Deutliche Unterschiede in der Bewertung – Ein Interview mit Bürgermeister Schafft und Christoph Selg (BI)

Deutliche Unterschiede in der Bewertung – Ein Interview mit Bürgermeister Schafft und Christoph Selg (BI)
Beim AMD (Ambulant Medizinisches Dienstleistungszentrum) Zwischen der BI Christoph Selg (re.) und Bürgermeister Schafft (li.) gibt es in vielen Punkten unterschiedliche Einschätzungen (Bild: PR/MK)

Seit über 10 Jahren ist die BI (Bürgerinitiative zum Erhalt des Riedlinger Krankenhauses) mit dabei, wenn es darum geht, eine gute Ersatzlösung für das geschlossene Krankenhaus zu finden. Sie sind die einzige Konstante im Prozess, deren Akteure teils wechselten (Bürgermeister), oder sich aus diesem zurückzogen (z. B. Leitz).

Auch wenn Bürgermeister Schafft die Position der BI-Sprecher Christoph Selg und Axel Henle wegen, der aus seiner Sicht vorhandenen Befangenheit kritisch sieht, hat er sich doch dem Wochenblatt-Interview zum aktuellen Stand gestellt.

Sehr geehrte Herren, gibt es bereits einen Investor, der sich ernsthaft bemüht, um das AMD zu realisieren?

Christoph Selg: Uns liegen keine Erkenntnisse über ein konkretes Interesse eines Investors vor.

Marcus Schafft: Es ist kein Investor zu benennen. Das wäre dann ja auch vergaberechtlich zu beanstanden. Auch eine solche Anfrage/ ggf. Investition ist diskriminierungsfrei dem Markt anzubieten.

Wie hoch ist der jeweils errechnete und belegbare Zuschussbedarf (p. a.)?

Selg: Es gibt eine Wirtschaftlichkeitsberechnung. Aus dieser geht ein Zuschussbedarf hervor. Nach den Zuschüssen von Landkreis, Ausgleichstock und KFW trägt sich das Projekt wirtschaftlich. Ein Investor benötigt ebenfalls einen Zuschuss, diesen muss dann die Stadt selbst stemmen. Wirtschaftlich stellt sch die Stadt dann schlechter.

Schafft: Einen Zuschussbedarf wird eine Ausschreibung erst ergeben. Wobei die Stadt bei der Ausschreibung auch einen Deckel benennen kann. – Wichtiger als der Zuschuss i.S. eines Baukostenzuschuss ist aber die Frage eines Betrauungsaktes. Damit kann die Stadt nämlich sicherstellen, dass für Bürger und ärztliche Nutzer Rahmenbedingungen seitens des Bauherrn und Betreibers eingehalten werden (Betrieb/Zugang pp.)

Von wem wurden die Berechnungen zu den Zuschüssen durchgeführt? Warum sind die Baukosten von anfangs 3,2 Millionen auf nun rund 6 Millionen angestiegen? Wer hat diesen Kostenanstieg berechnet?

Selg: Uns liegt die Kalkulation des Stadtbauamtes zwar nicht vor, laut unseren Erkenntnissen sind recht hohe Risikozuschläge einkalkuliert worden. Inwieweit dies sachgerecht ist, darüber gibt es stark unterschiedliche Auffassungen.

Schafft: Wie ausgeführt geht die Frage an den geltenden Rechtsordnungen vorbei. Erst die Ausschreibung. Dann die Berechnung. Kein Gemauschel. Das Bauvolumen hat sich vergrößert (zusätzliche Bausteine im Projekt und Anforderungen infolge der notwendigen Beteiligung der Fachbehörden) und wir haben eine deutliche Steigerung der Baupreise.

Was passiert, wenn die Ärzte mit Interesse am AMD 2 zurückziehen? Gibt es dann schon Ersatzlösungen und welche?

Selg: Dann brauchen wir keine Ersatzlösungen mehr. Der Leitgedanke für die Errichtung eines „Ambulanten Medizinischen Dienstleistungszentrums“ in Riedlingen war, dass Ärzte aus Riedlingen und der Region, die daran Interesse haben, ihren Patienten die Möglichkeit des ambulanten Operieren anbieten können. Das AMD soll in erster Linie ein Angebot für die Bevölkerung aus der Region darstellen. Wir sehen keinen Sinn darin, dieses Angebot jetzt vorrangig für Ärzte, die nicht in der Raumschaft tätig sind, zu schaffen.

Es stiftet uns keinen Nutzen, wenn Patienten von außerhalb unserer Region von unserem Engagement profitieren. Uns geht es um die Menschen von hier.

Ein Leitgedanke war es auch, mit dem Angebot „AMD“ die Ansiedlung von Fachärzten und Allgemeinmedizinern zu stärken. Bisher waren diese Bemühungen fast ausschließlich vom persönlichen Engagement der an der Entwicklung beteiligten Ärzte getragen. Es droht, dass die bisher engagierten Ärzte aussteigen. Dann ist auch diese Perspektive zerstört. Wir werden in Riedlingen das Schicksal vieler Gemeinden teilen, dass die Gesundheitsversorgung regelrecht zerbricht. Noch haben wir eine Chance, sind aber gerade dabei diese zu verspielen.

Schafft: Gegenfrage: wer sichert die Stadt bei Eigenrealisierung dagegen, dass Ärzte sich gegen die Nutzung des Gebäudes entscheiden (heute, morgen, irgendwann)? – Auch dazu ist ein diskriminierungsfreier Zugang vorzusehen. Am sichersten – wie im Beschluss vom 21.Juni 21 vorgesehen – durch Ausschreibung der Nutzung. Das erst macht eine vertraglich langfristige Bindung möglich. Erst dann kann sauber kalkuliert und das wirtschaftliche Risiko umrissen werden. Denn klar ist doch eins. Der Bau ist mit klar umrissenen Kosten verbunden. Hier ist u.a. eine Abschreibung zu erwirtschaften. Eine auskömmliche Planung und ein drauf folgender Betrieb verlangen aber mehr. Nämlich für alle Bausteine des AMD eine auskömmliche Finanzierungsstruktur. Und Sicherheit auf Dauer.

Gibt es zum AMD Gutachten und sind die Gemeinderäte über deren Inhalte/Zahlen informiert?

Selg: Es gibt zumindest eine Wirtschaftlichkeitsberechnung. Wir haben aber das Gefühl, dass diese von einem Teil des Gemeinderates geradezu ignoriert wird und dies teilweise aus rein persönlichen Befindlichkeiten.

Schafft: Die Zusammenhänge und rechtlichen Vorgaben sind den Gemeinderäte bekannt.

Die Gesundheitsversorgung wurde als Freiwilligkeitsleistung der Stadt bezeichnet. Andere Kommunen sehen das offensichtlich anders (Saulgau), warum legen die einen deutlichen Schwerpunkt bei der Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung? Frech gefragt: Ist die Gartenschau wichtiger, als eine adäquate Gesundheitsversorgung für die Bevölkerung der Raumschaft?

Selg: Sicher ist beides wichtig für Riedlingen. Wir dürfen jetzt die Projekte nicht gegeneinander ausspielen. Das wäre töricht.

Wobei wir ganz klar den Schwertpunkt auf das Thema Gesundheitsversorgung legen!

Wenn wir es richtig nachvollziehen, dann waren bisher im Haushalt der Stadt für beide Projekte Gelder eingestellt und diese wurden auch als finanzierbar dargestellt. Wir können also nicht erkennen, warum jetzt plötzlich soviel Unsicherheit einkehrt.

Viel wichtiger, als jetzt ängstlich zu agieren, wäre es doch alle erdenklichen Wege zu beschreiten, Zuschüsse zu generieren und so das wirtschaftliche Risiko für Riedlingen zu minimieren. Eigentlich hat uns der Landkreis doch schon ein Angebot gemacht. Wir sollten es einfach nur annehmen!

Wir sollten Kurs halten und den gemeinsam eingeschlagenen Weg konsequent und weiterhin zielstrebig, in großer Geschlossenheit zu Ende gehen.

Schafft: Das ist eine polemische Frage. In Wahrheit hat die Stadt eine Vielzahl von Pflichtaufgaben, die in Konkurrenz zu einer solchen Freiwilligkeitsaufgabe stehen: Versorgung mit Hausärzten (also auch Gesundheitsversorgung), Ganztagesbetreuung in der Schule, Kindertagesstätte und vieles mehr.

Die Gartenschau ist auch Freiwilligkeitsaufgabe, damit aber nicht weniger ein wichtiger Faktor zur gesamtstädtischen und infrastrukturellen Entwicklung. Sie ist Bürgermarketing und auch Wirtschaftsförderung. Und anders als vorliegend mit einer klaren Finanzierungsstruktur im Rahmen der Geberkonferenz 2024/2025. Auch lebendige Altstadt ist eine freiwillige Aufgabe. Halten Sie das deshalb ebenfalls für unwichtig?

Ist die Gartenschau eine Pflichtaufgabe der Stadt?

Selg: Unseres Wissens nach nicht! Wir müssen aber aufpassen. Wenn wir zulassen, dass Projekte nur noch nach der Frage beurteilt werden, ob diese nun Pflichtaufgabe sind oder nicht, dann kommen wir ganz schnell an den Punkt, wo sich überhaupt nichts mehr bewegt in unserer Stadt.

Wir brauchen gemeinsame Perspektiven, wohin sich unsere Stadt entwickeln soll. Unsere Stadt soll insgesamt attraktiver werden und ein Mehr an Lebensqualität entwickeln. Daraus leiten sich Ziele ab, die wir geschlossen und entschlossen verfolgen sollten, unabhängig von der Frage „Pflicht oder nicht?“

Eine gute medizinische Versorgung ist auch ein wichtiger Standortfaktor. Riedlingen ist bereits jetzt das wirtschaftliche Schlusslicht der Städte in unserer Region. Befürchten Sie keine negativen Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort?

Die befürchten wir sehr wohl. Bei der Standortentscheidung sowohl für Wohnen als auch für Industrie/Gewerbe spielt die Frage der Qualität der Gesundheitsversorgung eine gewichtige Rolle.

Wir haben die Chance mit der Realisierung des Gesundheitszentrums einen sehr gewichtigen Standortvorteil zu schaffen. Wir haben aber auch das Risiko, mir der Debatte, so wie wir sie jetzt mal wieder führen, uns zu blamieren und einen gewaltigen Imageverlust zu erleiden. Da wird uns dann auch keine Gartenschau mehr helfen.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Städten und Gemeinden in der Region, hat Riedlingen in den vergangenen zwanzig Jahren Arbeitsplätze in erheblichem Umfang verloren. Es ist eine Überlebensfrage, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten. Mit den Debatten, die wir gerade führen und v.a. so wie wir diese führen und mit „Wolkenkuckucksheim“ schaffen wir dies allerdings nicht. Wir appellieren an alle Verantwortlichen: Redet miteinander, sucht nach Lösungen, führt die Debatte ausschließlich am Ziel orientiert, frei von Rechthabereien, Eitelkeiten und persönlichen Befindlichkeiten.

Schafft: Eine gute medizinische Versorgung ist auch ein wichtiger Standortfaktor. Die Stadt unternimmt seit Jahren viele Anstrengungen eine gute fachärztliche Gesundheitsversorgung sicher zu stellen. Dazu gab es am Ende immer einen Konsens. Regelmäßig sogar Einstimmigkeit.

Die Stadt wird das AMD umsetzen und jetzt lassen Sie es mich pointieren:

  • In der GR Sitzung wurde von beiden Meinungen betont: das AMD soll für Riedlingen geschaffen werden.

  • Meinungsunterschiede beziehen sich nur auf den Weg. – Anmerkung dazu: Ich finde es geradezu verantwortungslos in den Raum zu stellen, als ob die Stadt oder Teile der Verantwortungsträger nicht am Ziel des AMD festhalten. Das ist eine törichte Unterstellung zum Schaden der Stadt und der Raumschaft.

  • Im Beschluss 21.06.21 wurde durch den GR beschlossen: die Nutzung wird ausgeschrieben. Damit ist gesetzt, dass zwischen den Nutzern und dem Träger des Gebäudes ein Betreiber steht.

  • Neu dazu getreten ist jetzt nur die Frage, ob das Bauwerk privat erstellt werden kann.