Grundsatzrede in Prag Scholz will neues Luftverteidigungssystem für Europa

Scholz will neues Luftverteidigungssystem für Europa
«Wir brauchen einen "game plan", so etwas wie eine Strategie "Made in Europe 2030"», sagte Scholz bei einer Rede an der Karls-Universität in Prag. (Bild: Kay Nietfeld/dpa)

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Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Sicherheitslage dramatisch verändert. Bundeskanzler Olaf Scholz will jetzt auch die Luftverteidigung stärken – mit einem neuen Abwehrsystem für Europa.

Prag (dpa) – Bundeskanzler Olaf Scholz will gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufbauen. Ein solches System «wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Europa», sagt der SPD-Politiker in einer Rede an der Karls-Universität in Prag. Zudem wäre es kostengünstiger und leistungsfähiger, als wenn jeder seine eigene, teure und hochkomplexe Luftverteidigung aufbaue. Details nannte er zunächst nicht. Das Vorhaben gilt als Antwort auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der inzwischen mehr als ein halbes Jahr dauert.

Deutschland werde in den kommenden Jahren erheblich in die Luftverteidigung investieren, kündigte Scholz an. Dies solle von Beginn an so gestaltet werden, dass sich europäische Nachbarn beteiligen könnten. Konkret nannte er die Niederlande, Polen, die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, Tschechien, die Slowakei sowie die Partner in Skandinavien.

«Erheblicher Nachholbedarf» bei Luftverteidigung

In Europa habe man bei der Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft und aus dem Weltraum «erheblichen Nachholbedarf», sagte Scholz. Alle neuen Fähigkeiten sollten auch im Nato-Rahmen einsetzbar sein. Das Geld für die Investitionen könnte aus dem bereits angekündigten 100-Milliarden-Euro Topf kommen, mit dem Scholz in den kommenden Jahren die Bundeswehr modernisieren und stärken will.

Allgemein sagte der Kanzler mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine, «Nie wieder Krieg» zwischen den Mitgliedstaaten sei das Ziel der Europäischen Union gewesen. Heute sei es an der Gemeinschaft, dieses Friedensversprechen weiterzuentwickeln – indem man die EU in die Lage versetze, ihre Sicherheit, Unabhängigkeit und Stabilität auch gegenüber Herausforderungen von außen zu sichern.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit für Europa

Ein besseres Recycling von Handy- und Batterieteilen soll Europa künftig unabhängiger von Rohstoffen aus dem Ausland machen. «Wir brauchen einen „game plan“, so etwas wie eine Strategie „Made in Europe 2030″», sagte Scholz bei einer Rede an der Karls-Universität in Prag am Montag. Ein Großteil des Lithiums, Kobalts, Magnesiums oder Nickels, auf das die Betriebe angewiesen seien, sei längst in Europa. «In jedem Handy, in jeder Autobatterie stecken wertvolle Rohstoffe.»

Dieses Potenzial müsse stärker genutzt werden, sagte Scholz. «Die Technologien dafür sind oft heute schon da.» Man brauche gemeinsame Standards für eine echte europäische Kreislaufwirtschaft. «Ich nenne es: Ein strategisches Update unseres Binnenmarkts», sagte der Bundeskanzler. Gleichzeitig betonte er, dass wirtschaftliche Unabhängigkeit nicht Autarkie bedeute. Europa habe von offenen Märkten und Handel profitiert und werde weiterhin davon profitieren, so der SPD-Politiker.

Macron-Idee für neue Gemeinschaft

Scholz unterstützt die französische Idee für eine neue europäische politische Gemeinschaft, die einen engeren Austausch mit Partnern außerhalb der EU ermöglichen soll. Derzeit fehle ein Forum, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU mit Partnerstaaten ein- oder zweimal jährlich zentrale Themen besprechen könnten, sagte Scholz am Montag in einer Rede an der Karls-Universität in Prag. Als mögliche Bereiche nannte er beispielsweise Sicherheits- und Energiefragen sowie Klimaschutz.

«Solch ein Zusammenschluss – das ist mir ganz wichtig – ist keine Alternative zur anstehenden EU-Erweiterung», betonte der SPD-Politiker bei seinem Besuch in Tschechien. «Denn wir stehen bei unseren Beitrittskandidaten im Wort – bei den Ländern des Westlichen Balkans sogar schon seit fast 20 Jahren.»

Die Idee für eine solche Gemeinschaft stammt von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Macron will so die Zusammenarbeit mit Partnern verbessern, die in absehbarer Zeit nicht in die EU aufgenommen werden oder dies gar nicht wollen. Konkret nannte er die Ukraine, die jüngst offiziell EU-Beitrittskandidat wurde, nach derzeitigen EU-Regeln aber wohl frühestens im nächsten Jahrzehnt Mitglied werden kann.

Auch Macron betont, dass es nicht darum gehe, den EU-Erweiterungsprozess zu ersetzen, sondern um einen neuen Rahmen zur Zusammenarbeit in strategischen Fragen. Als konkrete Themenbereiche für die Zusammenarbeit nannte er zuletzt Sicherheit und Verteidigung, Energie, Gesundheit und Wirtschaft.