Aschermittwoch-Ausschreitungen: Kretschmann und Strobl zu Gast in Biberach

Aschermittwoch-Ausschreitungen: Kretschmann und Strobl zu Gast in Biberach
Hoher politischer Besuch in Biberach zu den Ausschreitungen am "politischen Aschermittwoch". (Screenshot: Livestream)

Die Eskalationen des politischen Aschermittwochs der Grünen in Biberach beschäftigen Stadt und Bürger noch immer. Innenminister und Ministerpräsident sind aus diesem Grund am Freitagabend in der Gigelberghalle aufgetreten, um die Ereignisse aufzuarbeiten und Fragen zu beantworten – ein Beispiel dafür, wie es in einer demokratischen Streitkultur ablaufen sollte. 

Eine eingeworfene Autoscheibe, brennende Misthaufen und eine Kettensäge: Fünf Wochen ist es her, dass der traditionell politische Auftritt der Grünen in Biberach vollkommen aus dem Ruder gelaufen war. Aufgebrachte Bauern und „streitsuchende Chaoten“, wie Polizeipräsident Weber sie später bezeichnete, sorgten für ein Großaufgebot der Polizei. Mehrere Menschen wurden verletzt. So könne es in einer liberalen Demokratie nicht zugehen, da sind sich alle einig.

 „Es soll heute in eher kleinen Dosen, um den Blick nach hinten gehen“, eröffnet der Biberacher Oberbürgermeister Norbert Zeidler die Veranstaltung. Trotzdem müsse über das, was passiert ist gesprochen werden: „Ja, das war ätzend und schmerzvoll und das darf sich nicht wiederholen“.

Kretschmann: Vorkommnisse überhaupt nicht typisch für Stadt und Region

Gegen 19 Uhr ergreift Winfried Kretschmann (Grüne) das Wort. Der Einladung nach Biberach sei er gerne gefolgt, es handle sich um eine „wichtige Sache“. Sein Resümee vorab: Was da passiert ist, sei äußerst ungewöhnlich für Biberach. Es handle sich schlichtweg um einen „Ausreißer“, wie er betont. Sinn der Veranstaltung sei demnach aufzuzeigen, was die Tradition und das Leben der Stadt über die Zeit hinweg eigentlich bedeutet und dass dies nichts mit Krawall und Gewalt zu tun habe.

Gespräche mit den Bauern laufen weiter

Dass die Kürzung des Agrardiesels nur eines von vielen Problemen sei, stellte Kretschmann gleich zu Beginn klar und ergänzte: „Die Landwirte sind für ihre Interessen eingetreten und haben eine wirtschaftliche Perspektive für ihre Höfe eingefordert“, so der Politiker. Das sei fair und legitim. Die Frage sei doch eher, wie diese Themen wirkungsvoll und ernstzunehmend diskutiert werden können? Schließlich ist die Lebensmittelversorgung ein Thema, das alle angeht.

Die Grünen-Fraktion habe erst vor kurzem ein Gespräch mit Landwirten geführt, aus dem deutlich wurde, dass man trotz aller Wut über mögliche Lösungen sprechen kann. Er verdeutlicht: Der Austausch sei da, man arbeite weiterhin an Kompromissen. Ganz anders sei das am Aschermittwoch gewesen, der lediglich dem Ziel diente, andere zum Schweigen zu bringen, Wut zu entladen und die Emotionen anderer auszunutzen. „Etwas Derartiges zerstört den Kern der liberalen Demokratie, denn der ist, Sachen zu bereden“, sagt der 75-Jährige und erntet dafür zustimmenden Applaus aus dem Publikum.

„Wie streiten wir und welche Grenzen dürfen wir dabei nicht überschreiten?“

„Das heißt nicht, dass es keinen Streit geben darf, den gibt es und das ist auch in Ordnung. Jeder von uns ist ein Unikat. Es führt zu unterschiedlichen Perspektiven und Werten.“ Es gehe darum: „Wie streiten wir? Welche Grenzen dürfen wir dabei nicht überschreiten? An welche Regeln müssen wir uns dabei halten?“ Entscheidend sei, dass wir unser Gegenüber als gleichwertig wahrnehmen. Diskutiert werde in einer Demokratie immer auf Augenhöhe – mit Respekt. Das „Toleranzgebot“ gelte allgegenwärtig.

„Wohin führt das alles, wenn es so weitergeht? Wenn Gewalt den Rechtsstaat aushöhlt? Man begegnet sich nur noch kompromisslos. Im schlimmsten Fall hat das schon zu Bürgerkriegen geführt. In einer Welt, in der alles zusammenhängt, werden wir nichts mehr erreichen wenn verhärtete Fronten gegeneinanderstehen. Wir müssen eine Rechtsgemeinschaft und ein wohlgeordnetes Rechtswesen sein, angemeldet und friedlich protestieren. Demokratie ist nicht nur eine Regierungsform, sondern eine Lebensform.“

Demonstrationen führen nur auf friedliche Weise zu Ergebnissen

Gleich zwei Demonstrationen haben an jenem Tag in Biberach stattgefunden. Eine auf dem Gigelberg und eine vor der Stadthalle. Die eine lief ruhig und sachlich, die andere ganz einfach aus dem Ruder. Auf welcher von beiden habe man nun wirklich etwas erreichen können? „Auf der Friedlichen!“, erklärt Winfried Kretschmann. 60 Prozent der Beschlüsse seien zurückgenommen worden. Man habe die Forderungen gehört und verstanden.

Was hatte die Demo an der Stadthalle hingegen zur Folge? Ein Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften, die nun auch künftig an Veranstaltungen im Einsatz sein werden. „Wollen wir so leben? Natürlich nicht. Die Folgen der Veranstaltung waren null positiv, sondern nur negativ!“, beendete Kretschmann seine rund 30-minütige Rede mit lauter und vor allem deutlicher Stimme.  

Strobl weist Vorwürfe gegen die Polizei zurück

Auch der CDU-Politiker Thomas Strobl ist der Einladung nach Biberach gefolgt. „Es ist immer wichtig im Leben, dass man miteinander redet. Immer besser, man schwätzt“, bedankt er sich für die Möglichkeit der Aufarbeitung. Ein Thema, das Strobl ebenfalls für wichtig hält, ist das vermeintlich „Falsche Handeln der Polizisten“ während den Ausschreitungen am 14. Februar. Er betonte: „Vor diesen Ereignissen hat es hunderte friedliche Proteste gegeben. Hunderte!“ So habe die Polizei Ulm um die 55.000 Fahrzeuge auf diesen Demos begleitet und weist in diesem Zusammenhang auf die außerordentlich gute Zusammenarbeit mit den Bauernverbänden hin.

Hass gegen die Polizisten sei demnach nicht fair. Denn sie seien es, die tagein und tagaus ihren Kopf für die Sicherheit des Landes hinhalten. Es sei immer einfach zu sagen, „das hätte man besser machen können“, vom sicheren Stuhl aus. Abschließend richtet er das Wort an die Beamten: „Danke für diese Arbeit und diesen Einsatz für die Demokratie“. Es folgte Applaus.

Polizei habe das Ausmaß zunächst nicht kommen sehen

Bereits im Vorfeld konnten die Biberacher bei der Stadt ihre Fragen einreichen. Viele nutzten diese Möglichkeit. Insgesamt sind 70 Stück eingegangen, von denen die Hälfte sich rund um den Aschermittwoch und entsprechenden polizeilichen Arbeiten drehten.

Der Schwerpunkt der Fragen lag bei den polizeilichen Arbeiten. Ulms Polizeipräsident Weber fand darauf eine klare Antwort: Zu Beginn hatte es „keinerlei Hinweise [darauf gegeben], dass es zu Gewalt und Aggressionen kommen würde“.

Irgendwann wurde jedoch klar, dass das Potential da war, weshalb schnellstmöglich Polizisten nachgefordert wurden. Insgesamt seien rund 200 Kräfte vor Ort im Einsatz gewesen, die versuchten, die massive Menge von circa 700-800 Menschen unter Kontrolle zu bringen.

„Ich möchte betonen, dass der große Teil davon aus anständigen Menschen bestand – Bauern und Besucher der Grünenveranstaltung. Das war kein Mopp, die Unterhaltungen verliefen normal“. Unter diese hätten sich jedoch „Streitsuchende“ gemischt. „Das sind für mich Chaoten gewesen, die hatten nichts anderes im Sinn, als Menschen zu verwirren und zu belästigen“. Das sei ihnen gelungen.

Eingeschlagene Scheibe und Einsatz von Pfefferspray

Weitere Fragen handelten sich um die besagte beschädigte Autoscheibe und die Verhältnismäßigkeit des Pfeffersprayeinsatzes. Im Netz kursierten einige Videos, die auf vermeintlich falsche Tatsachen lenkten. Auch hierzu nahm Weber Stellung. Der fliegende Meterstab, der später die Scheibe eines Begleitwagens der Politiker beschädigte, sei nicht von einem – wie Gerüchte verlauten ließen – Polizisten geworfen worden. Das entsprechende Videomaterial werde derzeit ausgewertet, es gebe einen Tatverdächtigen. Um auf die Vorwürfe des nicht notwendigen Einsatzes von Pfefferspray einzugehen, sagt er kurz und knapp: „Es gab davor Anweisungen, den Weg frei zu machen. Wenn der Einsatz nicht verhältnismäßig gewesen wäre, dann wäre er nicht erfolgt!“

48 Tatverdächtigen wurden bislang 67 Straftaten zugeordnet, darunter schwerer Landfriedensbruch und Körperverletzung. Die Ermittlungen laufen weiter, es handle sich um einen „sehr dynamischen Prozess“.

 „Dieser Abend war ein Beispiel“

Gegen 20:45 Uhr kam die Veranstaltung zu ihrem Ende. „Wir müssen uns wieder öffnen. Und zwar alle“, gibt Mario Glaser den Zuschauern mit auf den Weg.

Die Einordnung des Aschermittwoches im Rahmen des „politischen Abend“ sei enorm wertvoll gewesen. Er solle uns eine Inspiration sein, um sich selbst zu fragen, wie politischer Disput in Zukunft geklärt werden könnte. „Dieser Abend war ein Beispiel, wie das aussehen sollte“, so Kretschmann.