Umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen

Umstrittene Wahlrechtsreform beschlossen
Auch nach der Beschlussfassung der Wahlrechtsreform gehen die Meinungen bei Regierungspolitikern und Opposition weit auseinander. (Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka // picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH // picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

Aktuell sitzen im Bundestag 736 Abgeordnete. Um diese überbordende Zahl zu begrenzen, hat die Ampel-Koalition sich für eine Regelgröße von 630 Sitzen ausgesprochen, die heute im Bundestag mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen beschlossen wurde.

Mit dem Gesetz sollen Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft und so verhindert werden, dass die Zahl der Parlamentarier weiter anwächst. Die 299 Wahlkreise bleiben wie bisher erhalten. Damit, so die Ampel-Regierung und die sie tragenden Fraktionen, soll der Grundcharakter des Wahlsystems, das Verhältniswahlrecht, gestärkt werden. Bereits jetzt scheint klar, dass dieses Gesetz beim Bundesverfassungs-Gericht landen wird.

In den Stellungnahmen der Abgeordneten aus der Region spiegeln sich die Wahrnehmungen über die Auswirkungen der Wahlrechts-Reform in aller Schärfe wider.

Martin Gerster (SPD): Wir haben eine wirksame Reform beschlossen“

Der Deutsche Bundestag hat heute in 2./3. Lesung eine historische Reform des Wahlrechts beschlossen. Der Biberacher Bundestagsabgeordnete Martin Gerster (SPD) begrüßt, dass die Anzahl der Sitze im Parlament ganz erheblich reduziert wird und der Bundestag dauerhaft eine feste Größe von 630 Abgeordneten bekommt:

„Ich freue mich sehr, dass nach jahrelangen Debatten und Diskussionen nun endlich eine Lösung erarbeitet und beschlossen wurde. Viele Bürgerinnen und Bürger haben mich in den letzten Jahren immer wieder auf dieses Thema angesprochen. Zuletzt wurde der Deutsche Bundestag von Wahl zu Wahl immer größer, ohne dass man sich auf eine wirksame Reform einigen konnte. Das hat aus nachvollziehbaren Gründen für viel Unverständnis gesorgt. Nun haben die Fraktionen der „Ampel“ eine wirksame Änderung des Wahlrechts beschlossen und damit bewiesen, dass das Parlament sich selbst reformieren kann.

Ein großes Anliegen war mir persönlich, dass die Wahlkreise – auch hier in Oberschwaben – erhalten bleiben. Bei allen anderen diskutierten Varianten hätten wir mutmaßlich eine Zusammenlegung von Wahlkreisen mit erheblichen Änderungen beim Wahlkreiszuschnitt hinnehmen müssen. Das hätte eine Schwächung der politischen Vertretung unserer Region in Berlin bedeutet. Ich bin froh, dass dies verhindert, werden konnte und es bei den etablierten 299 Wahlkreisen bleibt.“

Gerster bedauert allerdings, dass sich CDU/CSU trotz intensiver Verhandlungen und Gesprächsangebote nicht zu einer Zustimmung zur Verkleinerung des Bundestags durchringen konnten: „In den vergangenen Wahlperioden war es leider insbesondere wegen der CSU nicht möglich, eine wirkungsvolle Veränderung des Wahlrechts zu erreichen, bei der sichergestellt wäre, dass die Anzahl der Abgeordneten von Wahl zu Wahl neue Rekordhöhen erreicht.“

Dr. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen): Die Ampel verkleinert den Bundestag wirksam und dauerhaft

Zur Wahlrechtsreform, die heute vom Bundestag beschlossen wurde, erklärt Dr. Anja Reinalter, Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Biberach:

„Nach einer historischen und emotionalen Debatte hat sich die Mehrheit des Parlaments für die lange überfällige Reform des Bundestagswahlrechts entschieden. Mit dem heutigen Beschluss beenden wir das jahrelange Ringen um die Wahlrechtsreform und geben dem Parlament die Kraft, sich selbst zu begrenzen. Ich hätte mir gewünscht, dass die CDU sich bewegt und sich nicht dem Druck ihrer bayrischen Schwesterpartei beugt. Es hätte der Union gutgestanden, diesen wichtigen Schritt zu zur Verkleinerung des Bundestags mitzugehen und damit zur Akzeptanz des Parlaments beizutragen. Die Reform war notwendig, da der Bundestag von Wahl zu Wahl immer weiter anwächst. Das hat nicht nur die Kosten gesteigert, sondern gefährdet auch die Arbeits- und Funktionsfähigkeit unserer demokratischen Herzkammer. Es ist deshalb eine Frage der Reformfähigkeit und der Glaubwürdigkeit von Politik, dass wir das Parlament verkleinern. Wir Grüne arbeiten seit Jahren konstruktiv an einer wirksamen Wahlrechtsreform und sind froh, diese nun endlich beschließen zu können. Wir haben in den vergangenen Wochen viele Gespräche auch mit den anderen demokratischen Fraktionen geführt und Änderungen am ursprünglichen Reformvorschlag vorgenommen. Die Änderungen haben Auswirkungen auf die Fraktionsstärke aller Parteien, auch wir Grüne werden künftig weniger Abgeordnete in den Bundestag entsenden.“

Josef Rief (CDU): Diese Reform ist ein Schurkenstück“

Die Sicht der CDU/CSU im Bundestag macht der Abgeordnete Rief:

„Bei der Beurteilung der Wahlrechtsreform der Ampel halte ich es mit Alexander Dobrindt, der sie als Schurkenstück bezeichnet hat. Jedem ist klar, dass der Bundestag verkleinert werden muss. Aber die mit der Reform einhergehende Entwertung der Erststimme benachteiligt aktiv die ländlichen Räume. Es wird hier Hand angelegt an die klare Vertretung der einzelnen Wahlkreise durch direkt gewählte Abgeordnete. Das kann und darf nicht sein! Auch wurde von den angestrebten 598 Mandaten jetzt willkürlich abgerückt und die Zahl 630 festgelegt. Unser Vorschlag sah eine Reduzierung der Wahlkreise auf 280 vor, auch 270 wären möglich gewesen, die dann aber einen direkten Vertreter in den Bundestag gesandt hätten. Eine gleichzeitige Begrenzung der Ausgleichsmandate wäre die richtige Mischung aus Erst- und Zweitstimme gewesen und hätte den Grundsätzen des Bundestagswahlrechts entsprochen. Es darf nicht sein, dass die Gewinnerinnen oder Gewinner von Wahlkreisen nicht sicher als Abgeordnete in den Bundestag einziehen. Einige Wahlkreise wären dann gar nicht durch Abgeordnete im Bundestag vertreten. Ebenso wenig kann es sein, dass bei einem geringfügigen Stimmenverlust der CSU nach der Reform keiner der direkt gewählten – aktuell 45 – CSU-Abgeordneten im Bundestag säßen.“