Vermitteltes Handwerk

Der Pavillon ist vorbereitet für die Landesgartenschau. Stefan Broszeit, Marianne Wurst, Ali B. und Daniel R. freuen sich auf die Eröffnung.
Der Pavillon ist vorbereitet für die Landesgartenschau. Stefan Broszeit, Marianne Wurst, Ali B. und Daniel R. freuen sich auf die Eröffnung. (Bild: Rieke Mitrenga)

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Zwiefalten/Überlingen (zfp) – Im Herzstück der Landesgartenschau Überlingen werden Kunstschaffende ihr Handwerk in einem Pavillon vorstellen. Von gleicher Wertarbeit wie das Präsentierte ist das Mobiliar des Pavillons. Dieses wurde von Patient*innen der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Alb-Neckar des ZfP Südwürttemberg im Zuge der Arbeitstherapie in Zwiefalten gefertigt.

Die gröberen Steine bleiben zwischen den Spitzen der Rechen hängen, mit denen Deniz H. und Daniel R. über den Kies gleiten. Den rechten Kabinenboden des Holzpavillons haben sie bereits von allen großen Gesteinsstücken befreit. Nun bearbeitet jeder von ihnen eine weitere vier Mal zwei Meter große Kabine. Zeitgleich heben Ali B. und Stefan Broszeit eine Bodenplatte vom Hänger und legen sie flach auf den Boden der rechten Kabine. „Die Platte passt genau!“, ruft Ali B. erleichtert. Mit einem Grinsen wischt er sich ein paar Schweißperlen von der Stirn und blickt zwischen frisch gepflanzten Sträuchern hindurch auf den etwa 100 Meter entfernten Bodensee.

Deniz H., Daniel R., Ali B. und Angelina K. sind Patient*innen der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie Alb-Neckar des ZfP Südwürttemberg. Gemeinsam mit Arbeitstherapeut Stefan Broszeit und weiteren Begleitpersonen sind sie mit vollbeladenen Autos und Hängern Richtung Bodensee gesteuert. Ihr Ziel: die Landesgartenschau in Überlingen. Denn heute ist Liefertermin: Neben den Bodenplatten gilt es drei Tische, zehn Hocker und acht Roll-Regale auszuhändigen. An deren Fertigung haben die Patient*innen die letzten drei Monate gearbeitet.

„Heute Morgen war ich echt nervös“, so Angelina K.. „Da hatte sich erst entschieden, ob ich die nächste Ausgangsstufe bekomme.“ Die junge Frau ist erleichtert, dass es geklappt hat. Broszeit erklärt: „Dass die Patienten mit nach Überlingen kommen konnten ist etwas Besonderes.“ Dies hänge mit dem doppelten Auftrag der Klinik zusammen: Besserung und Sicherung. Die Forensische Klinik in Zwiefalten ist im Rahmen des Maßregelvollzugs für die Therapie von Suchtkranken zuständig, die ein Delikt im Rausch begangen haben oder deren Tat auf ihre Sucht zurückzuführen ist. Die Therapie dauert in der Regel zwei Jahre. „Mit den Ausgangsstufen können Therapieerfolge in kleinen Schritten erprobt werden“, so Broszeit.

Im Auftrag des Kunsthandwerks

Alle Bodenplatten liegen in den Kabinen, die Leisten sind mit Schrauben fixiert. Ali B. und Daniel R. stellen einen Tisch vor dem Pavillon ab, der durch ein 12 Meter breites, weißes Segel gegen Regen und direkter Sonneneinstrahlung geschützt ist. Marianne Wurst gleitet mit ihrer Hand über das helle Holz der Tischplatte. „Das fühlt sich toll an. Wir haben riesen Glück mit diesen schönen Möbeln. Das hätten wir selbst in ehrenamtlicher Arbeit nie in dieser Ausführung fertigen können“, freut sich die zweite Vorsitzende des Bundes der Kunsthandwerker Baden-Württemberg e.V. (BdK).

Der Pavillon ist vorbereitet für die Landesgartenschau.
Der Pavillon ist vorbereitet für die Landesgartenschau. (Bild: Rieke Mitrenga)

Nach dem erfolgreichen Kunst-Handwerks-Garten bei der Bundesgartenschau 2019 in Heilbronn will der BdK ein Folgeprojekt auf der Landesgartenschau Überlingen anbieten. Mit Workshops und Ausstellungen sollen Kunstschaffende verschiedener Gewerke den Besuchenden der Gartenschau das Kunsthandwerk in seiner Vielfalt vermitteln und erlebbar machen, wie es entsteht – von den ersten Skizzen bis zum fertigen Produkt. Um verschiedene Handwerke wie Goldschmieden, Glaskunst oder textiles Gestalten wochenweise in einem einzigen Pavillon anbieten zu können, ist ein besonders vielfältiges Mobiliar erforderlich. Marianne Wurst wusste, an wen sie sich dafür wenden konnte. ZfP-Arbeitstherapeut Stefan Broszeit ist nicht nur Schreiner und Künstler, sondern auch Mitglied im BdK.

Therapeutisches Arbeiten

Mitte Februar. Das Quietschen der Kreissäge tönt durch die Werkstatt. Daniel R. spannt ein längliches, vierkantiges Holzstück auf der Werkbank ein. Behutsam führt er die Säge an der markierten Linie entlang. Auf einem anderen Tisch stapelt Ali B. die bereits gekürzten Holzstücke, die später zwischen die Beine der zehn Sitzhocker geschraubt werden sollen.

Die Arbeitstherapie ist ein wichtiger Baustein der Behandlung von forensischen Patient*innen. Broszeit erklärt: „Die Patienten haben einen geregelten Tagesablauf. Und sie lernen, sich an Regeln zu halten.“ Auch ihre Pünktlichkeit, Sorgfalt und Kommunikation werde geschult. „Keiner von uns hatte Erfahrung mit Holzarbeiten“, berichtet Ali B. Doch unter der Anleitung von Broszeit haben alle schnell gelernt. „Wir konnten dann auch mit größeren Maschinen arbeiten: mit der Fräse oder auch mit Hobel- und Schleifmaschinen.“ Alle Patienten seien sehr interessiert gewesen, erzählt der Arbeitstherapeut: „Toll war bei diesem Projekt auch die Zusammenarbeit in der Gruppe. Normalerweise machen die Patienten in der Werkstatt eher Einzelarbeiten.“

Stolzer Teil der Gartenschau

Orientiert an der Größe der Pavillon-Kabinen entwickelte die Gruppe das Mobiliar. Insbesondere die Roll-Regale wurden vielseitig konzipiert. So hat beispielsweise der untere Teil abschließbare Türen. Wenn man die oberen Regalbretter hochklappt, ist das untere Konstrukt als Podest verwendbar. Die Roll-Regale können zudem mit zwei Meter langen Platten oder auch mit Kleiderstangen verbunden werden. Angelina K. war früher im Service tätig: „Für mich hat Arbeit immer dazugehört“, erzählt die junge Frau. „Hier habe ich das erste Mal mit Holz gearbeitet. Das war echt interessant, ganz anders als im Service.“

Die Hocker, Roll-Regale und Tische stehen aufgereiht in einer Kabine des Pavillons. Marianne Wurst zieht die weiße Plane wie einen Vorhang zu. Nur noch wenige Optimierungsarbeiten, etwa das Streichen einiger Pfosten, stehen an. Dann ist der Pavillon in den Villengärten fertig für die Kunstpräsentationen. Angelina K. strahlt: „Es freut mich so, das Endergebnis zu sehen. Daran habe ich mitgewirkt!“ Auch die anderen Patient*innen sind sichtlich stolz. „Da haben wir viel Arbeit reingesteckt“, beteuert Ali B..

Pandemiebedingt konnte die Landesgartenschau Überlingen noch nicht wie geplant eröffnen.

(Pressemitteilung des ZfP Südwürttemberg)