Die Firmen Hensoldt und Airbus (Defence and Space) haben bei einer Kundgebung in Ulm deutlich davor gewarnt, deutsche Rüstungs-Unternehmen bei zukünftigen Aufträgen zu umgehen. Sehr kritisch sehen die Firmen, dass deutsche Bundesregierung vermehrt auf die Beschaffung von Flugzeugen und Hubschraubern aus den USA setzt. Auch am Bodensee hatte die IG Metall mit betroffenen Firmen eine Kundgebung veranstaltet. Auch dort wurde beklagt, dass das milliardenschwere Sondervermögen für die Bundeswehr kaum bei deutschen Firmen ankomme.
Wir fragten bei den Abgeordneten der Region nach, wie sie diese Proteste bewerten und ob die Zeitenwende zum „Rohrkrepierer“ wird.
Gerster: „Konsequent auf marktverfügbare Beschaffung setzen“
Der Abgeordnete Martin Gerster (SPD) verwies in seiner Stellungnahme zuerst auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg des russischen Präsidenten Putin gegen die Ukraine: „Das bedeutet eine dramatische Veränderung der europäischen Sicherheitsarchitektur. Zurecht sprach Bundeskanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 von einer Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Zeitenwende, das bedeutet auch, wir machen Schluss mit der Vernachlässigung der Bundeswehr nach 16 Jahren Unionsführung des Verteidigungsministeriums. Dafür steht auch und gerade das Engagement von Verteidigungsminister Boris Pistorius für die Bundeswehr.
Hier ist ein echter Spurwechsel im vollen Gange hin zu einer schnelleren und planmäßigen Beschaffung von Ausrüstung und Ausstattung für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr. Minister Pistorius hat dafür unter anderem die Ausstattung der Streitkräfte konsequent auf marktverfügbare Beschaffungen ausgerichtet, um die Vernachlässigung vergangener Jahre schnellstmöglich überwinden zu können. Denn Deutschland muss als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich starkes Land in der Mitte Europas das Rückgrat der kollektiven Verteidigung in Europa sein.“
In seiner Antwort beleuchtete Gerster auch die Auswirkungen auf den Landkreis Biberach: „Er profitiert enorm vom Sondervermögen Bundeswehr. Acht Milliarden Euro werden investiert, um neue schwere Transporthubschrauber für die Standorte Holzdorf und Laupheim zu beschaffen. Darüber hinaus wird der Standort Laupheim erneuert für 350 Millionen Euro. Von einem Rohrkrepierer kann keine Rede sein. Endlich wird daran gearbeitet, dass die Bundeswehr uns im Ernstfall auch wirksam verteidigen kann.“
Rief: „Teile der Politik lebten bis 2022 in einem naiven Pazifismus“
Josef Rief (CDU) kommt zu einer deutlich anderen Beurteilung: „Der Bundeskanzler hat nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die Zeitenwende im Bundestag verkündet, die zum Inhalt hatte, mit einem Sondervermögen von 100 Mrd. Euro die Bundeswehr wieder fit zu machen und gleichzeitig 2 Prozent der Wirtschaftsleistung, wie innerhalb der Nato vereinbart, für die Verteidigung auszugeben.“ Kritisch äußert er sich auch zur Zeit der Großen Koalition: „Wir haben als CDU in den vergangenen Jahren in der Großen Koalition immer gegen intensiven Widerstand der SPD lediglich moderate Erhöhungen des Verteidigungshaushalts durchsetzen können.
Wir haben immer auf den Zustand der Bundeswehr hingewiesen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, dass vor Februar 2022 in weiten Teilen der Politik ein geradezu naiver Pazifismus gelebt und die Bundeswehr nicht als Verteidigungskraft gesehen wurde. Vielmehr sollte sie für humanitäre Einsätze da sein. Diese Sichtweise hat uns 2022 eingeholt. Deutschland hatte Putin den Eindruck vermittelt, es sei nicht willens, verteidigungsfähig zu sein. Wir waren erleichtert über das letztliche Umdenken des Kanzlers und haben als CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem 100 Milliarden Euro Sondervermögen zugestimmt.“
Aus Sicht von Rief ist es ein Versäumnis der Regierung, dass einerseits das Geld nicht schnell genug verplant werde und die Industrie weiter auf Aufträge warte. Er verwies auch auf den im Haushalt vorgesehen Verteidigungs-Etat: „Mit dem aktuellen Bundeshaushalt hält Kanzler Scholz sein 2 Prozent-Versprechen nicht einhält. Wenn irgendwann das Sondervermögen aufgebraucht ist, steht die Bundeswehr mit einer erheblichen Finanzierungslücke da und ist vom Ausgabenziel weit entfernt.“
Aus seiner Sicht sei es dringend notwendig, dass Bundesverteidigungsminister Pistorius, den unter Unionsführung begonnenen Reformprozess in der Bundeswehrverwaltung weiter vorantreibe. Seine Vorgängerin Lambrecht war aus Sicht von Rief ein Totalausfall. „Es kann nicht sein, dass man immer noch Dinge erleben muss wie bei der Beschaffung von Funkgeräten, die dann nicht in die Fahrzeuge eingebaut werden können. Auch muss die Vergabepraxis so verschlankt werden, dass wir schneller ans Ziel kommen, wenn das Geld schon einmal eingeplant ist. Hier bleibt viel zu tun. Ich wünsche Herrn Pistorius viel Erfolg bei seiner Arbeit. Weitere Ausfälle auf diesem Gebiet können wir uns nicht leisten. Ob die Zeitenwende ein ‚Rohrkrepierer‘ ist, wird sich in wenigen Jahren zeigen, inwieweit wir die Ziele erreicht haben. Festzustellen ist, dass wir mehr Geld für Verteidigung ausgeben, wie die Union immer gefordert hat, und dass wir nach langem Zögern auch in angemessenem Umfang Waffen an die Ukraine liefern. SPD und Grüne mussten dazu erst einmal eine ‚innere ideologische Zeitenwende‘ machen.“
Rief verdeutlichte in seiner Stellungnahme, dass die Männer und Frauen bei der Bundeswehr mit der richtigen Ausstattung, die jetzt schnell kommen müsse, sehr wohl in der Lage seien unser Land zu verteidigen. Er sieht die Bundewehr auch in der Lage, einen gewichtigen Beitrag zur Verteidigung im NATO-Bündnis zu leisten.
Reinalter: „Wir lassen industriepolitische Aspekte nicht außer Acht“
Wie ihr Koalitionskollege Gerster verwies Dr. Anja Reinalter (Bündnis90/Die Grünen) auf die Annexion der Krim und Teile der Ostukraine 2014, sowie die brutale Attacke Russlands auf die gesamte Ukraine. Das Sondervermögen der Bundeswehr sieht sie als richtige Antwort auf diese Entwicklung: „Es ist eine kluge Lösung, um möglichst zügig wesentliche Fähigkeitslücken der Bundeswehr zu beheben ohne andere Aufgaben des Bundes einzuschränken.
Dazu gehört eben auch, möglichst marktverfügbare Produkte und Waffensysteme zu bestellen. Dabei geht es im Wesentlichen um Fähigkeitslücken und nicht um industriepolitische Fragen. So sind unter anderem neue LEOPARD 2-Panzer, PUMA-Schützenpanzer, aber eben auch F-35-Flugzeuge in Auftrag gegeben worden. Wenn wir marktverfügbare Produkte beschaffen, hilft das Kosten zu sparen und Interoperabilität zu gewährleisten. Gleichzeitig lassen wir aber industriepolitische Aspekte nicht außer Acht. So konnte im Rahmen der F-35-Beschaffung eine Ansiedlung für die Produktion eines wichtigen Bauteils in Deutschland erreicht werden. Die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie in Deutschland sind gut gefüllt.“
Die Abgeordnete ist überzeugt, dass eine Reform des Beschaffungswesens notwendig bleibt: „Das ist eine Daueraufgabe. Es wurde u. a. eine Task Force Beschaffung gegründet, die sich um Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben kümmert. So wurde die Nachbeschaffung der an die Ukraine abgegebenen LEOPARD 2-Panzer und PUMA-Schützenpanzer in kürzester Zeit auf den Weg gebracht.“
Zeitenwende, so Reinalter, bedeute aber nicht nur mehr Geld für die Bundeswehr. Eine Verengung auf die Beschaffung und das Verteidigungsministerium wäre aus ihrer Sicht zu kurz gegriffen: „Unsere Demokratie muss auch gegen innere Gegner widerstandsfähig aufgestellt sein. Soziale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle.“