Bundesregierung stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2

Bundesregierung stoppt Zertifizierung von Nord Stream 2
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stoppt vorerst das russisch-deutsche Erdgasprojekt Nord Stream 2. (Bild: John Macdougall/AFP-Pool/dpa)

WOCHENBLATT

Berlin legt die russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 2 vorerst auf Eis. Grund dafür ist die Aggression Moskaus in der Ostukraine.

Berlin (dpa) – Die Bundesregierung stoppt vorerst das Genehmigungsverfahren für die umstrittene Pipeline Nord Stream 2. Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag in Berlin.

Konkret zieht die Regierung einen Bericht an die Bundesnetzagentur zurück. Er habe das Wirtschaftsministerium gebeten, den bestehenden Bericht zur Analyse der Versorgungssicherheit bei der Bundesnetzagentur zurückzuziehen, sagte Scholz. «Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann.» Ohne diese Zertifizierung könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen, betonte Scholz.

Die zuständige Abteilung des Wirtschaftsministeriums werde eine neue Bewertung der Versorgungssicherheit unter Berücksichtigung dessen vornehmen, «was sich in den vergangenen Tagen verändert hat». Das Verfahren gehe jetzt «einen neuen Gang», sagte der Kanzler. «Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf», fügte Scholz hinzu.

Er betonte: «In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine weitere Katastrophe zu verhindern. Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen.» Dem Vernehmen nach ließ Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen solchen Schritt bereits nach seinem Amtsantritt prüfen.

Einmarsch in Ukraine geplant

Der russische Präsident Wladimir Putin hat am Montagabend die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt. Der Kremlchef ordnete auch eine Entsendung russischer Soldaten in die Ostukraine an. Er plant damit bereits zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine. Der Westen wirft ihm vor, damit gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen.

Der 1230 Kilometer lange Doppelstrang von Russland durch die Ostsee nach Deutschland ist zwar fertiggestellt, es fließt bislang aber noch kein Erdgas durch die Pipeline. Das Zertifizierungsverfahren lag zuletzt bereits auf Eis. Die Bundesnetzagentur hatte das Verfahren im November ausgesetzt und verlangt, dass die Betreibergesellschaft nach deutschem Recht organisiert ist. Die Nord Stream 2 AG will der Auflage mit der Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft nachkommen.

Klimastiftung lässt Arbeit ruhen

Mecklenburg-Vorpommern bat unterdessen die vom Gasleitungsprojekt Nord Stream finanzierte «Klimastiftung Mecklenburg-Vorpommern» darum, ihre Arbeit vorerst ruhen zu lassen. Am Dienstagabend werde die Landesregierung erneut zusammentreten, um über die weitere Entwicklung zu beraten, sagte Vize-Ministerpräsidentin Simone Oldenburg (Linke) am Dienstag in Schwerin nach einer Kabinettssitzung.

Die Stiftung war Anfang 2021 unter anderem mit dem Ziel gegründet worden, die Fertigstellung der Gaspipeline Nord Stream 2 zu unterstützen. Dazu war ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb gegründet worden, um Unternehmen zu unterstützen, die an der Pipeline trotz der bereits damals bestehenden Sanktionsdrohungen der USA mitbauen wollten. Das Land Mecklenburg-Vorpommern stattete die Stiftung mit 200.000 Euro aus, Nord Stream kündigte 20 Millionen Euro an.

Russland unbeeindruckt

Russland zeigte sich derweil unbeeindruckt vom Stopp des Genehmigungsverfahrens. «Moskau hat vor nichts Angst», sagte Vize-Außenminister Andrej Rudenko am Dienstag in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Auf die Frage eines Journalisten, ob die zugespitzte Lage möglicherweise geplant gewesen sein könnte, um die Inbetriebnahme der Gasleitung durch die Ostsee von Russland nach Deutschland zu verhindern, sagte er: «Es ist schwer zu sagen, ob es einen Zusammenhang gibt oder nicht. Ich will nicht spekulieren.» Die USA und die Ukraine wollten die Pipeline verhindern.

Dagegen begrüßte die Ukraine die Aussetzung. «Dies ist unter den gegenwärtigen Umständen ein moralisch, politisch und praktisch richtiger Schritt», schrieb Außenminister Dmytro Kuleba bei Twitter. «Wahre Führung bedeutet harte Entscheidungen in schwierigen Zeiten. Der Schritt Deutschlands beweist genau das.»