„Gegen die Feinde der Demokratie werden wir uns wehren“ – Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview

„Gegen die Feinde der Demokratie werden wir uns wehren“ – Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview
Ministerpräsident Winfried Kretschmann will die Einhaltung demokratischer Spielregeln gewahrt wissen. (Bild: picture alliance/dpa | Marijan Murat)

Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist derzeit nicht nur als oberster Krisenmanager des Landes in der Corona-Pandemie gefordert. Herausfordernd sind derzeit Themen wie Klimawandel, Gefahren durch Hass und Hetze im Internet. Auch die Zukunft der Mobilität auf den Straßen spielt im „Autoland“ Baden-Württemberg eine gewichtige Rolle. Wir konnten zu diesen Themen mit dem Landesvater ein Interview führen.

Herr Ministerpräsident, wie sehen Sie die Entwicklung der Corona-Demonstrationen im Land? Wie ist Ihre Meinung zu den Spaziergängern?

Wir müssen immer differenzieren zwischen friedlichen Demonstrationen und extremistischen Aufstand. Protest und Kritik gegen die Corona-Maßnahmen sind völlig legitim, solange die Menschen friedlich bleiben und argumentieren. Protestierenden jedoch, die aggressiv gegen den Staat agitieren, muss der Staat einen Riegel vorschieben. Wir führen mit allen einen Dialog, die an einem Dialog interessiert sind: Unser Bürgertelefon ist geschaltet, meine Staatsrätin hat ein Bürgerforum zu Corona gemacht, wir sprechen auch mit Impfgegnern und Impfskeptikern. Doch gegen die Feinde der Demokratie werden wir uns wehren.

Stehen Sie als Ministerpräsident während der Pandemie unter besonderem Druck? Wo sind die besonderen Herausforderungen UND wie gleichen Sie das aus?

Natürlich stehen wir Politiker unter großem Druck. Das besondere an der Corona-Pandemie ist ja, dass diese Krise wirklich alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens trifft. Trotz sorgfältiger Abwägungen lässt es sich deswegen in seltenen Fällen nicht vermeiden, dass in unseren Verordnungen auch mal Widersprüche entstehen. Außerdem machen wir ständig einen schwierigen Spagat, denn unsere Maßnahmen müssen sowohl verhältnismäßig als auch wirksam sein. Das macht es so kompliziert. Natürlich ist es nicht einfach, dann auch mal abzuschalten – aber es ist wichtig, um den Akku wieder aufzuladen. In solchen Momenten entspanne ich mich gern daheim. Zusammen mit meiner Frau schaue ich dann zum Beispiel die alten James-Bond-Filme, ich kenne sie alle und habe sie alle zuhause.

Ist der Umgang mit der Corona-Pandemie die herausforderndste Aufgabe Ihrer langen politischen Laufbahn?

Die Herausforderung ist gewaltig. Und im Vergleich zur Flüchtlingskrise 2015 sind die Aufgaben noch viel größer und existenzieller. Die Pandemie greift ja unmittelbar in den Alltag eines jeden Menschen ein – und sie dauert jetzt schon zwei Jahre an. Aber man muss Krisen annehmen. Man darf nicht hadern, denn das blockiert die Kreativität. Und gerade in einer Krise muss man einfach jederzeit kreativ sein und sich etwas einfallen lassen. Baden-Württemberg gilt als Bundesland mit einer starken Wirtschaft.

Wird dies auch nach der Pandemie der Fall bleiben oder sehen Sie gewisse Sparten – wie Gastronomie, Kultur oder Hotellerie – in ihrer Existenz gefährdet?

Die Corona-Pandemie trifft unsere Wirtschaft schwer. Doch bislang konnten wir mit schnellen und zielgenauen Wirtschaftshilfen schwerwiegende Auswirkungen auf unsere Unternehmen verhindern. Stets haben wir die Bundesprogramme mit eigenen Hilfen ergänzt, immer im engen Schulterschluss mit den betroffenen Branchen. Heute sind viele Auftragsbücher voll und auch beim privaten Konsum gibt es Nachholbedarf, deswegen rechne ich nach der Pandemie mit einer wirtschaftlichen Erholung. Ich bin mir sicher, dass unser Land auch nach der Pandemie ein innovativer und wirtschaftlich starker Standort sein wird.

Trotz der Finanzkrise durch die Corona-Pandemie hat sich die Landesregierung die umstrittene Werbekampagne „The Länd“ rund 22 Millionen Euro kosten lassen, um damit Fachkräfte anzulocken. Wie erfolgreich war denn die Kampagne nach den ersten drei Monaten?

Mit dem Start der Kampagne im Herbst wurde THE LÄND erst einmal in Baden-Württemberg bekanntgemacht – unser Claim ist ja hierzulande in aller Munde! Auch unser Shop war innerhalb weniger Tage ausverkauft. Gerade bei jungen Menschen kommen unsere Werbeartikel extrem gut an! Ganz viele Anfragen zu Firmenkooperationen mit THE LÄND zeigen uns, dass der Bedarf einer solchen Kampagne da ist. Und in einer Umfrage gaben kürzlich 73 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger hierzulande an, dass sie die Kampagne glaubwürdig finden. 61 Prozent von ihnen gefällt die Kampagne. Wir haben mit der neuen Dachmarke einen Nerv getroffen, gerade bei denen, die mit Werbung und Marketing zu tun haben. Übrigens: Unser Budget von 21 Millionen Euro verteilt sich auf drei Jahre und entspricht dem, was die Vorgängerkampagne anfangs zur Verfügung hatte – obwohl diese nur national eingesetzt wurde und keinen internationalen Anspruch hatte.

Welche Themen haben Sie denn außer Corona gerade auf dem Tisch?

Nehmen wir die Klimakatastrophe, auf die wir zusteuern: Wenn sich die Erde über zwei Grad erwärmt, dann werden ganze Länder untergehen und viele Menschen durch Hitzewellen sterben. Meine Landesregierung setzt alle Hebel in Gang, um den Klimawandel zu stoppen. Auch der fürchterliche Amoklauf an der Universität in Heidelberg hat mich sehr bewegt. Wir müssen die Hintergründe dieser Tat schnell aufklären. Zudem haben wir einen Kabinettsausschuss eingerichtet, der gegen den derzeit grassierenden Hass und die Hetze im Internet vorgehen wird. Die Themen gehen uns wirklich nicht aus.

Wo soll der notwendige Strom herkommen, wenn alle Bürgerinnen und Bürger auf E-Auto umsteigen? Und wie sehen Sie die Zukunft der Tankstellen?

Damit der Umstieg auf das E-Auto auch die Treibhausgase deutlich mindert, muss der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell vorangetrieben werden. Die Versorgungssicherheit in einem Stromsystem, das in erster Linie auf Wind- und Solarenergie basiert, kann zum Beispiel über flexible Backup-Kraftwerke oder neue Speichertechnologien gewährleistet werden. Auch müssen wir die Energieeffizienz steigern, den Stromerbrauch reduzieren und natürlich die Stromnetze ausbauen. Die großen Energieversorger sind gerade dabei, eine flächendeckende Schnellladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge aufzubauen. Und das spürt man, schon heute fahre ich auch privat fast nur noch mein Elektroauto. Für die freien Tankstellen ist der Umstieg auf alternative Antriebe natürlich eine echte Herausforderung. Aber für sie eröffnen sich dadurch auch neue Möglichkeiten, etwa mit einer Investition in den Aufbau eines Schnellladeparks.