Seit Monaten ist bekannt, dass ZF (Friedrichshafen) in den nächsten Jahren bis zu 12000 Mitarbeiter abbauen will. Gestern demonstrierten am Stammsitz tausende Mitarbeiter gegen diese Pläne. Ebenfalls schlechte Nachrichten kommen von VW. Dort ist wohl die Schließung von zwei Werken im Gespräch. Auch dort formiert sich Gegenwehr durch die Gewerkschaften und dem Betriebsrat. Es ist nicht auszuschließen, dass weitere deutsche Automobilhersteller durch die aktuell schwierige Absatzkrise zu ähnlichen Maßnahmen greifen und auch die Automobilzulieferer kommen gehörig unter Druck.
Wir fragten deshalb bei den Bundestagsabgeordneten der Region nach, wie sie diese Entwicklung sehen und einordnen.
Josef Rief (CDU): Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nicht mehr konkurrenzfähig
Nach der Einschätzung von Rief, reihen sich die schlechten Nachrichten von VW in eine Vielzahl von Meldungen aus der Industrie ein: „Wenn die großen Unternehmen wie ZF, Bosch, Miele, BASF und Thyssen-Krupp Probleme haben, schlägt das immer auch auf die Mittelständler in unserer Region durch. Man kann auch sagen, die schlechten Nachrichten sind bei uns angekommen. Fast täglich lesen wir von Stellenstreichungen oder -Verlagerungen ins Ausland. VW hat sicher auch hausgemachte Probleme.“
Der Abgeordnete sieht den Wirtschaftsstandort Deutschland offenbar als nicht mehr konkurrenzfähig an: „In den vergangenen drei Jahren sind 253 Milliarden Euro Investitionen ins Ausland geflossen. Die Ampel sagt, das wäre eine konjunkturelle Delle. Es ist aber die verfehlte Industrie- und Energiepolitik. Solange die Autohersteller keine bezahlbaren Modelle für den Massenmarkt anbieten, sind die Fahrzeuge für den Otto-Normal-Verbraucher nicht bezahlbar. Die Förderung zu streichen, macht dem kleinen Aufschwung, den wir damals gestartet hatten, nun ein Ende.“
Rief ist überzeugt, dass das der völlig falsche Weg war, um einen Gebrauchtmarkt aufzubauen: „Manche Menschen wollen oder können keinen Neuwagen kaufen. Bis dahin müssen wir weiter auf sparsame, bezahlbare Verbrenner setzen. Wir fordern Technologieoffenheit beim Klimaschutz um gute, effiziente Verbrenner in Deutschland bauen zu können. Wir haben uns in der EU dafür eingesetzt, dass es auch nach 2035 Verbrenner geben darf. Es ist gut, dass die alte und neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dies mitträgt.“
Für die Automobilindustrie fordert Rief eine klare Strategie, damit es zeitnah eine verlässliche Perspektive gibt: „Derweil muss weiterhin auch an alternativen Kraftstoffen wie E-Fuels gearbeitet werden. Es gibt viele Bereiche wie LKWs auf Landstrecke, Baufahrzeuge oder die Landwirtschaft, wo ein Batteriebetrieb in weiter Ferne liegt oder nach den Erkenntnissen der überwältigenden Zahl der Fachleute auch niemals sinnvoll möglich sein wird.“
Martin Gerster (SPD): Beschäftigte dürfen nicht Leitragende sein
Für Martin Gerster ist die Krise bei VW beunruhigend, sie stehe sicher ein Stück weit stellvertretend für aktuelle Herausforderungen bei der Automobilindustrie: „Große internationale Konkurrenz, höhere Energiekosten als noch vor ein paar Jahren und nötige Investitionen in hohem Umfang, um weiterhin innovativ zu bleiben. Dazu kommt eine große Abhängigkeit von bestimmten Absatzmärkten wie z.B. China, das derzeit wirtschaftlich angeschlagen ist.“
Auf der einen Seite, so Gerster, müssten die Automobilhersteller jetzt alles dafür tun, um wieder wettbewerbsfähig zu werden: „Durch Technologieführerschaft, Qualität und bezahlbare Produkte. Die Wachstumsinitiative der Bundesregierung enthält eine Reihe von Maßnahmen, die die Automobilindustrie auf diesem Weg unterstützen, z.B. verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten und eine ausgeweitete Forschungszulage. Auf der anderen Seite sollte der Staat in solchen Umbruchphasen eine aktivere Rolle einnehmen, um für Unternehmen gute Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Gerster betont, dass die SPD-Bundestagsfraktion bereits seit längerem wettbewerbsfähige Strompreise fordere. Dies solle durch einen Transformationsstrompreisgesichert werden und, da wo nötig, auch über Investitionsprämien gesichert werden. Eine solide Förderung für Elektroautos und der entsprechenden Ladeinfrastruktur habe in den letzten Jahren einen Boom bei E-Mobilität ausgelöst, die man gerade jetzt fortführen sollte: „Leider ließ sich vor allem ein Koalitionspartner bisher nicht von solchen Maßnahmen überzeugen. Hier ist auch die Politik auf Bundes- und EU-Ebene gefordert, pragmatische Lösungen zu finden,“ so Gerster.
Für den Abgeordneten steht aber auch fest: „Wenn Konzerne jahrelang hervorragend verdienen und darüber wichtige technologische Weichenstellungen deutlich zu spät vornehmen oder sogar ganz versäumen, dann dürfen jetzt nicht die Beschäftigten die Leidtragenden sein. Werksschließungen und ein Stellenabbau der hoch qualifizierten Mitarbeiter sind der völlig falsche Weg.“
Prof. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen): Verfehlte Unternehmenspolitik
Für die schwachen Zulassungszahlen bei der E-Mobilität gibt es, so Reinalter, mehrere Gründe: „Die deutschen Automobilhersteller haben teilweise zu spät in diese Technologie investiert. Wir haben hier noch immer keine günstigen und gleichzeitig sparsamen Autos im Angebot. Schon vor der E-Mobilität wurde die Kleinwagensparte in Deutschland größtenteils abgewickelt, weil die Margen geringer als bei Mittel- und Premiumklasse sind. Das rächt sich jetzt leider und zeigt sich in sämtlichen Märkten, in denen VW aktiv ist z.B. in China, wo VW eigentlich 40 Prozent seines Gewinns erwirtschaftete, nun aber im Eiltempo aus dem Markt gedrängt wird: mangels Angebote, die die Kunden auch wollen. Die verfehlte Unternehmenspolitik einiger Autokonzerne – auch günstige Fahrzeuge anzubieten – wird den Automobilherstellern nun zum Verhängnis.“
Reinalter sieht eine Verunsicherung bei viele Menschen. Die E-Mobilität wurde, so Reinalter, seit letztem Jahr massiv schlecht geredet. Die Debatte um saubere alternative Kraftstoffe sei kontrovers und teils irreführend. Reinalter stellt zur aktuellen Situation die Frage: „Was kann die Politik jetzt noch machen?“
Die Antwort liefert die Abgeordnete gleich hinterher: „Wir haben in den letzten zwei Jahren die Anzahl öffentlicher Ladepunkte fast verdoppelt. Es sind nun mehr als 130.000. Wir werden den Ausbau zügig voranbringen, sodass Ende 2025 eine feingliedrige Ladeinfrastruktur steht. Wir unterstützen E-Mobilität direkt mit diversen Steuernachlässen. Wir haben die Ansiedlung von verschiedenen Batterieunternehmen nach Deutschland herbeigeführt und unterstützen unmittelbar die Batteriezellforschung in Deutschland. Das führt zu weniger Rohstoffverbrauch der Batterien und letztlich zu günstigeren Preisen. Die Weichen sind gestellt.“