagesordnung gehört. Das zeigt auch die Überwachung der AfD-Jugendorganisation durch den Verfassungsschutz.

Wir konzentrieren uns aufs Regieren. Seit dem Start der Ampelkoalition wurden bereits 170 Gesetze verabschiedet, um Wohlstand und Freiheit für uns alle zu sichern. Wir haben für eine stabile Energieversorgung gesorgt, gehen den Fachkräftemangel an und sorgen mit unseren internationalen Partnern für ein sicheres Europa.

Wir alle müssen seriöse Politik machen und dazu beitragen die antidemokratischen Forderungen der Rechtsextremen zu enttarnen. Sonst wachen wir morgen oder übermorgen auf und leben nicht mehr in einer demokratischen Gesellschaft.“