Seit 2006/2007 erinnern 27 Stolpersteine des Kunstprojekts von Gunter Demnig auch in Ravensburg an das Schicksal jüdischer Opfer des Nationalsozialismus. In der Wilhelm-Hauff-Straße 3 wurde jetzt ein Stolperstein für Paula Kahn angebracht.
Der bisherige war durch Straßenarbeiten verloren gegangen. Mit einer kleinen Feierstunde hat die Stadtverwaltung am Montag, 15. Juli den neuen, glänzenden Messingstein eingeweiht und dabei der jüdischen Mitbürgerin gedacht. Paula Kahn flüchtete 1940 vor den Nazis in die USA. Davor lebte sie in der Ravensburger Südstadt. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele.
Oberbürgermeister Dr. Daniel Rapp unterstrich in seiner Rede die Bedeutung der Erinnerungskultur in Ravensburg, die die vielen Einzelschicksale derer aufrechterhält, die zur Flucht gezwungen oder von den Nazis ermordet wurden. Die Stolpersteine sind Teil dieser Erinnerungskultur. Der OB dankte den Vertretern der Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung für ihr Engagement. Sie koordinieren die Patenschaften für die 27 Stolpersteine in der Stadt.
Beim Festakt gab Dr. Silke Schöttle, die Leiterin des Stadtarchivs einen Einblick in das Leben von Paula Kahn, die 1897 in Hessen als Tochter jüdischer Händler geboren wurde. Knapp 20 Jahre lang arbeitete Paula Kahn in Mannheim als Verkäuferin, bevor sie 1937 nach Ravensburg zog, wo ihre ältere Schwester Mathilde mit ihrem protestantischen Mann Edgar Kessler und der Tochter Margarete in der Wilhelm-Hauff-Straße 3 lebte. Als Beweggründe werden u. a. die seit 1933 stetig zunehmende Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Mitbürger vermutet. Paula Kahn arbeitete in der Warenhauskette „Woolworth“ (Wohlwert) am Marienplatz, dem damaligen Adolf-Hitler-Platz.
Arbeitslos wurde sie, nachdem die Schaufenster des noch einzig verbliebenen jüdischen Geschäfts am 10. November 1938 zerstört wurden und das Warenhaus bis zur Übernahme durch einen so genannten Arier polizeilich geschlossen wurde. Als das städtische Polizeiamt auf Paula Kahn Druck ausübte, die Stadt zu verlassen, hatte sie bereits ihre Auswanderung in die Vereinigten Staaten von Amerika in die Wege geleitet und eine Bürgschaft einer Tante aus New York erhalten. Die erzwungene Flucht gelang der damals 42-Jährigen Anfang 1940. Sieben Jahre später heiratete sie in Brooklyn und lebte bis zu ihrem Tod Ende 1964 in Richmond City in Virginia.
Das Einzelschicksal Paula Kahns stehe stellvertretend für alle Menschen, „die in unserer Stadt Opfer der nationalsozialistischen Ideologie wurden und aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Volkszugehörigkeit, ihres Glaubens, ihrer politischen Meinung oder ihrer Behinderung eingeschüchtert, ausgegrenzt, entrechtet, vertrieben, verfolgt, verhaftet, deportiert und ermordet wurden“, sagte Schöttle. Jeder einzelne Stolperstein müsse uns daran erinnern, „uns unermüdlich für Toleranz, gegenseitigen Respekt und ein menschliches Miteinander in unserem Gemeinwesen einzusetzen“.
Info:
Ehrenamtliche Paten für die Stolpersteine prüfen und reinigen ihren jeweiligen Stolperstein und kümmern sich um die Würdigung zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar. Interessierte können sich an Michael Hammer von der Gesellschaft für christlich-jüdische Begegnung wenden. Telefon: 01636675539, E-Mail: [email protected].
(Pressemitteilung: Stadt Ravensburg)