Weingarten – Jetzt erst recht

Weingarten – Jetzt erst recht
An dieser Stelle war eigentlich der Regenbogenstreifen angebracht - kurz nach der Zerstörung wurde der Satz „Love is Love“ auf Deutsch: „Liebe ist Liebe“ mit Kreide dort hin gemalt. Zwischenzeitlich sind die Kunstwerke wieder vom Regen entfernt worden. (Bild: Privat)

„Jetzt erst recht“ unter diesem Motto haben engagierte Weingartener Bürgerinnen und Bürger seit dem Abriss des Regenbogenstreifens mit Transparenten und Kreiden auf die Sichtbarmachung von queeren Menschen aufmerksam gemacht. Der Gemeinderat setzte in seiner Sitzung am vergangenen Montag auch ein Zeichen.

Am 4. Mai hatten Oberbürgermeister Markus Ewald, das Aktionsbündnis „Übergang zur Vielfalt“ und interessierte Bürger im Beisein der Presse einen Regenbogenstreifen am Stadtgarten angebracht. Nur kurze Zeit später hatte eine unbekannte Gruppe von Jugendlichen den Streifen zerstört. (wir berichteten). Unterkriegen lassen wollten sich die Beteiligten davon aber nicht.

„Wir bleiben sichtbar“ kündigte Initiatorin Laura Preuss damals noch an. Doch mit einem so großen Zuspruch rechnete niemand. In den sozialen Medien wurden Beiträge zu der Aktion hundertfach mit Gefällt Mir markiert, kommentiert und geteilt. Auch Oberbürgermeister Ewald hatte sich nach der Zerstörung zu Wort gemeldet: „Ich bin zutiefst betroffen und verärgert über diese blinde Zerstörungswut, die in den gestrigen Abendstunden diesem farbenfrohen Statement für Vielfalt und Toleranz ein jähes und mutwilliges Ende bereitet hat.“ sagte er in einem Pressestatement.

Eine Gruppe von jungen Menschen hatte sich nach der Aktion eine kreative und nette Idee überlegt, wie man auf den Regenbogenstreifen aufmerksam machen kann. Im gesamten Stadtgebiet bemalten sie mit Kreiden den Boden und viele Wände. Ein Satz kam dabei des öfteren vor: „Jetzt erst recht!“. Damit nahmen sie Bezug auf den abgerissenen Regenbogen am Weingartener Stadtgarten.

Der Treppenaufgang zur Basilika wurde ebenfalls bunt mit Kreide bemalt.
Der Treppenaufgang zur Basilika wurde ebenfalls bunt mit Kreide bemalt. (Bild: Privat)

Gemeinderat setzt Zeichen

Sogar im Weingartener Gemeinderat kam die Regenbogenstreifen Aktion auf die Tagesordnung. Am vergangenen Montag setzte der Gemeinderat fraktionsübergreifend ein Statement. Susanne Münz, Stadträtin der Grünen und ehrenamtliche Bürgermeisterin trug die mit dem Titel „Weingarten ist bunt!“ geschriebene Rede vor.

„Respekt, meine Damen und Herren, ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft. Homophobes Verhalten ist das genaue Gegenteil von einem respektvollen Umgang der Menschen miteinander. Homophobie geht uns alle an.“ heißt es in dem Statement vom Weingartener Gemeinderat.

Das ganze Statement des Gemeinderates finden Sie hier:

Weingarten ist bunt!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sehr geehrte Vertreter:innen der Presse,

Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber wie antastbar, wie verletzbar sie ist, dafür gibt es immer wieder Beispiele in unserer Gesellschaft. In der vergangenen Woche wurden wir alle Zeugen einer blinden Zerstörungswut, die die farbenfrohe Regenbogeninstallation im Stadtgarten zu einem jähen Ende brachte.

Was für ein paar Stunden als buntes Statement für Vielfalt und Toleranz bewundert werden konnte, fand sich am nächsten Morgen in Form von zerknüllter Bodenfolie auf dem Areal wieder. Diese Tat hat uns alle – fraktionsübergreifend – betroffen gemacht und uns zu dem heutigen, gemeinsamen Statement bewogen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Wir alle sind einst als Kandidatinnen und Kandidaten für den Gemeinderat angetreten, um unsere Stadt ein stückweit besser zu machen. Wir haben von den Wählerinnen und Wählern den Auftrag erhalten, nach bestem Wissen und Gewissen diese Stadt und ihre Gesellschaft aktiv mitzugestalten und dabei für die freiheitlich-demokratischen Grundwerte einzustehen.

Daher wollen und können wir diese Form von Respektlosigkeit nicht tatenlos hinnehmen oder sie gar als „dummen Jungenstreich“ wegwischen und ignorieren.

Respekt, meine Damen und Herren, ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Gesellschaft.

Homophobes Verhalten ist das genaue Gegenteil von einem respektvollen Umgang der Menschen miteinander. Homophobie geht uns alle an. Sie ist ein Angriff auf die Grundwerte unserer Gesellschaft. Und sie hat viele Facetten und Ausdrucksformen. Noch heute werden Menschen, die sich als lesbisch, bi, trans, inter* oder schwul definieren, weltweit Opfer von verbaler und körperlicher Gewalt – eine häufig verdrängte Tatsache. Nach wie vor müssen viele Schwule, Lesben, bi-, trans- und intersexuelle Menschen in unserer Gesellschaft Nachteile erleiden, werden ihre Rechte verletzt – im Alltagsleben, am Arbeitsplatz, durch nicht gerechtfertigte medizinische Behandlungen.

Menschen sind verschieden, in jeder Hinsicht. Wir alle, wie wir hier sitzen, sind verschieden. Wir sehen unterschiedlich aus, haben verschiedene Ansichten, Interessen und Vorlieben. Aber unsere Gesellschaft wird gerade durch diese Vielfalt bunt und interessant. Erst die Vielfalt schafft verschiedene Perspektiven, Lebensentwürfe und Lebensweisen.

Und, meine sehr geehrten Damen und Herren:

Welcher Mensch hätte das Recht zu entscheiden: Nur meine Art alles zu tun, zu sein und zu leben ist die richtige für alle anderen Menschen? Die Frage klingt schon absurd, oder?

Wir alle sind es letztlich, die entscheiden, wie wir zusammenleben wollen. Wir entscheiden, ob wir füreinander da sein und respektvoll miteinander umgehen, uns für Demokratie, Offenheit und Akzeptanz einsetzen wollen.

Als Stadträtinnen und Stadträte sehen wir es allerdings als unsere Pflicht, uns gemeinsam für Toleranz und Weltoffenheit als wesentliche Merkmale einer freiheitlichen Gesellschaft zu bekennen. Deshalb dürfen Homophobie, Extremismus, Rassismus und Antisemitismus in Weingarten – auch zukünftig – keine Chance haben.

Vorgetragen am 10.05.2021 von Susanne Münz, ehrenamtlicher Bürgermeisterin der Stadt Weingarten.