Bereits Wochen vor dem ersten Spieltag der Fußball-EM 2024 ist ganz Deutschland im Fußballfieber. Wenn der Ball dann ab dem 14. Juni rollt, dürfte es für alle Fans kein Halten mehr geben. Denn obwohl die Nationalmannschaft seit dem WM-Titel 2014 keine nennenswerten Erfolge feiern konnte, glauben die meisten Deutschen trotzdem an ein Sommermärchen 2.0.
Zu schön sind die Erinnerungen an das Jahr 2006, als Deutschland sich erst im Halbfinale gegen Italien geschlagen geben musste und in allen großen deutschen Städten regelmäßige Autokorsos gebildet wurden. Vor allem nach der Winter-WM in Katar sehnen sich viele Fans zudem wieder nach Public Viewing im Freien und bestem Fußballwetter.
Der Kader im Blick: Hat die Mannschaft das Potenzial für den Titel?
Mittlerweile ist das große Rätselraten vorbei und Julian Nagelsmann hat seinen vorläufigen EM-Kader der Öffentlichkeit präsentiert. Während einige Routiniers wie Manuel Neuer und Thomas Müller natürlich nicht fehlen dürfen, ist die Enttäuschung bei Mats Hummels und Marco Reus groß. Beide BVB-Spieler wurden vom Bundestrainer nicht berücksichtigt und müssen den Platz für jüngere Spieler frei machen.
Spieler wie Aleksandar Pavlović oder Maximilian Beier haben bislang noch keinen Titel mit der Nationalmannschaft gefeiert und sind entsprechend hungrig auf weitere Erfolge in ihrer Karriere. Apropos Karriere – diese könnte vor allem für die jungen Spieler bei starken Leistungen gepusht werden.
Für die Club-Karriere ist an dieser Stelle der EM Bonus eine echte Chance und kann viele Vereine aus den besten Ligen auf die jungen Spieler aufmerksam machen. Das haben natürlich auch Beier und Co. im Hintergrund, die sich auf dem Platz umso mehr anstrengen werden. Rein auf dem Papier hätte Deutschland mit dem vorläufigen EM-Kader durchaus das Zeug zum Europameister.
Nahezu auf allen Positionen finden sich Spieler von Weltklasseformat, die sich gegen Frankreich, Spanien und Co. durchaus behaupten könnten. Dass die Theorie aber nicht wirklich viel zählt, musste das Nationalteam bei den letzten beiden Weltmeisterschaften am eigenen Leib erfahren. Jedoch haben viele Spieler im Vergleich zur WM 2022 in Katar noch einmal einen Schritt nach vorne gemacht.
Florian Wirtz hat sich als eines der besten Talente im deutschen Fußball behauptet und auch Kai Havertz hat beim FC Arsenal zu alter Stärke zurückgefunden. Mit dem Stuttgarter Leihspieler Deniz Undav könnte man vielleicht auch die altbekannte Stürmerfrage ad acta legen. Der Angreifer hat in der vergangenen Bundesliga-Saison 18 Tore erzielt und 10 weitere Treffer vorbereitet.
Welche „Zutaten“ braucht es für ein Sommermärchen 2.0?
Dass man für ein Sommermärchen 2.0 aber nicht unbedingt den Titel holen muss, hat bereits das WM-Jahr 2006 gezeigt. Auch da ging Deutschland ja bekanntlich leer aus und musste sich im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister aus Italien geschlagen geben. Dennoch hatte die WM 2006 eine ganz eigene Dynamik entwickelt und Millionen von Menschen fieberten mit der deutschen Nationalmannschaft mit.
Die erste Zutat für ein weiteres Sommermärchen wird sein, dass die deutsche Nationalmannschaft die Hoffnung der Fans weckt. Nach dem Gruppen-Aus bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 ist die Stimmung im Keller und kritische Stimmen wurden immer lauter. Auch der Ex-Coach Hansi Flick konnte das Ruder nicht herumreißen und Deutschland als einstige Fußballmacht wurde international mehr und mehr zur Lachnummer.
Unter Julian Nagelsmann scheint nun aber ein Turnaround zu gelingen. Die Ergebnisse in den Testspielen wurden besser, mit Toni Kroos ist ein Routinier zurückgekehrt und es scheint erste Hoffnung aufzukeimen. Wichtig wird also sein, dass Deutschland mit guten Ergebnissen in das Turnier startet. Eine Niederlage direkt im ersten Spiel würde der Vorfreude hingegen einen großen Dämpfer verpassen.
Zudem muss aber auch das Wetter mitspielen. Während der Heim-WM 2006 waren laue Fußballabende garantiert und die Sonne beim Public Viewing hat mit dazu beigetragen, dass sich die Stimmung im ganzen Land immer weiter aufheizte. Wie sehr ein Fußballevent unter schlechtem Wetter leiden kann, hat die WM 2022 in Katar gezeigt. Bei der Austragung im Winter hielt sich die Euphorie der Fans merklich in Grenzen.
Ob die deutsche Nationalmannschaft die Fans elektrisieren kann, wird vor allem auch vom Herzblut abhängen. Wenn das Team mit Leidenschaft auf den Platz geht und dann auch noch gute Ergebnisse erzielt, spricht nichts gegen ein Sommermärchen 2.0. Damit sich die Euphorie aber im ganzen Land ausbreiten kann, wird es natürlich mehr als nur drei Gruppenspiele brauchen. Zumindest bis ins Halbfinale müsste die Nationalmannschaft schon marschieren, um erneut eine Hochstimmung aufkommen zu lassen.
Verhindern Deutschlands Gegner das nächste Sommermärchen?
In der Gruppe A trifft Deutschland auf vermeintlich schwächere Gegner und geht somit als klarer Favorit auf den Gruppensieg ins Rennen. Genau diese Favoritenrolle könnte der Nationalmannschaft aber zum Verhängnis werden. Denn gegen die Top-Nationen aus Europa hat man bisher konstante Leistungen gezeigt. Ein 5:2-Sieg gegen Italien in der Nations League, das 1:1 bei der WM gegen Spanien oder das 2:0 gegen Frankreich sind eigentlich gute Vorzeichen.
Wären da nur nicht die Niederlagen gegen Österreich, Kolumbien oder Japan gewesen. Zudem darf man die ruppige Spielweise der Schotten und Ungarn nicht unterschätzen. Für den spielstarken Gastgeber könnten sich die vermeintlichen Underdogs durchaus als harte Nuss erweisen. Auch gegen die Schweiz geht man zwar als Favorit ins Rennen, die letzten drei direkten Duelle konnte Deutschland aber nicht für sich entscheiden.
Zudem muss Deutschland auch bereits beim Blick auf das potenzielle Achtelfinale zittern. In der Hammergruppe B treffen mit Spanien, Italien und Kroatien gleich drei Titelfavoriten aufeinander. Da Deutschland als Gruppensieger oder -zweiter definitiv gegen ein Team der Gruppe B antreten muss, könnte die erste K.-o.-Runde auch bereits die Endstation bedeuten.
Auf die ersten Spiele kommt es an
Andererseits würde spätestens ein Sieg gegen eine Top-Nation im Achtelfinale alle Fans abholen und in die einzigartige Fußballstimmung versetzen, die bereits während der WM 2006 geherrscht hat. Letzten Endes haben es Julian Nagelsmann und seine Jungs also selbst in der Hand und können den Fußballfrust der letzten Jahre mit einem Sommermärchen 2.0 ganz schnell in Vergessenheit geraten lassen. Gleichzeitig ist der Druck so groß wie vielleicht noch nie zuvor.
Nach den historischen WM-Pleiten 2018 und 2022 warten einige „Fans“ nur darauf, dass die Nationalmannschaft nun bei der EM im eigenen Land erneut scheitert. Daher gilt: Bereits ab dem ersten Spiel die Daumen drücken und mit einem Sieg gegen Schottland am 14. Juni die EM-Stimmung einläuten.