Fragen zur Bundestagswahl Landwirtschaft Kandidaten sind sich einig: „Landwirtschaftliche Betriebe müssen erhalten bleiben“

Kandidaten sind sich einig: „Landwirtschaftliche Betriebe müssen erhalten bleiben“
Dr. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Gerster (SPD) und Wolfgang Dahler äußerten sich zu Fragen über die Sicherstellung der Eigenversorgung von landwirtschaftlichen Produkten und der Zukunft der Landwirtschaft. (Bild: picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH/picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress/Wolfang Dahler CDU)

Vor einem Jahr gingen die Landwirte auf die Straßen und protestierten massiv gegen die Rahmenvorgaben und Gesetze der Ampel-Regierung. Was hat sich seither getan und wie ist der aktuelle Stand bei der Grundversorgung mit Lebensmitteln in Deutschland?

Wir fragten bei Dr. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Gerster (SPD) und Wolfgang Dahler (CDU) nach, die bei der kommenden Bundestagswahl als aussichtsreichsten Bewerber im Wahlkreis Biberach gelten.

Steffen Greubel, Chef des Handelsgiganten Metro, sprach vor kurzem (Dezember 2024)) wegen der Versorgung mit Lebensmitteln eine deutliche Warnung aus. Nach Greubels Worten stellt in naher Zukunft nicht mehr der Preis für Lebensmittel das Problem dar, sondern deren Verfügbarkeit! Wie soll die Eigenversorgung im Lande gewährleistet werden?

Gerster: „Schon jetzt gibt es bedauerlicherweise Regionen in der Welt, in denen die Lebensmittelversorgung problematisch ist und zum Teil Hunger herrscht. Das ist in Mitteleuropa seit der Nachkriegszeit zum Glück nicht mehr der Fall. Auch wenn es weltweit zunehmend Probleme bei der Lebensmittelproduktion geben sollte, werden wir angesichts unseres volkswirtschaftlichen Wohlstandes in der Lage sein, sich diese Lebensmittel leisten zu können. Europaweit haben wir gute klimatische Bedingungen und gute Böden, die eine solide Erzeugung von Lebensmitteln ermöglichen. Die EU-Agrarpolitik sorgt für angeglichene Wirtschaftsbedingen und steuert die landwirtschaftliche Produktion abhängig von den Erfordernissen und Ansprüchen. Dank der EU sind wir nicht allein, sondern haben einen Binnenmarkt, der für Ausgleich sorgt.

Auf die klimatischen Veränderungen müssen wir reagieren. Das können Landwirte z.B. mit Instrumenten zur Risikoreduzierung wie Kulturartenauswahl, chemischer und biologischer Pflanzenschutz, gezielte Sortenwahl, erweiterte Fruchtfolgen und Beregnungsanlagen. Wir haben in Deutschland ca. 11,7 Mio. ha Ackerland. Auf ca. 2,2 Mio. ha werden Energiepflanzen angebaut. Wenn es einen Engpass bei der Erzeugung von Nahrungsmitteln geben sollte, würden die Flächen für Energiepflanzen dafür genutzt werden können. Für die Produktion von Sonderkulturen, etwa im Gemüseanbau, gibt es bereits geschlossene Anbausysteme, die platzsparend in speziellen Gewächshäusern angelegt werden können.“

Dahler: „Unsere Landwirtschaft produziert immer noch einen Großteil unserer Nahrung: 

auf höchstem Niveau und hohen Umweltstandards. Darum müssen wir gerade unsere familienbetriebenen Höfe stärken, damit wir auch in Zukunft bestens und regional versorgt werden können. Als Mitglied der EU werden bei uns natürlich auch die Produkte aus anderen EU-Staaten und darüber hinaus auch aus anderen Ländern der Welt in den Geschäften angeboten. Neben all der Vielfalt, die wir heute genießen, ist aber ein hoher Selbstversorgungsgrad wichtig. Wir dürfen daher unsere Landwirte nicht mit einseitigen deutschen Regulierungen im europäischen Wettbewerb schlechter stellen gegenüber ihren Kollegen aus anderen Mitgliedsländern.

Natürlich müssen wir auf unsere Versorgungssicherheit achten. Gerade in der Pandemie haben wir gesehen, wie wichtig Lieferketten und Selbstversorgung sind. Die Ampel hat allerdings bei ihrem Vorgehen gegen landwirtschaftliche Tierhaltung den Strukturwandel negativ beschleunigt. Darum müssen auch hier, wie generell, Überregulierung, Bürokratie und Berichtspflichten abgebaut werden.“

Reinalter: „Die Versorgung mit Lebensmitteln ist in Deutschland nicht gefährdet. Angesichts der geopolitisch schwierigen Situation dürfen wir uns dennoch nicht zu sehr auf Importe bzw. globale Lieferketten verlassen. Wir können die Selbstversorgung mit Lebensmitteln in Deutschland, insbesondere bei Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten, nur verbessern, wenn die Betriebe schwarze Zahlen schreiben. Für uns ist entscheidend, dass Landwirte höhere Kosten entlang der Lebensmittelkette weitergeben und faire Preise erzielen können. Darüber hinaus wollen wir Grüne die Betriebe einkommenswirksam dafür entlohnen, wenn sie Umwelt, Klima und Biodiversität schützen.“

Bei Schweinefleisch ist der Selbstversorgungsgrad in Baden-Württemberg liegt nur noch knapp über 40 Prozent. Woher kommen die restlichen knapp 60 Prozent und zu welchen Bedingungen werden Die Tiere in den Exportländern gehalten (Vergleich zu deutschen Standards)?

Gerster: „Deutschlandweit liegt der Selbstversorgungsgrad bei Schweinefleisch bei 134%. Insbesondere in Nordrhein-Westfalen und Niedersachen sind große Betriebe angesiedelt, die sowohl für den Export als auch für die Versorgung in Deutschland Schweinefleisch produzieren. Richtig ist aber auch, dass auch aus anderen Ländern Schweinefleisch importiert wird, etwa italienische oder spanische Schinken.“

Dahler: „Wir haben in ganz Deutschland einen hohen Selbstversorgungsgrad mit Schweinefleisch. Wir importieren und exportieren viel, so wie es in einem vereinten Europa normal ist. Die Versorgung ist damit also auch bei uns gewährleistet. Die Frage ist weniger der Selbstversorgungsgrad eines Bundeslandes, sondern vielmehr, ob wir in Baden-Württemberg unsere regionale Landwirtschaft erhalten. Wollen wir, dass unser Fleisch von den Ferkeln über die Mast bis zum Schlachthof vor Ort erzeugt wird oder aus Norddeutschland oder anderen EU-Ländern wie Spanien kommt? 

Unsere Höfe prägen das Leben in unseren Dörfern. Die landwirtschaftlichen Betriebe in Oberschwaben sind in der Regel Familienbetriebe. Umfragen zeigen, dass sich fast jeder Landwirt ehrenamtlich engagiert, in der Feuerwehr, im Musikverein, im Sport, aber auch in der Kommunalpolitik. Diese Betriebe und ihre Familien gilt es zu schützen gegen eine – gerade in den vergangenen drei Jahren – ausgeübte Regulierungswut des grünen Landwirtschaftsministers und der Ampel insgesamt. Es waren die hohen Belastungen, die die Bauern auf die Straße gebracht haben.

Landwirte sollen heute auch verschiedenste gesellschaftliche Ziele erfüllen, wie Natur- und Umweltschutz, Landschaftspflege, Tierwohl und Nachhaltigkeit. Dies übernehmen unsere Landwirtinnen und Landwirte gern, aber dies geht nicht ohne mehr Wertschätzung und eine ordentliche finanzielle Unterstützung. Es muss auch für die nächste Generation der Landwirte eine Berufsperspektive geben. Nur so haben wir auch langfristig eine regionale Versorgungssicherheit für die Bevölkerung.

Wir wollen die landwirtschaftlichen Betriebe entlasten, Bürokratie abbauen und die Steuerrückerstattung beim Agrardiesel wieder auf den alten Wert anheben. Wir wollen dafür sorgen, dass es keine zusätzlichen nationalen Wettbewerbsnachteile, wie beim Agrardiesel, für die deutschen Bauern gibt. Besonders Schweinehalter haben in den letzten Jahren mit immer stärkeren nationalen Tierwohlauflagen zu kämpfen und haben oft ihre Betriebe aufgegeben.“

Reinalter: „Deutsche Schweinehalter erzeugten im Jahr 2023 rund 4,2 Millionen Tonnen Schweinefleisch. Verbraucht haben wir in Deutschland dagegen nur rund 2,9 Millionen Tonnen. Faktisch hat Deutschland damit einen Selbstversorgungsgrad von 134 Prozent. Deutschland ist also ein Nettoexporteur von Schweinefleisch. Unsere wichtigsten Abnehmerländer für Schweinefleisch sind Italien, Polen und Österreich. Um schweinehaltenden Betrieben eine Perspektive zu geben, machen wir mit der Tierhaltungskennzeichnung ihre Leistungen am Markt sichtbar und fördern den Umbau der Tierhaltung. Mit einer Milliarde Euro haben wir so viel Geld für die Weiterentwicklung der Schweinehaltung bereitgestellt wie keine Bundesregierung zuvor. Unser Ziel ist es, in möglichst vielen Betrieben Verbesserungen in der Tierhaltung möglich zu machen.“

Bei der Versorgung mit Pharma-Produkten rächt sich, dass wir zu stark vom Ausland abhängig sind. Warum macht sich Deutschland nun auch zunehmend bei Agrarprodukten vom Ausland abhängig?

Gerster: „Agrarprodukte waren schon immer Teil unseres internationalen Handels, der in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Dabei war Deutschland immer maßvoller Nettoimporteur. Eine zunehmende Abhängigkeit gibt es nicht. Es ist einfach günstiger, z.B. wärmeliebende Früchte bzw. Gemüse aus Südeuropa zu importieren, wo es in der kalten Jahreszeit viel energiesparender in dortigen Gewächshäusern angebaut werden kann als bei uns. Andere Agrarprodukte, die wir importieren, sind etwa Kaffee, Kakao, Bananen oder Orangen, die in anderen klimatischen Regionen angebaut werden. Gleichzeitig exportiert Deutschland wiederum viele Grundnahrungsmittel, von denen hierzulande mehr produziert als benötigt werden.“

Dahler: „Im Europäischen Binnenmarkt ist es normal, dass wir regen Handel auch mit Agrarprodukten haben. Auch verlangen die Verbraucher nach Produkten, die klimatisch weder in Deutschland noch in der EU erzeugt werden können. Das zeigt sich auch in der Vielfalt der Produkte, die wir heute aus vielen Ländern ganz selbstverständlich im Supermarkt finden. Nicht automatisch ist der Import ein Ausdruck der Unterversorgung.

Kauft man etwa italienische Nudeln, heißt das nicht im Umkehrschluss, dass wir zu wenig Weizen in Deutschland haben. Bei den wichtigsten Produkten wie Getreide, Kartoffeln, Milch und Fleisch haben wir einen Versorgungsgrad von 100 % und darüber, exportieren also. Bei Obst und Gemüse ist er traditionell niedriger, auch weil der Verbraucher ganzjährig Obst und Gemüse nachfragt, das hier nicht angebaut werden kann. Sicher ist es wichtig, mit gleichen Wettbewerbsbedingungen dafür zu sorgen, dass möglichst viele Agrarprodukte in Deutschland hergestellt werden können.“

Reinalter: „Wie kommen Sie darauf? Es ist doch so, dass sich Deutschland seit Jahren mit einer Versorgungsrate von fast 90 Prozent selbst mit Agrarprodukten versorgt. Bei Kartoffeln, Schweinefleisch, Milch oder Käse produziert Deutschland sogar mehr als 100 Prozent des eigenen Bedarfs. Es ist richtig, dass Tomaten aus Spanien, Niederlanden oder Marokko importiert werden. Daher wollen wir Grüne den Anbau von Gemüse und Obst fördern. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat unter der Führung von Cem Özdemir bereits einige Förderungen in diesem Bereich durchgeführt – aber wir sind uns sicher einig, dass die Versorgung mit Pharma-Produkten wichtiger ist als der Anbau von Tomaten.“

Trotz der Bauernproteste gibt es bei den Landwirten kein Aufatmen. Sie beklagen weiterhin zu geringe Planungssicherheiten, einen noch immer viel zu hohen Bürokratieaufwand und eine zu geringe Wertschätzung für ihre Arbeit.  Was soll geschehen, um die Landwirtschaft wieder attraktiver zu machen?

Gerster: „Landwirtschaftliche Betriebe gehören in Deutschland zum Kernbereich unserer mittelständisch geprägten Wirtschaft. Landwirtschaft hat jahrhundertelang die Identität der ländlichen Räume geprägt, die Arbeit der Landwirte verdient unseren Respekt. Wir wollen Landwirtinnen und Landwirte dabei stärken, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Jahrzehntelang haben CDU- und CSU-Minister das Bundeslandwirtschaftsministerium geführt.

In den vergangenen drei Jahren hat die von Olaf Scholz geführte Bundesregierung das größte Bürokratieentlastungspaket seit Jahrzehnten umgesetzt. Und dieser Prozess läuft intensiv weiter, so dass der Abbau von Bürokratie auch weiterhin mit Hochdruck angegangen werden muss.

Unser Ziel ist eine digitale und bürokratiearme Zukunft der Landwirtschaft. Dazu müssen alle Entscheidungsebenen – EU, Bund und Länder – ihre Regularien regelmäßig auf den Prüfstand stellen. Landwirtinnen und Landwirten wollen wir durch die Reform der Agrarförderung Rückendeckung geben und ihre Position in der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette stärken.

Ziel ist eine stärkere Honorierung und Vergütung von Leistungen, die den Arbeitskräften in der Landwirtschaft, den ländlichen Regionen sowie dem Tierschutz zugutekommen. Und, wir wollen auch die Landwirtschaft mit wettbewerbsfähigen Energiepreisen entlasten.“

Dahler: „Wir wollen zuerst die Steuerrückerstattung beim Agrardiesel wieder auf die alte Höhe heraufsetzen. Auch in anderen EU-Staaten erhalten die Bauern eine Vergünstigung beim Diesel. Biokraftstoffe und synthetische Kraftstoffe in der Land- und Forstwirtschaft wollen wir von der Energiesteuer befreien. Wir wollen die landwirtschaftlichen Betriebe entlasten und ihnen wieder Planungssicherheit geben.

Die Landwirte und der ländliche Raum sollen sich auf eine gute Finanzierung der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK), über die ein großer Teil der Förderung läuft, verlassen können. Dazu gehört auch, dass wir uns in Brüssel dafür einsetzen, dass das EU-Agrarbudget wieder gut ausgestattet wird und Bürokratie und Auflagen massiv vereinfacht werden, sodass kleinteilige Kontrollen wegfallen können. Neuen EU-Pflichten stellen wir uns frühzeitig entgegen.

Wir wollen junge Landwirtinnen und Landwirte flächendeckend besser fördern. Wir setzen auf Anreize, Vertragsnaturschutz, die Honorierung von Natur- und Umweltschutz sowie Innovationen. Wir sind gegen zwangsweise Flächenstilllegung. Wir wollen die Landwirte bei der artgerechten Tierhaltung mit mehr Tierwohl unterstützen und sorgen für eine ordentliche Finanzierung tierwohlgerechter Ställe. Wir müssen den Landwirten wieder mehr Vertrauen entgegenbringen.“

Reinalter: „Unser Ziel ist klar: Wir wollen landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland erhalten. Denn jeder Hof zählt. Während die CDU/CSU während ihrer Regierungszeit eine Kommission nach der anderen einsetzte, ihre Empfehlungen zur strukturellen Verbesserung für die Bauern aber nie umsetzte, haben wir Grüne geliefert. Wir haben die Verhandlungsposition der Landwirte gegenüber Supermarktketten verbessert und eine Weideprämie beschlossen.

Die steuerliche Tarifglättung wurde verlängert, damit Landwirte stärkere und schwächere Wirtschaftsjahre ausgleichen können. Wir Grüne sind die ersten, die in einem strukturierten Prozess Schritt für Schritt mit den Bundesländern unnötige Bürokratie in der Landwirtschaft abbauen. Hieran wollen wir anknüpfen, um gemeinsam mit unseren Landwirten die Landwirtschaft im Land zukunftsfest zu gestalten.“