Kommentar Gesundheitspolitische Geisterfahrt von Ministerin Warken

Gesundheitspolitische Geisterfahrt von Ministerin Warken
Ob Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) mit den Vorschlägen zum Ausbau des Leistungsangebotes der Apotheken erfolgreich ist, vermag im Moment niemand zu sagen. Widerstände der Ärzte sind wohl zu erwarten. (Foto: BMG/Jan Pauls)

Aus dem Gesundheitsministerium kommen nun Vorschläge für eine Apothekenreform. Ziel dieser Überlegungen ist u.a., die Apotheken zu stärken, die Gründung von Zweigapotheken zu erleichtern und neue Leistungen, die bisher den Ärzten vorbehalten waren, zu übernehmen. Demnach sollen Apotheken zukünftig u.a. Leistungen zur Vorbeugung und Früherkennung bei Herz- und Kreislauferkrankungen anbieten können, auch Impfungen sollen dann dort möglich sein. Ein weiterer Baustein dieser Vorschläge ist, dass Patienten nicht nur mit Corona-Tests, sondern auch mit Schnelltests zu Erregern (z.B. Noro- oder Influenzaviren) über die Apotheken versorgt werden können.

Wir fragten bei der Landesapotheker-Kammer und der Landesärztekammer nach, wie sie diese Vorschläge beurteilen.

„Der wirtschaftliche Druck auf die Apotheken nimmt zu“

Dr. Martin Braun, Präsident der Landesapothekerkammer begrüßt Teile der Vorschläge: „Die Pläne der Gesundheitsministerin zur besseren Nutzung der heilberuflichen Kompetenz der Apothekerschaft, zum Beispiel im Bereich präventiver Angebote oder durch eine Erweiterung der Impfleistungen, begrüßen wir ausdrücklich. Wir sehen eine zunehmende Belastung der Arztpraxen, was den Zugang der Bevölkerung zu Gesundheitsleistungen erschwert. Gleichzeitig wird unsere Gesellschaft immer älter und die Gesundheitskosten werden immer höher. Mit den Apotheken bieten wir eine flächendeckende Versorgung – gerade auch in ländlichen Gebieten – und können durch die vom BMG (Bundesministerium der Gesundheit) skizzierten zusätzlichen Pharmazeutischen Dienstleistungen einen großen Mehrwert für die Gesundheit der Bevölkerung schaffen und Ärzte entlasten.“

Sorgen bereiten den Apothekern der wirtschaftlich zunehmende Druck: „Seit über 20 Jahren wurde das Honorar für Apotheker praktisch nicht erhöht – ganz unbeachtet der steigenden Inflation und der stark gestiegenen allgemeinen Betriebskosten. Dass hier nicht, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, endlich Abhilfe geschaffen wird, ist fahrlässig und setzt nicht nur die Existenz vieler weiterer Apotheken vor Ort, sondern auch die flächendeckende Versorgung der Menschen mit Gesundheitsdienstleistungen insgesamt aufs Spiel. Eine Erhöhung des Apothekenhonorars auf 9,50 Euro ist nicht nur ein Wunsch, diese ist essenziell für das Überleben vieler Apotheken,“ so Braun.

Skeptisch blickt der Kammerpräsident auf die Überlegungen des Ministeriums zur Gründung von Zweigapotheken: „Die vorgeschlagene Erleichterung trägt definitiv nicht zur Schließung von drohenden Versorgungslücken bei. Zweigapotheken sind ein möglicher Ansatz, um eine Not-Versorgung sicherzustellen, können aber niemals vollwertige Apotheken ersetzen. Insbesondere zu Notdienstzeiten würden diese wegfallen und somit müssten in Notfällen trotzdem lange Wege auf sich genommen werden. Die einzige Lösung, um die flächendeckende Versorgung zu erhalten, ist eine spürbare wirtschaftliche Stärkung der Apotheken und die angemessene Honorierung der Arbeit von Apothekern.“

Im Anhang finden Sie außerdem ein Foto des Präsidenten, das Sie gerne mit Angabe der Quelle „Landesapothekerkammer Baden-Württemberg“ veröffentlichen dürfen.

„Aufgabenteilung zwischen Ärzten und Apothekerschaft hat sich bewährt“

Eine andere Sicht auf die Vorschläge hat Dr. Wolfgang Miller, Präsidenten der Landesärztekammer Baden-Württemberg: „„Die Apothekerinnen und Apotheker tragen mit ihrer Arbeit essenziell zur Gesundheitsversorgung bei und leisten mit der Arzneimittelversorgung einen großen Beitrag. Das Durchführen von Untersuchungen, das Impfen und das Verordnen von verschreibungspflichtigen Medikamenten gehören aber in die Hand der Ärztinnen und Ärzte. Gerade die Hausärztinnen und Hausärzte kennen die individuelle Situation der Patienten und können die Vorgeschichte, die Symptome, Untersuchungsergebnisse und Therapie ohne Kommunikationsbrüche koordinieren – und dort, wo es nötig ist, Fachärztinnen und Fachärzte oder auch Spezialkompetenzen im Krankenhaus direkt in die Versorgung einbinden. Das alles ohne ärztliche Mitwirkung anzubieten, ist ein Schritt in die völlig falsche Richtung. Dadurch wird die Versorgung nicht gestärkt, sondern verschlechtert. Die Ressourcen, letztlich die Krankenkassenbeiträge von uns allen, werden weniger zielgerichtet eingesetzt.“

Miller verweist in seiner Stellungnahme darauf, dass der größte Teil der Diagnosen durch das Patientengespräch und eine körperliche Untersuchung gestellt werden. Der Ärztepräsident sieht auch eine Verunsicherung der Patienten durch die Überlegungen im Bundesgesundheitsministerium: „Technische Untersuchungen und Labordiagnostik dienen lediglich der Differenzierung. Diagnostik in der Apotheke führt in vielen Fällen zur Verunsicherung. Die Menschen gehen im Zweifel dann oft zusätzlich zum Arzt. Damit ist genau das Gegenteil von dem erreicht, was eigentlich erwirkt werden sollte, nämlich eine sinnvoll abgestimmte Versorgung.“

Eindeutig ist seine Stellungnahme zur Verordnung von Medikamenten: Verschreibungspflichtige Medikamente dürfen aus gutem Grund nur von Ärztinnen und Ärzten verordnet werden. Dazu braucht es Sorgfalt und Erfahrung in der Ausübung der ärztlichen Heilkunde. Und jede Impfung erfordert ebenfalls individuelle Beschäftigung mit dem Menschen. All dies ist selbstverständlich gegeben bei der Haus-, Betriebs- und Fachärzteschaft. Das gehört zur ärztlichen Grundkompetenz.“

Nicht bedacht wurde, so Miller, die Doppelrolle als Arzt und Apotheker: „Es ist gesetzlich verboten, gleichzeitig als Arzt und Apotheker niedergelassen zu sein. Die Aufgabenteilung zwischen Ärzte- und Apothekerschaft hat sich bewährt und darf nicht ohne Not aufgeweicht werden. Jeder hilft in seinen Grenzen und in seinem eigenen Kompetenzbereich den Menschen; als Partner stellen die Apothekerinnen und Apotheker zusammen mit den Ärztinnen und Ärzten die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicher. So muss es bleiben.“

Kommentar

„Schuster, bleib bei deinem Leisten!“

Zugegeben, die Gesundheitspolitik ist eine große Herausforderung für die Politik. Was jahrzehntelang in die falsche Richtung ging, soll nun schnellstens wieder auf die Reihe gebracht werden. Besieht man sich die Lage, dann ist eine schnelle Lösung kaum in Sicht. Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, die Ärzteschaft und auch die Apotheker möchte höhere Vergütungen, die Krankenversicherungen sind dick im Minus, die Krankenkassenbeiträge steigen.

Ob es geschickt war, eine Juristin als Bundesgesundheitsministerin zu berufen, kann man spätestens nach den veröffentlichten Vorschlägen, die eine „Stärkung“ der Apotheken vorsieht, bezweifeln. So sollen beispielsweise Untersuchungen zur Vorbeugung und Früherkennung von Herz- Kreislauferkrankungen, Diabetes und gewisse Impfungen von Apotheken vorgenommen werden können.

Im Ernst? Hier geht wohl der Gaul mit den Ideengebern durch. Es gibt beispielsweise ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, das zu einer Apotheke und dessen Personal so nicht vorhanden sein kann. In der Apotheke erwarten Patienten Auskünfte zu Risiken und Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Vertrauensvoll wenden sich Patienten auch an das Apothekenpersonal, wenn es um die nicht verschreibungspflichtigen Medikamente und um das Randsortiment in den Apotheken handelt. Dass Apotheker und ihr Personal zu einer vernünftigen Anamnese (professionelle Erfragung von potenziell medizinisch relevanten Informationen durch Fachpersonal!) fähig sind, darf wohl mit nein beantwortet werden. Dies ist jedoch zur richtigen Behandlung von Patienten unerlässlich. Ebenso stellt sich die Frage, woher Apotheker mit ihren Teams, Kenntnisse für Impfungen haben sollen. Was vermutlich nicht bedacht wurde, ist auch die Haftungsfrage. Eine Apotheker-Haftpflicht sieht keinen Schutz für Patienten/Apotheker vor, wenn durch Behandlungsfehler Regressforderungen geltend gemacht werden.

Wenn die Angelegenheit, bei der es um die Gesundheitsversorgung von Menschen/Patienten geht nicht so ernst wäre, könnte man im Sinne dieser Überlegungen auf weitere abstruse Ideen kommen: So beispielsweise, dass Tierärzte zu Geburten gerufen werden, Metzger bei Operationen assistieren, Schmiede (wie einst) dem Zahnarzt zur Hand gehen, und Optiker als Assistenten bei der Augenheilkunde eingesetzt werden.

„Schuster, bleib bei deinem Leisten!“, möchte man da sagen. Das gilt auch für die Ministerin, die als Juristin auf dem Posten des Bundes-Justizministeriums vermutlich besser aufgehoben wäre. Aktuell liegt die Gesundheitsversorgung selbst auf der Intensivstation und es scheint, als ob das bisherige System nicht mehr richtig funktioniert. Mit den vorgestellten Überlegungen zeigen die Politiker, wie weit weg sie von der Realität sind und offensichtlich in einer eigenen Blase leben.

Nicht parteipolitische Erwägungen sollten für die Besetzung von Posten maßgeblich sein, sondern die Kompetenz für das Amt, das sie übernehmen sollen. Wäre dies der Maßstab, wäre der Republik und den Bürgern gedient, beim heiklen Thema Gesundheitsversorgung ohnehin!