Aktuelle Gesundheitsversorgung: Leidtragende sind Patienten und Personal

Aktuelle Gesundheitsversorgung: Leidtragende sind Patienten und Personal
Die Angeordneten Anja Reinalter, Martin Gerster und Josef Rief sind sich einig, dass die bisherige Form der Finanzierung unserer Gesundheitsversorgung falsch war (Bild: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka // picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH // picture alliance/dpa | Jörg Carstensen)

In Oberschwaben wird die stationäre Krankenversorgung immer schwieriger. Reihenweise werden Kliniken geschlossen, Operationen von niedergelassenen Fachärzten in Biberach sind seit Monaten unmöglich. Kinderkliniken sind überfüllt und können ihren Versorgungsauftrag nicht mehr in vollem Umfang erfüllen. Besonders dramatisch ist die Versorgung für die Schwangeren. Ein Kind wartet mit seiner Geburt nicht, die Versorgung ist aber nicht mehr gewährleistet oder zumindest nur noch eingeschränkt möglich. So ist in der Frauenklinik Konstanz Land unter, der Kreissaal ist vom 12. bis zum 19. Dezember geschlossen.

Sogar die ambulante Versorgung gerät mittlerweile in Not. Nicht nur die Haus-Ärzte sind in großer Sorge um das Patientenwohl. Wegen der zeitnahen Verrentung von rund 1.400 Hausärzten in Baden-Württemberg droht der Super-GAU, verfügbare Hausärzte werden zur Mangelware.

Wir baten Abgeordnete der Region um Ihre Stellungnahme zu der von der Politik zu verantwortenden katastrophalen Versorgungslage.

Gerster: „Wir haben die Schieflage im Gesundheitssystem erkannt“

MdB Martin Gerster (SPD) ist sich des Ernstes der Lage bewusst: „Die Gesundheitsversorgung befindet sich aus verschiedenen Gründen in einer sehr ernsten Lage – auch und gerade bei uns in Oberschwaben. Private Krankenhausbetreiber ziehen sich aus dem ländlichen Raum zurück, Krankenhäuser werden geschlossen, Ärzte und Pflegekräfte sind massiv überarbeitet und kehren dem Gesundheitsbereich den Rücken. Der Pflegenotstand und eine unzureichende Finanzierung etwa in der Geburtshilfe und pädiatrischen Versorgung waren und sind auch bei uns in der Region ein massives Problem. Die Ampel-Koalition hat diese akute Schieflage im aktuellen Gesundheitssystem längst erkannt: Mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz, das in der vergangenen Woche im Bundestag beschlossen wurde, schaffen wir kurzfristig effektive Verbesserungen besonders in der Pflege und Kinderkrankenversorgung und mit den jetzt vom Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellten Vorschlägen für eine große Krankenhausreform werden wir unsere Gesundheitsversorgung nachhaltig neu ausrichten und besser finanzieren.“

Gerster ist froh, dass Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach den über viele Jahre hinweg aufgestauten „Problemberg“ entschlossen anpackt: „Die Ampel-Koalition hat mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz jetzt ein Gesetz beschlossen, das die ambulante und stationäre Versorgung weitreichend weiterentwickelt. Die bisherige Finanzierung über die sogenannte Fallpauschale hatte in den Krankenhäusern Anreize geschaffen, möglichst viele lukrative Behandlungen möglichst günstig durchzuführen. Dies ging in den vergangenen Jahren etwa zulasten der Kinderheilkunde (Pädiatrie) und der Geburtshilfe. Krankenhäuser haben Kinderabteilungen abgebaut, weil sie nicht mehr rentabel waren.“

Wie Gerster betont, werden mit dem Krankenhauspflegeentlastungsgesetz für die Pädiatrie und Geburtshilfe 280 Mio. Euro pro Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt. Auch soll der Personalaufwand für Hebammen im Krankenhaus ab 2025 vollständig im Pflegebudget berücksichtigt werden. Bei der geplanten Stärkung der Gesundheitsversorgung von Kindern sieht Gerster deutliche Fortschritte: „Gerade in der Kinderheilkunde ändern wir die Finanzierungslogik so grundlegend, dass Krankenhäuser sich hier nicht mehr im Rahmen der Fallzahlsteigerungen bewegen müssen. Ihnen wird ein festes Budget garantiert, das sie auch erhalten, wenn sie weniger Behandlungen durchführen.“

Die am Dienstag vorgestellte Krankenhausreform soll, so Gerster, dafür sorgen, dass sich die Versorgung in den Krankenhäusern wieder an den Patientinnen und Patienten orientiert – weniger an der Ökonomie. Die Reform verringere den finanziellen Druck in den Krankenhäusern und steigere dadurch die medizinische Qualität der Behandlungen. Krankenhäuser der wohnortnahen „Grundversorgung“ werden demnach ganz aus dem Fallpauschalen-System herausgenommen und eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung erhalten: „So wird die Gesundheitsversorgung gerade im ländlichen Raum gestärkt“, ist Gerster überzeugt.

Mit diesem Aufschlag beginne der politische Prozess für die erste grundlegende Veränderung der Krankenhausfinanzierung seit 20 Jahren. Gerster äußert sich in seinem Statement abschließend zur Zukunft der Gesundheitsversorgung in der Fläche: „Wir brauchen den Ausstieg aus dem ‚Hamsterrad‘ in den Krankenhäusern, vor allem für die flächendeckende Gesundheitsversorgung und zum Wohle der Patient*innen, aber eben auch im Sinne der Ärzteschaft und der Pflegekräfte. Das ist aus meiner Sicht dringend notwendig.“

Reinalter: „Gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem notwendig“

Auch die aus Laupheim stammende Abgeordnete Prof. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen) hat die kaum mehr beherrschbaren Probleme der Gesundheitsversorgung auf dem Schirm: „Die derzeitige Situation in unseren Krankenhäusern zeigt, dass der ökonomische Druck zu hoch ist. Die Leidtragenden davon sind Patient*innen und das Krankenhauspersonal. Es braucht ein gemeinwohlorientiertes Gesundheitssystem. Ausschließlich finanzielle Anreize tragen dazu nicht bei.“

Sie gibt sich überzeugt, dass die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ noch in dieser Woche wichtige und weiterreichende Reformvorschläge vorgelegt. Nach Meinung von Reinalter gibt es Vorschläge, die grundlegende Änderungen des Krankenhaus-Vergütungssystems vorsehen: „Zukünftig sollen Krankenhäuser durch Pauschalen finanziert werden, die unabhängig von der Zahl der Behandlungsfälle vergeben werden. Damit soll der Druck reduziert werden, aus wirtschaftlichen Gründen nur auf lukrativen Behandlungen zu setzen.“

Reinalter räumt ein, dass unter dem bisherigen Vergütungssystem die Kinderheilkunde und die Geburtshilfe massiv gelitten haben: „Oft wurden diese Bereiche geschlossen, weil sie nicht mehr rentabel waren. Deshalb werden für die Jahre 2023 und 2024 zusätzliche Mittel von der Bundesregierung zur Verfügung gestellt: für die Pädiatrie 300 Millionen pro Jahr und für die Geburtshilfe 120 Millionen Euro pro Jahr. Der Kinderheilkunde wollen wir zudem ein festes Budget garantieren, das sie auch erhält, wenn weniger Behandlungen durchgeführt werden.“

Ein Ziel sei zudem, dass sich Qualitätszentren herausbilden können und damit qualifizierte und erfahrene Spezialist*innen zur Verfügung stehen. Deswegen sollen Krankenhäuser zudem zukünftig auch bestimmten Versorgungsstufen zugeordnet werden. Überdies soll bestimmt werden, welche Leistungen ein Krankenhaus abrechnen darf. Auch die Arbeitenden in den Kliniken sollen, so Reinalter, bei den Reformen nicht zu kurz kommen: „Wir werden mit diesen Reformen aber auch dafür sorgen, dass sich die Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal und die Ärzteschaft verbessern.“

Rief: „Den Worten müssen Taten folgen“

Die Bemühungen der Bundesregierung sieht MdB Josef Rief (CDU) mit einer gewissen Skepsis: „Nicht zuletzt in der Corona-Krise ist klar geworden, dass wir eine Krankenhausreform brauchen. Die gemeinsam mit der SPD unter Beteiligung des heutigen Gesundheitsministers Lauterbach eingeführten Fallpauschalen haben sich in der Form nicht bewährt. Es ist aber auch klar, dass sich nicht viel ändern wird, wenn nicht zusätzliches Geld ins System kommt, um die Grundversorgung besser abzusichern und Spezialkliniken weiter mehr Geld erhalten. Die von Herrn Lauterbach jetzt vorgeschlagenen Reformen sind lückenhaft und die drängenden Probleme werden weiter aufgeschoben. Den Worten müssen jetzt Taten folgen und alle Beteiligten, Klinken, Ärzte und Patienten vor Ort eingebunden werden, bevor ein Gesetzentwurf beschlossen wird.“