Die kontinuierliche Abnahme der Apothekenversorgung vor Ort

Die kontinuierliche Abnahme der Apothekenversorgung vor Ort
Martin Schulze, Apotheker und Leiter der pharmazeutischen Kundenbetreuung bei mycare.de, stellte sich den Fragen von Wochenblatt-Media. (Bild: mycare.de)

Unlängst erreichte uns eine Nachricht zur Apothekenversorgung in der Republik. Die Versandapotheke mycare.de untersuchte die Apothekenversorgung in Deutschland. Bonn führt mit der höchsten Apothekendichte unter den größeren Städten, Stadtstaaten wie Berlin, Bremen und Hamburg weisen die geringste Apothekendichte auf. Das Land Baden-Württemberg nimmt mit 1,9 Apotheken je 10.0000 Einwohnen einen Platz auf den hinteren Rängen ein.

Die ganze Untersuchung gibt es hier: www.mycare.de

Wir nahmen die Meldung zum Anlass und nahmen mit Martin Schulze, Apotheker und Leiter der pharmazeutischen Kundenbetreuung bei mycare.de, Kontakt auf.

Herr Schulze, was sind die Gründe für den starken Rückgang der Apotheken?

Der Rückgang der Apothekenzahlen in Deutschland hat vielfältige Ursachen. Zum einen steht ein großer Teil der Apothekeninhaber kurz vor dem Ruhestand und findet oftmals keine geeigneten Nachfolger. Die Neu-Eröffnung einer Apotheke gilt als finanziell sehr riskant, weil die Rahmenbedingungen durch sinkende Erträge bei verschreibungspflichtigen Medikamenten und gestiegene Betriebskosten erschwert werden. Zudem haftet ein Apotheker als eingetragener Kaufmann (e.K.) mit seinem Privatvermögen, sodass der Schritt in die Selbstständigkeit sehr gut überlegt werden muss. Da viele Apotheken kein sehr gutes betriebswirtschaftliches Ergebnis nachweisen können, ist die Chance auf eine Übernahme oder Verkauf sehr gering.

Gibt es eine Erklärung, warum der Versorgungsgrad mit Apotheken in den Stadtstaaten und Ländern so unterschiedlich ausfällt und warum ausgerechnet in strukturschwachen Regionen wie z.B. Saarland, Sachsen-Anhalt die Apothekendichte so hoch ist?

Es sind wahrscheinlich viele Gründe möglich, aber aus meiner Sicht ist es unabhängig, wie strukturschwach oder stark eine Region ist. Letztendlich muss der Standort attraktiv sein und das ist er ohne Ärzte nun mal nicht. Viele Städte in den genannten Ländern haben eine große Zahl an Apotheken. Wobei sich inzwischen auch hier zeigt, dass viele davon sich wirtschaftlich kaum noch halten können. Hinzu kommt ein hoher Grad an Filialisierung, das heißt, bevor sich noch ein Konkurrent niederlässt, mache ich lieber eine zweite, weniger lukrative Apotheke auf. Jeder Apotheker darf neben seiner Hauptapotheke bis zu drei Filialapotheken betreiben.

Ist die Idee von Prof. Karl Lauterbach (SPD) Apotheken ohne Präsenz eines Apothekers zu betreiben sinnvoll und zielführend?

Der Vorschlag, Apotheken künftig auch ohne die physische Präsenz eines Apothekers betreiben zu können, ist sicher gut gemeint und soll vor allem Versorgungslücken in unterversorgten Regionen schließen. Aus pharmazeutischer Sicht sehe ich diese Idee jedoch äußerst kritisch. Die persönliche Beratung durch approbiertes Fachpersonal ist ein zentrales Element der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Gerade bei Fragen zu Wechselwirkungen, individuellen Dosierungen oder möglichen Nebenwirkungen braucht es eine qualifizierte Einschätzung – und dafür trägt der Apotheker oder die Apothekerin die Verantwortung. Zwar lässt sich diese Beratung heute zum Teil auch auf digitalem Weg organisieren.

So beraten beispielsweise bei mycare.de approbierte Apotheker, PTAs, Pharmazieingenieure und Pharmazieökonomen unsere Kunden telefonisch oder per E-Mail individuell. Das zeigt, dass pharmazeutische Betreuung nicht zwingend an eine klassische Ladentheke gebunden ist. Dennoch ist es aus unserer Sicht problematisch, den Präsenz-Apotheker völlig aus dem Konzept zu streichen, da viele Aufgaben, wie zum Beispiel die Herstellung einer Rezeptur, die Anwesenheit eines Apothekers zwingend erfordert. Statt Apotheken ohne Apotheker zuzulassen, sollten alternative Modelle wie die Telepharmazie ausgebaut werden, bei denen Patienten auch aus der Ferne sicher und fachkundig betreut werden können – mit der Expertise, die nur ein approbierter Apotheker oder eine approbierte Apothekerin leisten kann.

Ist der wirtschaftliche Druck durch die Versandapotheken mit maßgeblich, für den Rückgang der Apotheken vor Ort?

Der Wettbewerb mit Versandapotheken ist zweifellos ein Faktor, der zur wirtschaftlichen Belastung vieler stationärer Apotheken beiträgt. Durch effizientere Strukturen, größere Einkaufsmengen und zentralisierte Logistik können Versandapotheken Medikamente häufig günstiger anbieten und gleichzeitig einen hohen Servicelevel gewährleisten. Das hat insbesondere in urbanen Gebieten zu einem veränderten Einkaufsverhalten geführt, weil viele Patienten gezielt nach Preisvorteilen und Komfort suchen.

Gleichzeitig darf man aber nicht vergessen, dass der Versandhandel auch einen wichtigen Beitrag zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung leistet – vor allem dort, wo Vor-Ort-Apotheken aus den vorher genannten Gründen zunehmend schließen. In ländlichen Regionen, in denen die nächste Apotheke mitunter mehrere Kilometer entfernt liegt und ohne Auto kaum erreichbar ist, bietet der Versand eine verlässliche und niedrigschwellige Alternative. Gerade für ältere, chronisch kranke oder mobilitätseingeschränkte Menschen stellt er so eine echte Erleichterung im Alltag dar. Der inländische Versandhandel ist also kein Gegner der stationären Apotheke, sondern vielmehr ein ergänzendes Modell, das hilft, Versorgungslücken zu schließen, wo andere Strukturen nicht mehr greifen.

Warum haben die deutschen Apotheker nicht frühzeitig eine eigene Versandapotheke gegründet und auch den Trend zu einer dazugehörigen App für Online-Bestellungen verpasst?

Die Zurückhaltung vieler Apotheken gegenüber dem Versandhandel hat unterschiedliche Gründe. In den Anfangsjahren herrschte rechtliche Unsicherheit darüber, ob und in welchem Umfang der Versandhandel überhaupt zulässig ist. Zudem war die Errichtung einer Versandapotheke mit hohen Investitionen verbunden – für Lagerflächen, Personal, Software und Logistik. Diese Einstiegshürden waren für viele Betriebe neben dem Tagesgeschäft oft nicht zu stemmen. Nicht zuletzt wurde der Versandhandel lange Zeit als Konkurrenzmodell verstanden, dem man eher mit politischen Mitteln entgegentreten wollte, als ihn als Chance zur Weiterentwicklung des eigenen Angebots zu begreifen. In dieser Phase wurde leider viel Zeit verloren.

Lässt sich dieser Rückstand auf die Marktgegebenheiten wieder aufholen und gibt es Bestrebungen dazu?

Der Rückstand ist meiner Meinung nach nicht mehr aufzuholen. Das notwendige Kapital ist nicht verfügbar, da gegenüber einer Aktiengesellschaft keine gleichwertigen Finanzverhältnisse bestehen. Daher sind viele auch der Meinung, dass ein Versandverbot von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die einzige Lösung darstellt. Mit Einführung des E-Rezepts fällt zudem der lästige Umweg der Einsendung der Rezepte per Post weg, was dem etablierten Versandhandel zusätzlichen Schub gibt. Hier heißt es nun den Anschluss nicht zu verlieren, woran unsere Standesvertretung arbeitet. Aber an ein Aufholen ist nicht zu denken.

Viele Menschen beklagen, dass Sie bei größeren Bestellungen in der Apotheke mindestens zweimal hinkommen müssen, weil nicht alle Medikamente liefer-/verfügbar sind. Das ist lästig und oft auch zeitaufwendig. Warum ist das so?

Jede Apotheke verfügt über begrenzte Lagerkapazitäten, deshalb ist es schlichtweg nicht möglich, zehntausende verschiedene Arzneimittel in allen Packungsgrößen und Darreichungsformen vorrätig zu halten. Dazu kommt, dass jede Krankenkasse bei vielen Arzneimitteln sogenannte Rabattverträge abgeschlossen hat, sodass nur diese Produkte abgegeben werden dürfen. Apotheker entscheiden deshalb sehr gezielt, welche Präparate sie regelmäßig auf Lager haben – basierend auf dem Bedarf vor Ort und den Abverkaufszahlen. Empfehlenswert ist hier die Nutzung des Botendienstes. Aber auch dieser Service kostet der ohnehin wirtschaftlich angeschlagenen Branche Geld und honoriert wird es bisher mit einer Pauschale in Höhe von 2,98 Euro. Sagen Sie mir, wie sich das rechnen soll?