Ravensburg (le) – Weihnachten steht auch mit Covid 19 vor der Tür. Das Fest der Liebe und der Familie. Was aber ist mit den Menschen, die einsam sind und ungewollt alleine? Dieses Jahr wird es kein Entfliehen in die Kneipe um die Ecke oder in ein Restaurant geben? Was bleibt, ist die Einsamkeit und die Enge der eigenen vier Wände. Jetzt wird die Situation spürbarer als sonst und das Gedankenkarussell läuft auf Hochtouren. Für solche und viele andere Lebenskrisen ist die TelefonSeelsorge Oberschwaben-Allgäu-Bodensee ein Rettungsanker. Hier hat sich die Nachfrage in den letzten Monaten stark erhöht. Wir haben bei Dr. Gabriela Piber von der TelefonSeelsorge Ravensburg nachgefragt.
Wie viele Anrufe gehen bei Ihnen im Jahr ein?
Wir haben gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 15 Prozent. Bis jetzt erreichten uns 12.200 Anrufe – allein in Ravensburg. Der Anstieg hat eindeutig mit der Corona-Krise zu tun. Die dadurch entstehende Problematik treibt die Menschen um, einige sind wütend und andere machen sich Sorgen um ihre Gesundheit, die aktuelle Arbeitssituation und wie es weitergeht.
An Weihnachten wird Einsamkeit besonders bewusst. Ist das die Zeit der meisten Anrufe?
Wir haben das ganze Jahr über Saison. Weihnachten ist dennoch eine besondere Zeit. Familienkonflikte brechen auf, Jugendliche haben Stress mit den Eltern oder der Freundin und Situationen schaukeln sich hoch. Im Gegenzug bedanken sich aber auch Anrufer und signalisieren: „Toll, dass es Euch gibt und Ihr immer erreichbar seid – auch in der Nacht“.
Kann man sicher sein, dass die Anrufe bei der TelefonSeelsorge anonym sind und nicht zurückverfolgt werden können?
Anonymität ist für beide Seiten ganz wichtig. Nur wer sich sicher fühlt, öffnet sich. Auf dem Display erscheint keine Nummer, es gibt keine Namen, keine Fangschaltung und die Adresse unserer Zentrale ist aus Sicherheitsgründen geheim.
Wie sieht die Hilfe am Telefon aus. Reicht Zuhören oder gibt es auch Ratschläge und Adressen für Hilfsangebote?
Zuhören ist die erste und beste Antwort. Wichtig ist, die Situation auszuloten und zu verstehen, was den Menschen emotional gerade beschäftigt. Das Zuhören ist wie eine Selbststeuerung und der nächste Schritt kommt dann oft von ganz alleine. Wir vermeiden gutgemeinte Ratschläge. Wenn es zur Situation passt, geben wir Infos zu anderen Einrichtungen.
Es gibt bei Ihnen eine Krisen-Kompass-App (on- und offline). Wie muss man sich den „Notfall-Koffer für die Hosentasche“ vorstellen?
Hauptsächlich Jugendliche und Nutzer eines Smartphones greifen auf dieses Angebot mit den verschiedenen Funktionsweisen zurück. Es gibt z.B. eine Tagebuchfunktion und persönliche Archive, um positive Gedanken oder Lieder zu speichern. Sie kann als eigenes Rüstzeug für schlechte Momente gepackt werden. Darüber hinaus gibt es Materialien, die in Krisensituationen hilfreich sind. Wichtig ist die direkte Kontaktmöglichkeit zur TelefonSeelsorge und anderen professionellen Anlaufstellen.
Der Telefoneinsatz wird von Ehrenamtlichen gestemmt und ist rund um die Uhr – an 365 Tagen. Wie viele Mitarbeiter sind im Einsatz?
Mit den Auszubildenden sind wir in Ravensburg derzeit 100 Personen. Es gibt bei 24 Stunden 5 Schichten. Im Durchschnitt dauert ein Gespräch ca. 25 Minuten.
Der Anruf bei der TelefonSeelsorge ist kostenlos. Wer bezahlt die Gebühr?
Die Kosten für die Anrufe übernimmt die deutsche Telekom. Die TelefonSeelsorge mit Sitz in Ravensburg ist eine ökumenische Einrichtung der beiden Kirchen in Oberschwaben, Allgäu und Bodensee. Die Kosten für die drei Hauptamtlichen und den sonstigen Geschäfts- und Raumbedarf wird hauptsächlich von ihnen getragen. Die Landkreise und einzelne Städte geben noch notwendige Zuschüsse. Spenden sind immer willkommen.
Haben Sie genug ehrenamtliche Telefonengel?
Ja, darüber sind wir sehr froh. Wer Interesse hat, kann sich aber gerne auf unserer Homepage www.telefonseelsorge-ravensburg.de/Mitarbeit oder bei unserer Geschäftsstelle, Tel. 0751 / 3597770 informieren und auf einer Interessenliste eintragen lassen. Die komplexe Ausbildung geht 2 Jahre. Die Bezahlung ist die Bildung. Sie fördert die intensive Persönlichkeitsentwicklung und ist eine große Erfahrung und Bereicherung für jeden.
Die Problempalette der Betroffenen ist sicherlich breit?
Die reicht vom Liebeskummer über Gesundheit bis hin zur akuten Krise und Suizidgefährdung.
Wie gehen die Mitarbeiter bei Anrufen, die sehr zu Herzen gehen, um?
Für die Mitarbeiter gibt es fortlaufende Reflexionsgespräche und fachliche Unterstützung durch Supervisionen und Fortbildung.
Info: Sorgen kann man teilen: 0800/111 0 111 · 0800/111 0 222 · www.krisen-kompass.app der Anruf und die App ist kostenfrei!