Dramatischer Hausärztemangel: Was unsere Angeordneten dazu sagen

Dramatischer Hausärztemangel: Was unsere Angeordneten dazu sagen
Auch die Bundestagsabgeordneten Dr. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen) , Martin Gerster (SPD) und Josef Rief (CDU) haben den Ernst der Lage bei der Hausarztversorgung erkannt (Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka // picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH // picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

In Baden-Württemberg fehlen nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW) flächendeckend Hausärzte. Derzeit sind im „Ländle“ 7000 Hausärzte tätig, doch bereits jetzt sind 900 Hausarztsitze unbesetzt. Die bedrohliche Situation wird weiter eskalieren, weil 37 Prozent der noch praktizierenden Hausärzte bereits über 60 Jahre alt sind. Es ist abzusehen, dass dies zu einer besorgniserregenden Versorgungskrise führen wird, weil die nachrückenden Studenten, die sich weiter aufbauende Lücke nicht schließen können. Als eine der Ursachen für diese Entwicklung sieht die KVBW die zu geringen Vergütungen und die überbordende Bürokratie in den Hausarztpraxen.

Wir fragten bei den Bundestags-Abgeordneten der Region nach, wie sie die ansehbare Verschlechterung der hausärztlichen Versorgung beurteilen.        

Rief: „Eine gute Hausarztstruktur ist notwendig“

Der Abgeordnete Josef Rief (CDU) verweist auf die bereits erfolgten Anstrengungen:„Auch bei uns in der Region spielt die Demografie in der Ärzteschaft eine zunehmend größere Rolle. Wir haben verschiedene Modelle in der Erprobung. Ärztezentren sind eine Antwort darauf. Der Vollständigkeit halber muss man aber sehen, dass es in der Bundesrepublik noch nie so viele praktizierende Ärztinnen und Ärzte gab. Allerdings erfordert der medizinische Fortschritt logischerweise auch mehr Ärzte und viele Ärzte arbeiten mit verringerter Stundenzahl, wie in der übrigen Gesellschaft auch.“

Rief weist darauf hin, dass der Bund und auch Baden-Württemberg bereits eine Landarztquote fürs Medizinstudium eingeführt, bei der sich die Studenten verpflichten, mehrere Jahre als Hausarzt in einem unterversorgten Gebiet zu arbeiten. Diese würden bei der Zulassung zum Studium bevorzugt. Diese Art von Studienplätzen müsste aber noch erhöht werden, um für jeden Hausarzt, der in den Ruhestand geht, einen Nachfolger zu finden. Er sieht aber auch ein grundsätzliches Problem: „Mir macht auch Sorgen, dass zwar sehr viele Ärzte, die in Deutschland ausgebildet werden, davon aber manche für immer oder für mehrere Jahre im Ausland praktizieren und bei uns dann fehlen. Es ist auch nicht hinnehmbar, dass Abiturienten keinen Studienplatz für Medizin in Deutschland bekommen und zum Studium nach Lettland oder Rumänien gehen müssen. Dort nehmen wir Kapazitäten in Anspruch, die wir selbst einrichten sollten.“

Der Abgeordnete sieht stärkere Anreize für Hausarztpraxen, den Abbau von Bürokratie, die Digitalisierung und eine höhere Grundvergütung für die Aufrechterhaltung der Versorgung als zwingend notwendig an. Zur weiteren Entwicklung der Gesundheitsversorgung sieht er einen Wandel: „Bei der Entwicklung einer modernen Gesundheitsversorgung werden ambulante Leistungen mehr werden, stationäre Leitungen nur noch bei schweren Eingriffen nötig sein. Das ist heute schon so, das wird sich nach übereinstimmender Einschätzung aller Verantwortlichen im Gesundheitsbereich so weiterentwickeln. Gerade deshalb ist eine gute Hausarztstruktur notwendig, damit die Patienten für ihre Versorgung und Heilung an die richtigen Stellen überwiesen werden können. Insgesamt hoffe ich schon, dass der medizinische Fortschritt weiter geht und dass wir es schaffen, dass auch der ländliche Raum an dieser Entwicklung teilhat.“

Reinalter: „Bessere Vernetzung der Servicenummern hilft Patienten“

Dr. Anja Reinalter (Bündnis90/ Die Grünen) kennt die Probleme im ländlichen Bereich:“Wer krank ist muss sich auf eine funktionierende und flächendeckende ambulante Versorgung verlassen können. Egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Das Netz an ambulanten Versorgungsangeboten hat sich aber in den letzten Jahrzehnten immer weiter ausgedünnt. Besonders spürbar ist das am Wochenende oder in den Nachtstunden. Notdienstpraxen sind oft nur mit dem Auto und langen Fahrtwegen erreichbar. Mit der Krankenhausreform stärkt die Ampel-Koalition die medizinische Versorgung im ländlichen Raum. Für mich ist bei der Reform wichtig, dass Hausarztpraxen und Krankenhäuser nicht gegeneinander ausgespielt werden. Für eine gute und flächendeckende Versorgung brauchen wir beide.“

Die Abgeordnete lobt die Anstrengungen der Landesregierung: „Ein wichtiger Baustein, um auch bei uns in der Region die hausärztliche Versorgung sicher zu stellen, ist das Landärzteprogramm von Landesgesundheitsminister Manne Lucha. Wer eine Praxis in Regionen mit ungesicherter hausärztlicher Versorgung eröffnet, bekommt aktuell bis zu 30.000 Euro Landesförderung. Zudem setzen wir auf eine bessere Verzahnung von ambulanten und stationären Angeboten.“

Sie fordert, dass beim Notruf 112 und telefonischen Patientenservice 116 117, eine bessere Vernetzung erfolgen müsse: „Das hilft Patientinnen und Patienten die passende Versorgung zu finden, Wartezeiten zu reduzieren und Überlastungen im Gesundheitssystem zu vermeiden. Wir müssen viel mehr Synergien nutzen. Wenn Abläufe und Abrechnungssysteme vereinfacht werden, bleib mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten. Den Ärztinnen und Ärzten diese Beinfreiheit zu geben, muss die Messlatte für eine Reform des Gesundheitssystems sein.“

Der Hausarztmangel hat Folgen: Ärzte und ihr medizinisches Fachpersonal sind überlastet.
Der Hausarztmangel hat Folgen: Ärzte und ihr medizinisches Fachpersonal sind überlastet. (Bild: :cyano66// iStock / Getty Images Plus)

Gerster: „Vereinbarkeit von Familie und Beruf notwendig“

Für den Abgeordnete Martin Gerster (SPD) sieht einen eklatanten Fehler von Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister in den Jahren 2018 bis 2021:Tatsächlich wird sich der demographische Wandel, der in vielen Bereichen den Fach- und Arbeitskräftemangel in den kommenden Jahren verstärkt, auch im Bereich der (haus-)ärztlichen Versorgung auswirken. Obwohl seit langem bekannt, hat sich der vorherige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hinsichtlich der Problematik damit begnügt, die Abwanderung von Ärztinnen und Ärzten ins Ausland zu beklagen, anstatt hier gute Rahmenbedingungen für den Nachwuchs zu kümmern. Die Attraktivität des Berufsfeldes zu erhöhen, berührt aber auch ganz grundsätzliche Fragen, die die Ampel-Koalition im Rahmen der jahrelang verschleppten Reformen in unserem Gesundheitssystem aufgreift.“

Gerster verweist auf den Koalitionsvertrag der Ampel: „Im Rahmen der Reform der Krankenhausvergütung werden Mittel für Weiterbildung in den Fallpauschalen künftig nur an die Kliniken anteilig ausgezahlt, die weiterbilden. […] Wir implementieren die Vermittlung digitaler Kompetenzen in der Ausbildung der Gesundheits- und Pflegeberufe sowie in Fort- und Weiterentwicklung.“ Damit wollen wir stärker als bisher Anreize setzen, dass Krankenhäuser sich im Bereich der Aus- und Weiterbildung engagieren.“

Nach Ansicht von Gerster, hat sich SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach seit Amtsantritt bereits mehrfach zum Thema Ärztemangel geäußert, auch im Kontext der Krankenhausreform. Die Reform solle einen Systemwandel schaffen, weg von der Ökonomisierung im Gesundheitssystem, mit klareren, unbürokratischen und effizienten Strukturen, die auch eine Entlastung der Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken und in den Hausarztpraxen bewirken. Nur so können wir in Zeiten des Fachkräftemangels die Attraktivität dieses wichtigen Berufs wieder erhöhen.

„Zur Ehrlichkeit gehört aber, dass die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten in den ureigenen Zuständigkeitsbereich der Länder fällt. Sie müssen ausreichend Studienplätze schaffen. Daher kann die geplante Krankenhausreform ihre Wirkung im Bereich des Ärztenachwuchses nur voll entfalten, wenn die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg die Anzahl der Studienplätze spürbar erhöht. Die verschleppten und jetzt dringend nötigen Reformen sind eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern. Es wird daher nur gemeinsam gelingen“, gibt Gerster zu bedenken.

Der Abgeordnete hat aber auch ein großes Hemmnis für Niederlassungen ausgemacht: „Aus vielen persönlichen Gesprächen mit bereits niedergelassenen und auch angehenden Ärztinnen und Ärzten habe ich mitgenommen, dass die größte Hürde, sich bei uns im Kreis Biberach niederzulassen, die unzureichende Kinderbetreuung in der Region ist. Ein verlässliches Betreuungsangebot und ausreichende Betreuungszeiten sind aber immens wichtig, wenn man z.B. gute Öffnungszeiten in seiner Hausarztpraxis anbieten möchte. Hier müssen wir besser und attraktiver werden, da die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zurecht immer mehr zu einem entscheidenden Standortfaktor wird.“