Kommentar: „Högschde“ Zeit für einen Neuanfang

Kommentar: „Högschde“ Zeit für einen Neuanfang
Deutschlands Manager Joachim Löw umarmt Spieler Thomas Müller zum Ende der Fußball-Europameisterschaft 2020 (Bild: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Frank Augstein)

London (tmy) – Nach der 0:2-Achtelfinal-Niederlage der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen England bei der UEFA EURO 2020 ist nicht nur der Traum vom EM-Titel aus deutscher Sicht geplatzt, sondern eben auch die „Ära Löw“ zu Ende gegangen – Zeit für eine kleine Bilanz und einen kompletten Neuanfang, der längst überfällig ist.

198 Länderspiele absolvierte die DFB-Elf unter Bundestrainer Joachim „Jogi“ Löw und es war dem Schwarzwälder nun eben nicht mehr vergönnt, die 200er-Marke zu knacken. Dabei wäre das absolut im Bereich des Möglichen gewesen, wenn sich Löw nicht total stur an seinen „Matchplan“ geklammert und dafür mehr taktische und personelle Variabilität zugelassen hätte.

Doch am Ende kam zu den bisherigen 124 Siegen kein weiterer hinzu, weil Löw an einer nicht funktionierenden Dreierkette festhielt und viel zu spät wechselte – mal wieder, schon wieder. Denn man kann nicht wirklich sagen, dass England in diesem Achtelfinale der UEFA EURO 2020 das klar bessere Team war – ganz im Gegenteil. Denn die DFB-Auswahl agierte recht ängstlich und viel zu uninspiriert.

Zudem wechselte der Bundestrainer im Turnierverlauf mitunter falsch und in schönster Regelmäßigkeit viel zu spät – so auch im Klassiker gegen die Briten, die ihre wenigen Chancen eiskalt nutzten, während Werner, Havertz und Müller nicht genau genug zielten – oder vielleicht auch etwas zu genau im Falle des Offensiv-Allrounders von Bayern München.

Aber: Schon seit dem WM-Gewinn 2014, für den man Jogi Löw dankbar sein muss und auch sollte, ging es mit und bei der deutschen Mannschaft bergab – insbesondere auch personell. Löw hielt überwiegend an langjährigen Leistungsträgern fest, brachte zu wenig frisches Blut und ließ taktische Flexibilität vermissen. Viele Spieler mussten darüber hinaus oftmals auf Positionen ran, die für sie unpassend und ungewohnt sind.

Ein Beispiel dafür ist das EM-Halbfinale 2012, als Toni Kroos – der immer im Zentrum agierte und bis heute dort am stärksten ist – auf der rechten Außenbahn agierte und man prompt über diese Seite zwei Balotelli-Treffer schluckte und ausschied. Selbst 2014 war eine taktische Korrektur nötig, als Lahm wieder hinten rechts verteidigte, was schließlich den Titelgewinn in Brasilien mit sich brachte.

Assistenzcoach war damals übrigens ein gewisser Hans-Dieter Flick, der die Mannschaft nun also offiziell ab 1. Juli als Cheftrainer übernehmen wird. Ein Hoffnungsschimmer aus Fan-Sicht, weil man sich taktisch und personell anders und insbesondere variabler aufstellen könnte. Zudem gilt Hansi Flick als einer, der auch Jungen mehr Chancen gibt und alte Zöpfe abschneidet.

Und: 2018 schickte Löw den damals bärenstarken Leroy Sané vor dem WM-Turnier nach Hause, um unmittelbar nach dem 0:1 zum Auftakt gegen Mexiko zu analysieren, dass seinem Team das Tempo auf den Flügeln gefehlt habe. Auch bei der EURO 2020 leistete sich der Bundestrainer nun ein paar taktische Fehler und personelle Fehleinschätzungen.

Ein Leon Goretzka hätte schon früher in die Startelf rücken können, eine Viererkette mit Gosens, Hummels, Rüdiger sowie Ginter / Can hätte für mehr defensive Stabilität gesorgt als die Dreier-Formation und ein Kimmich wäre auf der „6“ im Mittelfeldzentrum im Verbund mit Goretzka und / oder Gündogan viel effektiver. Und: Warum Bundestrainer Löw auch gegen die Engländer trotz Rückstand nicht mehr offensive Wechsel vornahm, ist rätselhaft.

So hat man bei einem großen Turnier – trotz aller Verdienste – abermals ein unnötiges Ausscheiden in Kauf genommen, das hätte verhindert werden können. Nun gilt es, sich in Würde und mit gegenseitigem Respekt voneinander zu verabschieden und den Weg nach 15 gemeinsamen Jahren „endlich“ freizumachen – und zwar für einen Neuanfang mit einer passenderen Taktik und einer weiteren Blutauffrischung im Kader.

Was sagen Sie zum Ausscheiden und der Ära Löw? Wir freuen uns, mit Ihnen per E-Mail an unseren Sportredakteur unter [email protected] in Diskussionen treten zu dürfen.