Seit Jahresbeginn weiß fast jeder Bundesbürger, wie sauer die Landwirte auf die Politik sind. Eine kaum bewältigbare Bürokratie und immer neue Vorschriften belasten die Betriebe extrem. Auch die Erntebilanz der Landwirte fiel in diesem Jahr weniger zufriedenstellend aus. Wir fragten deshalb bei Martina Magg-Riedesser (Erste stellvertretende Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Biberach-Sigmaringen e.V.) und Kreisobmann Karl Endriß nach, wie sich die Lage für die Landwirte seit Januar verändert und entwickelt hat.
Herr Endriß, was haben die Proteste vom Januar bewirkt?
„Die Proteste vom Januar haben sehr viel bewirkt. Zum einen ist hier die große Zustimmung in der Bevölkerung zu nennen. Wir haben eine sehr große Solidarität und eine breite Unterstützung erfahren. Dies hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Forderungen der Landwirtschaft in der Politik gehört wurden. Die Besteuerung der Schlepper (grüne Kennzeichen), wurde wieder zurückgenommen, die Streichung der Agrardieselbeihilfe wurde gestreckt.
Auf EU-Ebene konnte die SUR (Pflanzenschutz) gestoppt werden. Hier konnten wir überzeugen, dass Pflanzenschutzmittelreduktion nur zusammen mit der Landwirtschaft gelingen kann und nicht per Verbote von oben. Hier wurde insbesondere auch auf den Baden-Württembergischen Weg des Biodiversitätsgesetz geschaut.“
Hat die „Politik“ mittlerweile begriffen, um was es für die Landwirte und Verbraucher geht?
„Hier habe ich noch meine Zweifel. Trotz vieler Zusagen und Versprechen von unserer Bundesregierung, wurde aktuell noch sehr wenig umgesetzt. Von einem Paket für die Landwirtschaft ist sprichwörtlich eine Postkarte in der Landwirtschaft angekommen. Von den Vereinfachungen bei der GAP (Gemeinsame Agrar-Politik), ist zum Beispiel die von der EU vorgegebenen Aussetzung der Stilllegungspflicht vom Bundeslandwirtschaftsminister nur zögerlich umgesetzt worden. Eine Vielzahl der Vorschläge vom Berufstand wurden leider nicht diskutiert.
In einem Interview in Agrar-Europe wird Renate Künast gefragt, warum es der aktuellen Regierung nicht gelungen ist, die Herausforderung zu meistern die Menschen mitzunehmen. Sie sagt, ich zitiere: ‚Ich diskutiere gerne, allerdings darf Mitnehmen auch kein Totschlagargument sein. Politik hat mit Mut zu tun. Als gewählte Abgeordnete haben wir die Verpflichtung, das als notwendige Erkannte für das Land und die Landwirtschaft zu entscheiden.‘ Diese Aussage lässt nicht unbedingt darauf hoffen, dass die Politik begriffen hat, um was es der ganzen Gesellschaft (nicht nur der Landwirtschaft) geht.“
Frau Magg-Riedesser, welche neuen Vorhaben der Bundesregierung/Landwirtschaftsministers Özdemir bringen die Bauern erneut in die Bredouille?
Uns wurde mit der sogenannten Stromstoffbilanz ein weiteres Bürokratiemonster aufs Auge gedrückt. Mit der Stoffstrombilanzverordnung soll ein nachhaltiger und ressourceneffizienter Umgang mit Nährstoffen in landwirtschaftlichen Betrieben sichergestellt werden. Dadurch sollen Nährstoffverluste aus der Landwirtschaft verringert, die Nährstoffeffizienz verbessert und der Umweltschutz gewährleistet werden. Das bedeutet, dass wir fast einen Tag für die Erstellung dieser Bilanz aufwenden müssen.
Die LKV (Landesverband BW für Leistungs- und Qualitätsprüfungen in der Tierzucht e.V.) hat uns Schweine-Halter zu Abgangsmeldungen von Tieren (seit 1. August 2023) verpflichtet. Diese müssen wir vornehmen, wenn die Tiere den Betrieb verlassen. Dazu ist die Anzahl der Tiere, das Datum und der übernehmende Betrieb zu melden. Sofern mehrere Abgänge an einem Tag an denselben Übernehmer erfolgt sind, kann dies zusammengefasst werden. Sofern jedoch Tiere an einem Tag an mehrere, verschiedene Übernehmer abgegeben werden, muss für jede Aktion eine eigene Meldung erfolgen.
Die ITW (Initiative Tierwohl) stellt ab Januar schon wieder höhere Anforderungen an die Haltung. So sollen u.a. Duschen, Suhlen und Verdunkelungen installiert werden. Das Tierwohlgesetz hat Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir erst vor kurzem vorgestellt. Das alles wird immer mehr zu einem Fass ohne Boden und viele Landwirte stellen sich deswegen die Frage, ob Landwirtschaft überhaupt noch Sinn macht.“
Ist die derzeitige Regierung bereit, ihre oft ideologiegetriebenen Beschlüsse zu überdenken und was bedeutet dies für die Zukunft der Landwirtschaft?
„Sehe ich mir an, dass wir Landwirte im Juli – ausgerechnet zur Erntezeit – damit überrascht wurden, in Zukunft nur noch zertifiziertes Saatgut verwenden dürfen, habe ich so meine Zweifel. Auch hier schlägt die Bürokratie wieder zu. Es muss eine Bescheinigung erstellt werden. Neben der Anbaufläche soll u.a. Kaufbelege für Z-Saatgut nach Sorten und verwendeter Menge nachgewiesen werden. Argumentiert wird damit, dass durch die Verwendung von Z‑Saatgut (Zertifiziertes Saatgut), der Landwirt in der arbeitsintensiven Ernte- und Aussaatzeit weniger zusätzlichen Aufwand habe und sich somit auf sein Kerngeschäft konzentrieren könne.
Wenigstens einen kleinen Lichtblick am Horizont scheint sich abzuzeichnen. Wirtschaftsminister Robert Habeck hat angekündigt, sich um das Thema Bio-Gas zu kümmern. Die ersten Anlagen fallen aus der 20jährigen EEG-Förderung (Erneuerbare- Energien-Gesetz). Habeck will nun eine Lösung für diese Anlagen finden, wie und unter welchen Umständen diese Anlagen weiterbetrieben werden können. Aber dies ist nur eine Ankündigung, die am Prozess beteiligten Partner haben bis jetzt noch keinerlei Informationen.“
Wie entwickelt sich Stimmung und Einkommen bei den Landwirten?
Endriß: „Brauche ich die Frage noch beantworten? Die Landwirtschaft ist trotz der Erfolge zutiefst enttäuscht. Die Stimmung entsprechend. Wir konnten aktuell nur eine durchschnittliche Ernte einfahren. Obwohl die Weltgetreidebilanz ein negatives Vorzeichen hat und die Versorgung auf den niedrigsten Stand seit 2015/16 gefallen ist, können wir keine höheren Erlöse für unsere Produkte erzielen. Das ist leider mehr als ernüchternd.“
Magg-Riedesser: „Die Stimmung ist schlecht, die Finanzlage schwierig, die Ernte war bescheiden und die Politik ist leider wenig verlässlich. Das durchschnittliche Einkommen eines Betriebes lag im letzten Jahr bei etwa 70.000 Euro, je Arbeitskraft bei etwa 30.000 bis maximal 35.000 Euro. Will ein Betrieb Mitarbeiter beschäftigen, hat er aber zwei riesige Probleme: Woher soll er Mitarbeiter für sich gewinnen, der Arbeitsmarkt gibt kaum etwas her? Zudem sind die Lohnkosten deutlich gestiegen!
Bei uns Schweinemästern ist das Problem, dass wir Ferkel für 120 Euro je Stück zukaufen und für Schlachtschweine gerade mal 2 Euro/Kilogramm bekommen. Tendenz eher fallend. Etwas besser sieht es bei den Kollegen der Rind- und Milchviehhaltung aus.“