Wer nach der Bundestagswahl gedacht hatte, die Parteien hätten ihre Lehren aus dem Wahlausgang gezogen, sieht sich getäuscht. Was sich in Berlin derzeit abspielt, ist ein kaum auszuhaltender Ego-Trip der Altparteien.
Mit dem Ergebnis des Urnengangs war jedermann klar, dass es wohl auf eine Große Koalition hinausläuft. Bevor jedoch die Sondierungs-Verhandlungen richtig in Schwung kamen, grätschte US-Präsident Donald Trump mit seinem unsäglichen Auftritt während einer Pressekonferenz gegenüber Wolodymyr Selenskyj dazwischen und sorgte für Schockwellen bei der Nato und auch der EU.
Die Sondierer waren sich einig, dass Deutschland jetzt große Anstrengungen für die Landesverteidigung erheblich erhöht werden. Merz dazu: „Whatever it takes.“ Was heißt das? Will man in „alte Kriegstechnik“ investieren, oder stellt man sich der Realität und baut die Bundeswehr in eine Armee der Zukunft um? Drohnen, eine wirkungsvolle Raketenabwehr und modernste Elektronik sind die Zukunft einer schlagkräftigen Armee. Panzer, Kampfhubschrauber, und wohl bald auch Kampfflugzeuge sind Auslaufmodelle, weil sie zu teuer sind. Zudem haben sie viel zu lange Entwicklungs-, Produktions- und Lieferzeiten. Die genauen Kosten für die Ertüchtigung der Bundeswehr und wie diese finanziert werden sollen, bleiben bisher im Ungefähren. Eines ist sicher, das Ganze wird richtig teuer und wird deutliche Auswirkungen auf, die derzeit geltende „Schuldenbremse“ haben.
Auch für die wirtschaftlichen Probleme hatten CDU/CSU und SPD eine schnelle Antwort bereit. Mit einem riesigen Sondervermögen von 500 Milliarden Euro soll die Sanierung und der Ausbau der Infrastruktur ein kreditfinanziertes Sofortprogramm aufgelegt werden. Bisher blieben aber die wichtige Frage offen, wie die Wirtschaft durch einen dringend notwendigen, radikalen und umfassenden Bürokratieabbau entfesselt werden soll. Dies muss auch durch eine zukunftsgerichtete Behörden-Reform unterfüttert werden. Bleibt alles so wie bisher, sind die Milliarden in 20 Jahren noch nicht sinnvoll ausgegeben, oder nach dem Gießkannenprinzip großflächig verschüttet.
Union und SPD machen aber Druck. Noch im alten Bundestag sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden, der alte Bundestag soll den Vorhaben noch ganz schnell, zustimmen. Ob das respektvoll gegenüber dem neu gewählten Parlament ist, darf man mindestens anzweifeln. Zudem rächt sich, dass es politisch nicht klug war, dass man sich nicht im Vorfeld mit der FDP und den Grünen abgestimmt hat, um sie in die Vorhaben, die zur Abstimmung gestellt werden sollen, einzubinden. Prompt kommt von denen das Veto, dass Sie den Beschlüssen keine Mehrheit verschaffen wollen. Das Kind ist in den Brunnen gefallen, doch wer holt es raus? Jetzt (endlich) gibt es Gespräche, um wenigstens die Grünen auf Linie zu bringen. Ausgang: eher ungewiss! Und auch bei den Jusos (Nachwuchsorganisation der SPD) grummelt es vernehmlich.
So entsteht der Eindruck bei den ratlosen Bürgern, dass die Politiker aus dem Wahlausgang vom 23. Februar keine Lehren gezogen haben. Selbst überlebensnotwendigen Maßnahmen werden weiterhin dem parteipolitischen Kalkül unterworfen. Es wäre besser miteinander zu reden, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, um eine bessere Politik für die Zukunft zu machen. Das Geschehen erinnert doch sehr an die Irrungen und Wirrungen der Ampel.
Die Union und auch die SPD müssen sich jetzt schnell der Realität stellen, um wenigstes mit den Grünen durch Verhandlungen, inkl. eigener Zugeständnissen, eine Einigung zu erzielen. Am Horizont droht sonst eine neue Wahl. Vor deren Ergebnisse müssten sich aber dann die Union, SPD und auch die Grünen fürchten. Nutznießen wären mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit Parteien von AfD und Linke. Union, SPD und Grüne wollen sicher kein Parlament, dessen politische Ränder noch stärker werden.
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