Haushaltsurteil verunsichert auch Länder – Bundesrat tagt

Haushaltsurteil verunsichert auch Länder – Bundesrat tagt
Bundesfinanzminister Christian Lindner ruft die Ampel-Koalition angesichts der Haushaltskrise zum Sparen auf. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

Deutsche Presse-Agentur

Das Karlsruher Haushaltsurteil wirbelt die Finanzen des Bundes kräftigt durcheinander. Auch die Länder schauen mit Bangen nach Berlin. Und wie sieht die Zukunft der Schuldenbremse aus?

Erstmals seit dem Karlsruher Haushaltsurteil kommt an diesem Freitag der Bundesrat zusammen. Die Länder fragen sich, welche Finanzzusagen des Bundes noch gelten, nachdem in der vergangenen Woche das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt hat. Unterdessen rief Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Ampel-Koalition angesichts der Haushaltskrise zum Sparen auf. «Wir reden von einem erheblichen zusätzlichen Konsolidierungsbedarf», sagte er dem «Handelsblatt». Es gehe um zweistellige Milliardenbeiträge pro Jahr.

Ampel will im laufenden Jahr Ausnahme von Schuldenbremse

Die Ampel-Koalition will wegen des Karlsruher Haushaltsurteils für dieses Jahr noch die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen. Lindner hatte am Donnerstag angekündigt, er werde dem Kabinett in der kommenden Woche in Absprache mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) einen Nachtragshaushalt vorlegen. Eine Ministeriumssprecherin Lindners fügte hinzu, die Bundesregierung werde dem Bundestag vorschlagen, eine außergewöhnliche Notlage zu erklären. So sollen Kredite nachträglich rechtlich abgesichert werden, die in diesem Jahr bereits genutzt wurden.

Bei dem Haushaltsurteil aus Karlsruhe geht es um Geld, das als Corona-Kredit bewilligt worden war, aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden sollte. Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen. Deshalb sind weitere Milliardensummen für Zukunftsvorhaben gefährdet.

Wachstumschancengesetz und Kindergrundsicherung im Bundesrat

Betroffen sein könnte das sogenannte Wachstumschancengesetz, über das der Bundesrat entscheiden soll. Es sieht steuerliche Entlastungen für Unternehmen bis 2028 von jährlich sieben Milliarden Euro vor, die der lahmenden deutschen Wirtschaft neuen Schwung verleihen sollen. Allerdings wird die Umsetzung ohnehin nicht so schnell beginnen, weil die Länderkammer zu dem vom Bundestag bereits beschlossenen Gesetz voraussichtlich den Vermittlungsausschuss anrufen wird. Die Länder kritisieren, dass sie und die Kommunen rund zwei Drittel der Kosten des Gesetzes zu tragen hätten. Dies überfordere sie.

Auch die umstrittene Kindergrundsicherung wird die Länderkammer am Freitag beschäftigen. Sie kann dazu zunächst nur eine Stellungnahme abgeben. Über dem Milliardenprojekt schwebt seit dem Urteil aus Karlsruhe ebenfalls ein Fragezeichen. CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits einen Verzicht darauf sowie auf das höhere Bürgergeld und das Heizungsgesetz gefordert, um die Haushaltslücke zu schließen.

Bundeshaushalt fürs nächste Jahr noch in der Schwebe

Weiter offen ist, wann der Bundeshaushalt 2024 verabschiedet werden kann. Die Ampel-Fraktionen von SPD, Grünen und FDP haben die dafür vorgesehene Haushaltsberatungen im Bundestag in der kommenden Woche abgesagt. Einen Abschluss vor Jahresende haben sie aber noch nicht ganz aufgegeben. Es gebe die Möglichkeit von Fristverkürzungen und Sondersitzungen, heißt es in der Koalition. Scholz sagte am Mittwoch, er rechne mit einem zügigen und sehr zeitnahen Abschluss.

Lindner sagte dem «Handelsblatt», ratsam sei, den Haushalt 2024 und 2025 zusammen zu betrachten. «Denn strukturelle Änderungen sind aus meiner Sicht unausweichlich.» Nach Lindners Worten muss neben dem Klima- und Transformationsfonds auch der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds, aus dem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert wird, in diesem Jahr auf eine andere Rechtsgrundlage gestellt und 2024 beendet werden. Auch der Aufbauhilfefonds für die Opfer des Hochwassers 2021, der von der Vorgängerregierung gebildet wurde, sei verfassungsrechtlich nicht sicher.

Debatte über Zukunft der Schuldenbremse

Auf die Frage, ob er auch 2024 eine Notlage ausrufen werde, sagte Lindner, er befasse sich derzeit nur mit 2023. Forderungen nach einer Lockerung der Schuldenbremse erteilte er aber eine klare Absage. Auch Steuererhöhungen soll es nach seinen Worten nicht geben.

Grüne und SPD wollen hingegen über die Zukunft der Schuldenbremse reden. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Donnerstag im ZDF-«heute journal»: «Die eine ist die Frage der Aussetzung, also zum Beispiel auch für 2024 oder 2025. Die müssen wir jetzt innerhalb der Regierung diskutieren», sagte sie. Die zweite Frage betreffe eine grundlegende Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. SPD-Chefin Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Freitag):  «Wir befinden uns weiterhin in einer krisenhaften Situation, deren Auswirkungen auch im kommenden Jahr zu spüren sein werden.» Es werde notwendig sein, die Ausnahmeregelung auch für 2024 zu ziehen.

Wüst fordert klares Wort von Scholz

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst forderte konkrete Aussagen von Bundeskanzler Scholz (SPD). Die Menschen erwarteten Klarheit, sagte der CDU-Politiker vor der Sitzung des Bundesrats in Berlin. Unternehmen und Kommunen dürften nicht die Leidtragenden der Schuldenprobleme der Bundesregierung sein. «Und deshalb ist jetzt der Bundeskanzler gefordert, auch ein klares Wort zu sprechen zur Lage. Was geht noch? Was geht vielleicht auch nicht mehr? Und wie kommen wir durch diese schwierige Zeit?»

Die Schuldenbremse nannte Wüst einen «Schutzwall gegen die Übergriffigkeit der gegenwärtigen Regierung in das Portemonnaie künftiger Regierungen». Das Prinzip sei gut und richtig. Es sei jetzt nicht die erste Frage, wo man wieder Geld herhole. «Jeder Mensch, der pleite ist, muss sich erstmal ehrlich machen und das gilt auch für die Bundesregierung.»

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, sprach sich dagegen aus, an der Schuldenbremse zu drehen. Er sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag): «In Zeiten von Rekordeinnahmen des Staates ist nicht die Schuldenbremse das Problem, sondern das verfassungswidrige Wirtschaften der Ampel-Koalition. Die Regierung ist offenkundig nicht in der Lage, Prioritäten zu setzen.»

Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse gibt dem Bund nur einen geringen Spielraum zur Aufnahme von Krediten. Ausnahmen sind bei Naturkatastrophen und in außergewöhnlichen Notsituationen zulässig, wie zuletzt wegen der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine.