Gespannt blicken die Bürger der Republik auf die Abstimmung der SPD zum ausgehandelten Koalitionsvertrag. Seit gestern können die 358.000 SPD-Mitgliedern digital über das Papier abstimmen. Die Wahl endet am 29. April. Der Ausgang dieser Mitgliederbefragung entscheidet über die Zukunft der deutschen Politik in den nächsten Jahren. Ein „gemähtes Wiesle“ ist die Abstimmung nicht, denn die Jusos haben schon ihre Ablehnung des Koalitionsvertrages angekündigt. Auch bei so manchem SPD-Mitglied ist die Begeisterung über den Koalitionsvertrag überschaubar.
Wir fragten deshalb bei Simon Özkeles (Kreisvorsitzender der SPD im Kreis Biberach und Landtagskandidat), sowie bei Hannes Widmann (SPD-Ortsvorsitzender Riedlingen) nach, welchen Ausgang der Abstimmung von ihnen erwartet wird und wo sie selbst mit dem Koalitionsvertrag hadern.
Özkeles erwartet eine pragmatische Abstimmung
Simon Özkeles wirft einen nüchternen Blick auf die Abstimmung: „Die Mitglieder werden mehrheitlich zustimmen – wie 2013 und 2018. Es ist kein Geheimnis, dass die geplante Koalition keine „Liebe auf den ersten Blick“ ist. Daher stimmt man als SPD-Mitglied pragmatisch ab, ohne Jubelstürme. Alle wissen, was auf dem Spiel steht und dass das Ergebnis der Bundestagswahl nichts anderes hergibt als die Schwarz-Rote Koalition. Als Bürger und SPD-Mitglied erwarte ich von der nächsten Regierung eindeutig weniger öffentlicher Streit wie zu AMPEL-Zeiten. Jeder muss sich jetzt am Riemen reißen und die großen Herausforderungen anpacken. Ich bin überzeugt, dass somit Vertrauen wieder zurückgewonnen werden kann.“
Der Kreisvorsitzende verweist darauf, dass sich SPDler darüber freuen, dass der Bund endlich ordentlich Geld in die Hand nimmt und mit 500 Milliarden in die Infrastruktur investiert: „Das ist längst überfällig, alle sehen im Alltag den Zustand der deutschen Infrastruktur. Ebenso wichtig ist die Entscheidung, dass die Bundeswehr weiter ertüchtigt wird. Aber auch die geplanten Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen, der Mindestlohn von 15 €, das stabile Rentenniveau, Anpassungen beim Bürgergeld, mehr Mittel in den sozialen Wohnungsbau, der Erhalt des Deutschlandtickets und Entlastungen bei den Strompreisen – überall das kann man sich wirklich freuen!“
Bedauerlich findet Özkeles, dass kein großer Wurf gelungen ist, wie die Rente zukunftsfähig reformiert werden kann. Auch beim Klima wird aus seiner Sicht zu wenig getan: „Es ist im Koalitionsvertrag nur Randthema. Beim Thema Gesundheit bleibt es bei der 2-Klassenmedizin, eine stärkere Besteuerung von den richtig großen Vermögen bleibt aus. Sprich: So viel gute Dinge im Vertrag stehen, gibt es auch viele negative Punkte. Aber Koalition heißt eben Kompromiss!“
Widmann: „Die SPD hat die CDU in zentralen Punkten umgepolt.“
Der Riedlinger Ortsvorsitzende Hannes Widmann macht aus seinem Herzen keine Mördergrube und spart auch nicht mit deutlichen Ansagen: „Ich bin stolz darauf, dass es das SPD-Verhandlungsteam es geschafft hat, die CDU innerhalb kürzester Zeit bei fast allen ihren zentralen Wahlkampfpunkte umzupolen.“ Er nennt dazu drei Beispiele:
„Statt Deutschland kaputt zu sparen, investieren wir 500 Milliarden. Zur Erinnerung, die CDU hatte die damalige Regierung wegen 60 Milliarden vor dem Bundesverfassungsgericht verklagt.
Statt Atomkraftwerke zu reaktivieren, bauen wir die erneuerbaren Energien weiter aus. Es wird kein zweites 2009 geben, als die CDU/FDP diese Industrie mit Vollcrash an die Wand gefahren hat und dafür gesorgt hat, dass China jetzt uneinholbar Weltmarktführer ist.
Die Schwächsten werden gestärkt, indem der Mindestlohn auf 15 Euro steigen wird, und das Tariftreuegesetz gestärkt wird für Vergaben ab 50.000 Euro.“
Der Ortsvorsitzende vermutet, dass es innerhalb der SPD eine knappe Mehrheit für den Koalitionsvertrag gibt, ist selbst aber nicht begeistert: „Ich persönlich sehe es kritisch. Wir haben die Wahl klar verloren. Die CDU hat inhaltlich große Schnittmengen mit der AfD, was auch die heutige Bundestagspräsidentin Julia Klöckner festgestellt hat im Wahlkampf.“
Widmann beklagt, dass sowohl AfD als auch CDU/CSU die erneuerbaren Energien zurückdrängen, sowie die Zivilgesellschaft und die NGOs einschüchtern wollten. Zum Ausgang der Bundestagswahl stellt der fest: „Sie haben die demokratische Mehrheit der Wähler dafür bekommen. Dann sollen sie es doch zusammen machen und nicht nur große Reden schwingen.“
Dem designierten Kanzler Friedrich Merz (CDU) unterstellt er, dieser habe eine große Klappe mit nichts dahinter. Widmann wird noch deutlicher: „Merz ist so machtgeil, dass er alles machen würde, um Bundeskanzler zu werden. Er ist ein typisches Beispiel für einen Politiker ohne Rückgrat. Ich glaube nicht, dass man mit solchen Personen vertrauensvoll zusammenarbeiten kann. Aber ich muss es ja nicht machen.“