Seit seiner Einführung gilt das Bürgergeld aufgrund fehlender Arbeitsanreize als umstritten. Eine Studie kommt nun zu dem Schluss, dass die Zahl der Menschen, die aus der Grundsicherung heraus einen Job aufnimmt, seit der Einführung des Bürgergelds gesunken ist.
Laut Arbeitsmarktforscher Prof. Enzo Weber (Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung), haben Langzeitarbeitslose etwas weniger eine neue Arbeit aufgenommen, weil im Vergleich zu den Leistungen nach Harz IV beim Bürgergeld die Bedingungen entschärft wurden. Zudem seien die Leistungen des Bürgergeldes im Vergleich zu Hartz IV zweimal deutlich über die Inflationsrate hinaus gesteigert worden. Weber rechnet damit, dass die geringere Bereitschaft von Langzeitarbeitslosen wegen der Bürgergeld-Reform zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um 0,9 Prozent führen kann. Diese lag im letzten Monat (April 2024) bundesweit bei 6 Prozent.
Das Wochenblatt bat die Bundestagsabgeordneten Josef Rief (CDU) und Martin Gerster (SPD) um Ihre Einschätzung zu diesem Thema, das derzeit die sozialpolitischen Diskussionen maßgeblich beherrscht.
Josef Rief (CDU): „Anreize zur Arbeitsaufnahme müssen erhöht werden“
Dass die CDU kein Freund des Bürgergeldes ist, bestätigt der Bundestagsabgeordnete Rief in seiner Stellungnahme: „Ich sehe unsere Forderung als CDU durch die Ergebnisse der Studie bestätigt. Wir müssen die Anreize zur Arbeitsaufnahme wieder erhöhen. Wenn die Arbeitsaufnahme seit Einführung des Bürgergeldes nachweislich um mindestens 6 Prozent zurückgegangen ist, ist das genau das, was viele Bürger auf Grund Ihrer Erfahrungen ärgert. Die SPD und mit ihr die Ampel ist einen deutlichen Schritt zu weit gegangen. In dem Versuch, sich von der eigenen Hartz-IV-Reform zu befreien, hat die SPD dafür gesorgt, alle Erfolge gleich mit abzuschaffen. Ein höherer Selbstbehalt und geringe Anreize, eine Arbeit anzunehmen, gepaart mit dem Namen ‚Bürgergeld‘ erinnern an ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das heißt, man bekommt Geld, ohne zu arbeiten, dem man damit immer näherkommt.
Arbeit und Leistung müssen sich lohnen und die Steuerzahler haben ein Anrecht darauf, dass nur den Menschen Hilfe zusteht, die eine Unterstützung beim Lebensunterhalt auch brauchen. Man kann politisch viel diskutieren. Am Ende muss klar sein, dass erst einmal jeder Einzelne dafür verantwortlich ist, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Kann er das nicht, soll nur dann die Solidargemeinschaft aushelfen. Diese Akzeptanz in der Bevölkerung setzt man aufs Spiel, wenn man die Ausgewogenheit des Arbeitsmarktes durch geringere Hürden zum ‚nicht arbeiten‘ gefährdet. Gerade in einer Zeit des Fach- und Arbeitskräftemangels. Wir wollen das Bürgergeld in der jetzigen Form wieder abschaffen und zu einem System des Förderns und Forderns zurückkehren.“
Martin Gerster (SPD): „Falsche Behauptungen der CDU/CSU“
Für Gerster kommt eine Bewertung zu früh: „Für eine fundierte faktenbasierte Analyse, wie sich das zum 1. Januar 2023 eingeführte Bürgergeld auswirkt, ist es noch zu früh. Darauf weist die IAB-Studie selbst hin. Dafür braucht es mehr Zeit, denn einige Maßnahmen sind erst zum 1. Juli 2023 oder März 2024 in Kraft getreten, wie etwa strengere Sanktionen gegen Totalverweigerer. Diese konnte die Studie nicht berücksichtigen. Was die Studie zeigt: Menschen beenden nicht häufiger ihre Beschäftigung, um Bürgergeld zu bekommen. Einen solchen Anreiz schafft das Bürgergeld nicht.
Im Gegenteil, neben gesellschaftlicher Teilhabe und einem mit einer Tätigkeit einhergehenden höheren Selbstwertgefühl gilt auch finanziell: Wer arbeitet, hat immer mehr als jemand, der nicht arbeitet. Wieviel dieses Mehr ist, hat bereits zur Einführung des Bürgergelds das Jobcenter Biberach eindrucksvoll vorgerechnet. Für eine alleinstehende Person mit Mindestlohn sind es rund 400 Euro im Monat mehr als für einen Bürgergeldempfänger; eine alleinerziehende Mutter eines minderjährigen Kindes hat dieser Beispielrechnung zufolge mit Mindestlohn fast 650 Euro mehr im Monat zur Verfügung, und für eine vierköpfige Familie mit zwei minderjährigen Kindern bedeutet Arbeiten statt Bürgergeld am Ende fast 500 Euro mehr im Monat.“
Mit dem Verhalten der größten Oppositions-Fraktion ist Gerster nicht einverstanden: „Besonders irritierend verhalten sich in der Debatte um das Bürgergeld CDU und CSU. Von dort ist immer wieder die sachlich falsche Behauptung zu hören, Arbeiten lohne sich wegen des Bürgergelds nicht mehr. An dieser Stelle sei daran erinnert: CDU/CSU haben im Bundestag auch für das neue Bürgergeld gestimmt. Bei der Erhöhung des Mindestlohns, der Maßnahme, mit der die Ampel für einen höheren Lohnabstand gesorgt hat – dass sich also Arbeiten noch mehr lohnt – haben CDU/CSU allerdings nicht mitgemacht. Dieses Stimmverhalten passt so gar nicht zu den Sorgen von CDU/CSU, Arbeiten würde sich durch das Bürgergeld nicht mehr lohnen. Wer für einen anständigen Lohnabstand ist und möchte, dass sich Arbeiten für alle lohnt, der unterstützt auch einen angemessenen Mindestlohn.“
Zur Studie merkt der Abgeordnete an: „Hinsichtlich des Rückgangs von Arbeitsaufnahmen aus dem Bürgergeld heraus, dass also Bürgergeldbezieher einen neuen Job annehmen, weist der Autor der IAB-Studie zudem selbst darauf hin, dass auch ganz andere Gründe als vermeintliche Anreize durch das Bürgergeld zugrunde liegen können: Die allgemeine Wirtschaftslage verschlechtert gerade die Jobchancen von Langzeitarbeitslosen.“
Zudem verweist Gerster darauf, dass in der öffentlichen Debatte um das Bürgergeld Fakten ausgeblendet werden: „Mehr als die Hälfte der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Bürgergeld, etwa 2,2 Millionen von insgesamt 4 Millionen Menschen, sind gar nicht arbeitslos. Viele von ihnen sind in Aus- oder Weiterbildungen oder anderen Maßnahmen, die sie auf eine möglichst langfristige Arbeitsaufnahme vorbereiten. Oder sie betreuen Familienangehörige und können daher vorübergehend nicht arbeiten. Oder sie gehen einer so schlecht entlohnten Beschäftigung nach, dass sie aufstocken müssen, damit es für das Existenzminimum reicht. Diesen Menschen hilft man nicht durch eine Abschaffung des Bürgergelds, sondern durch einen höheren Mindestlohn und mehr Tarifverträge.“