Lebensretter im Hintergrund: Die Leitstellendisponenten der Notrufzentrale

Lebensretter im Hintergrund: Die Leitstellendisponenten der Notrufzentrale
Die DRK-Leitstelle Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg. Langweilig wird es den Leitstellendisponenten nie. (Bild: DRK)

Ravensburg (dpi) – Am 11. Februar ist Tag des Notrufs. Das Wochenblatt hat mit einem Menschen hinter der 112, dem Leiter der DRK-Leitstelle Bodensee-Oberschwaben, über seine Arbeit und Erlebnisse gesprochen.

Der 11. Februar ist nicht umsonst als Tag des Notrufes auserkoren worden. Denn das Datum enthält die entscheidenden Zahlen: 112. „Es ist eigentlich auch der Tag der Leitstellendisponenten“ sagt Jörg Pfeifer, Leiter der Leitstelle Bodensee-Oberschwaben. Er ist bereits seit 20 Jahren im medizinischen Bereich tätig und leitet seit 2015 die DRK-Leitstelle mit Sitz in Ravensburg. Insgesamt drei Standorte, in Friedrichshafen, Ravensburg und Sigmaringen kümmern sich um die Notrufe in den Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und Sigmaringen.

112: Der Tod eines Kindes brachte den Stein ins Rollen

Ein tödlicher Unfall im Jahr 1969 sorgte für eine große Veränderung im Rettungswesen in Deutschland. Der damals 8-jährige Björn Steiger wurde, eine Woche vor seinem neunten Geburtstag, auf dem Nachhauseweg von einem Auto angefahren. Mehrmals wurden Polizei und Rettungsdienst alarmiert, waren aber aufgrund des nicht-vorhandenen Alarmierungssystems erst in einer Stunde am Unfallort. Björn Steiger starb noch während des Transports in ein Krankenhaus an einem Schock. Seine Eltern gründeten im Anschluss auf den schmerzhaften Verlust ihres Kindes die „Björn Steiger Stiftung e.V.“ und setzten sich zum Ziel, ein bundesweit funktionierendes Rettungssystem zu etablieren.

Die Einführung der Notrufnummer 112 und der Polizei-Notrufnummer 110, sowie die dazugehörige Leitstellenstruktur im Jahr 1973, gehören bis heute zu den größten Errungenschaften der Björn Steiger Stiftung.

Was ist ein Leitstellendisponent?

Wenn man die 112 wählt, hat man einen der rund 50 Mitarbeiter der DRK-Leitstelle Bodensee-Oberschwaben am Telefon. Standartmäßig ist die Leitstelle mit neun Disponenten besetzt. Bei größeren Schadenslagen sei es aber auch möglich, personell deutlich aufzustocken. „Wir übernehmen die Spurenstellung bei Notfällen“ erklärt Jörg Pfeifer, Leiter der Leitstelle Bodensee-Oberschwaben. Wie viele Rettungswagen benötigt werden, ob ein Notarzt kommen muss oder ob Reanimationsmaßnahmen gestartet werden müssen, das bewerten die Disponenten über die Informationen, die sie am Telefon übermittelt bekommen. Das ist aber oft nicht leicht, denn für viele ist es das erste Mal, dass sie den Notruf wählen.

„Viele sind aufgeregt, wenn sie bei uns am Telefon sind“, so Pfeifer. Große Kommunikationsprobleme gäbe es aber vor allem bei ausländischen Touristen, die am Bodensee Urlaub machen. „Und manchmal rufen Autofahrer an, die sagen, es gab einen Unfall. Wenn man sie dann aber fragt, was passiert ist, dann sagen sie, sie sind weitergefahren“, klagt Pfeifer. Durch das sogenannte AML-System sei es mittlerweile aber möglich, dass ein Handy per GPS direkt nach dem Anruf auf drei bis vier Meter genau geortet wird.

Diese Voraussetzungen braucht ein Leitstellendisponent

Der Beruf des Leitstellendisponenten ist alles andere als nur ein wenig rumtelefonieren. „Es ist sehr schwierig passend qualifiziertes Personal zu finden“ sagt Jörg Pfeifer. Die Voraussetzung, um in einer Leitstelle arbeiten zu können, sind eine medizinische, sowie eine feuerwehrtechnische Ausbildung und Qualifikationen im Katastrophenschutz. Auch Kenntnisse in der nicht-polizeilichen Gefahrenabwehr gehören zu den Voraussetzungen, die ein Leitstellendisponent mitbringen muss.

So oft wurde der Notruf 2021 in der Region Bodensee Oberschwaben gewählt

Für die Leitstellenmitarbeiter der DRK-Leitstelle in Ravensburg war das Jahr 2021 arbeitsreich. Ganze 111.393 Mal wurde die 112 in den Regionen Allgäu, Bodensee und Oberschwaben gewählt. Das sind im Schnitt rund 300 Anrufe auf der 112 am Tag. Die Anrufe sollten von den Disponenten in fünf Sekunden abgenommen werden, was wegen des hohen Einsatzaufkommens aber oft nicht möglich ist.

Die fünf W´s des Notrufs

Wichtig ist bei einem Notruf die Beantwortung der wichtigen W-Fragen:

Wo ist es passiert?
Ort, PLZ/Stadtteil, Straße, Hausnummer, Stockwerk, Firma, Betriebsteil.

Was ist passiert?
Verkehrsunfall, Feuer, besondere für Sie erkennbare Gefahren, z.B. Verkehrsunfall mit einem Gefahrguttransporter, bei einem Verkehrsunfall ist/sind eine oder mehrere Personen eingeklemmt und ähnliches.

Wie viele Verletzte/Erkrankte gibt es?

Welche Art von Verletzungen/Erkrankungen liegen vor?
Versuchen Sie Angaben über die Verletzungen/Erkrankungen zu machen, z.B. Schock, bewusstlose Person, Herz- und Atemstillstand, starke Blutungen…

Warten auf Rückfragen!
Warten Sie auf Rückfragen der Leitstelle. Der Disponent der Leitstelle beendet das Gespräch! Sollten Sie ein Handy benutzt haben, lassen Sie es für evtl. Rückfragen eingeschaltet!

Das war das schlimmste Erlebnis von Leitstellen-Leiter Jörg Pfeifer

Seit 20 Jahren ist DRK-Leitstellen Leiter Jörg Pfeifer im Rettungswesen aktiv. Eine Situation, die er im Januar 2020 hautnah am Telefon mitbekam, geht ihm so schnell nicht mehr aus dem Kopf. Eine Frau hatte in Billafingen (Bodenseekreis) mit einem Fleischhammer auf ihren Mann eingeschlagen. Als der 78-Jährige der Frau den Hammer abnehmen konnte, wählte er den Notruf. Die 84 Jahre alte Frau übergoss ihren Mann dann anschließend mit Benzin und zündete ihn an. Jörg Pfeifer unterstützte seine Kollegen damals am Telefon und musste die Situation hautnah miterleben. „Das war wirklich die erste Situation in meiner beruflichen Karriere, die mich sehr mitgenommen hat“ sagt Pfeifer. „Tötungen und Kindesmissbrauch, das sind sehr belastende Einsätze“.

Bei solch traumatischen Erlebnissen werden die Leitstellenmitarbeiter aus dem Dienst genommen und von der sogenannten PSNV-E betreut. Die Psychosoziale Notfallvorsorge ist speziell für Einsatzkräfte, deren Erlebnisse und Bedürfnisse ausgebildet.

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Eine Anruferin meldete sich 2018 über den Notruf. Ein Mann hatte einen Herzinfarkt. Sofort leiteten die Leitstellendisponenten die Telefon-Reanimation ein und gaben der Anruferin genaue Anweisungen. Bei einem Herzstillstand kommt es auf jede Sekunde an. Die Frau konnte mit Unterstützung und unter telefonischer Anleitung der Leitstelle die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte überbrücken und rettete ihm das Leben. Wenige Zeit später meldeten sich Anruferin und der Patient bei der Leitstelle in Ravensburg und bedankten sich persönlich bei den Disponenten für ihre Arbeit. „Es gab ein Treffen in der Leitstelle, wo sich beide für unsere Arbeit bedankten. Das war sehr schön.“, so Pfeifer rückblickend.

Doch diese Erlebnisse seien nach wie vor die Ausnahme. „Wir würden uns manchmal gerne mehr Aufmerksamkeit wünschen“ sagt Jörg Pfeifer dem WOCHENBLATT. Die Leitstellendisponenten sind die Lebensretter im Hintergrund und das sollte man nie vergessen. Ohne die Leitstellen und das funktionierende Rettungswesen in Deutschland wären tragische Geschichten, wie die des 8-jährigen Björn, immer noch an der Tagesordnung.