Pflegeratspräsidentin Christine Vogler kämpft für eine Pflegekammer

Pflegeratspräsidentin Christine Vogler kämpft für eine Pflegekammer
Christine Vogler ist das Idol der Deutschen Pflege. (2. v.l) (Bild: Gesundheitsakademie Bodensee-Oberschwaben)

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Christine Vogler, 53, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, ist eine Art Zugpferd, Sprachrohr, vielleicht sogar Idol der deutschen Pflege. Kaum eine Woche vergeht, in der die Berlinerin, Geschäftsführerin beim Berliner Bildungscampus für Gesundheitsberufe gGmbH, nicht im TV oder in einer großen Zeitung präsent ist.

Während Corona, als viele Menschen für die Pflege klatschten und Mitgefühl zeigten, wurde Vogler einem größeren Publikum bekannt, auch, weil sie Taten, Unterstützung und konkrete Maßnahmen für die Pflege „statt bloßen Beifall und Lavendelsträuße“ forderte. Und weil sich gegen eine berufsbezogene Impfpflicht aussprach und stattdessen eine differenzierte, einrichtungsbezogene forderte.

Dass Vogler, die 2018 den Berliner Frauenpreis erhielt, kürzlich auf Einladung der Gesundheitsakademie Bodensee-Oberschwaben in Weingarten vor Pflegefachkräften referierte, war also durchaus eine Ehre. Sie habe kurz nach der Zusage eine Einladung zum Pflegekongress des Springerverlags in Berlin bekommen, sagte Vogler: „Für mich war aber sofort klar: Ich wollte hier her, an die Basis, zu Ihrer Akademie.“

Die oberschwäbischen Pflegefachkräfte gaben das Lob zurück: Gleich 120 aus allen Versorgungsbereichen, auch Praxisanleitende, Pflegelehrende und Pflegewissenschaftler, darunter viele von der Oberschwabenklinik, folgten der Einladung der GA zu dem berufspolitischen Tag, der gleichzeitig eine Fortbildungsmaßnahme war. Eine Fortbildung darin, für seinen Beruf, sein Können und seine Rechte zu kämpfen und sich berufspolitisch zu engagieren. Zwar werden die etwa 1,5 Millionen Pflegefachkräfte in Deutschland wie einige andere Berufsgruppen gewerkschaftlich von Verdi vertreten, dort aber gehe die Pflege mit ihren spezifischen Bedürfnissen und Problemstellungen unter, sagt Vogler.

Auch in Weingarten plädierte sie stattdessen mit schlagkräftigen Argumenten für die Einführung einer Pflegekammer, die es in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bereits gibt und auch in Baden-Württemberg gebildet werden soll – allerdings nur dann, wenn sich mindestens 60 Prozent der Pflegenden im Land auch registrieren.

Dafür rührte die Präsidentin des Pflegerats, der die Dachorganisation von 18 Pflegeunterverbänden mit insgesamt 140 000 Mitgliedern ist, leidenschaftlich und fachlich informativ die Werbetrommel. Mittelfristig sollen diese Pflegekammern in einer bundesweiten Kammer münden. 

„Deutschland verschwendet jeden Tag die Kompetenzen der Pflegenden für das Gesundheitssystem“, findet Vogler – dadurch nämlich, indem die Pflege von fast allen gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sei. Exemplarisch präsentierte Vogler ein kompliziert-verstricktes Schaubild des deutschen Gesundheitssystems, das mit seinen Windungen, Pfeilen und Verästelungen an eine schwer durchschaubare Mischung aus Gehirn und Labyrinth erinnert. Ein System, das unterhalb des Bundesgesundheitsministeriums von einer Behörde gesteuert wird, die kaum jemand kennt: dem Gemeinsamen Bundesausschuss GBA mit hunderten Mitarbeitern. Auffällig in dem Schaubild mit etwa 70 Gremien, Verbänden und Institutionen ist ihrer Ansicht nach: „In keinem einzigen sind Pflegekräfte vertreten.“

Vogler will und würde das mit der Gründung einer bundesweiten Pflegekammer ändern, die Forderungen des Pflegerats an die Politik seien klar: „Pflege braucht mehr Befugnisse. Pflege muss in die Mündigkeit gebracht werden. Pflege braucht bessere Arbeitsbedingungen. Pflege braucht bundeseinheitliche Bildungsstrukturen und eine starke Pflegewissenschaft.“

Dass der Beruf angesichts immer weniger Vollzeitkräften in der Pflege und einer immer älteren Gesellschaft attraktiver werden muss, ist für Christine Vogler alternativlos. „In Deutschland kommt eine Pflegekraft auf 13 Patienten, europaweit kommt eine auf 7, das zeigt, wo das erste Problem liegt.“

Werde der Pflegenotstand und würden die zunehmenden Kündigungen wegen schwieriger Arbeitsbedingungen nicht gestoppt, könnte es in 20 Jahren gar keine Pflegenden mehr geben, fürchtet Vogler. Ein Szenario, das angesichts der demographischen Entwicklung doppelt Sorge bereitet. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird laut Prognosen führender Verbände bis 2050 von derzeit 4,9 Millionen um etwa 50 Prozent auf mehr als sieben Millionen ansteigen. Bereits bis 2025 dürften etwa 600 000 Pflegebedürftige hinzukommen.

Christine Vogler, die selbst gelernte Pflegefachfrau ist und mangels Studienmöglichkeiten den Management-Weg einschlug, will die Gesellschaft wachrütteln und die Kündigungswelle in ihrem Job nicht wehrlos und fatalistisch hinnehmen.

„Organisieren Sie sich, reden Sie in Ihren Pflegeteams über berufspolitische Fragen. Bringen Sie sich ein, gemeinsam für eine starke Pflege. Derzeit ist es so, dass über uns bestimmt wird. Wir lassen mit uns machen. Das muss sich ändern: Wir sollten stolz darauf sein, was wir tun und was wir sind, und für mehr Mitsprache kämpfen. Nicht durch Streiks. Kranke Menschen zu gefährden, das ist für mich nicht zu vertreten, das ist gegen unser Berufsethos und die Menschenwürde. Aber wir sollten für unsere Rechte kämpfen. Keiner im Gesundheitssystem hat unsere Kompetenzen.“

Immerhin nehme das öffentliche Problembewusstsein zu, so Vogler. Die Zeitungen seien voll über die Sorgen und Nöte in der Pflege, und im aktuellen Koalitionsvertrag des Bundes stünden mehr Formulierungen pro Pflege denn je.

Tatsächlich forderte die SPD gerade erst ein Milliardenprogramm für die Pflege, und auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Petra Krebs, selbst 13 Jahre lang Krankenschwester in den Wangener Fachkliniken, stand Vogler in der finalen Podiumsdiskussion zumeist bei. „Wir waren von Anfang an für eine Pflegekammer“, sagte Krebs. „In der letzten Wahlperiode war sie aufgrund des Widerstands der CDU im Land nicht möglich, jetzt schon. Aber wir brauchen die Legitimation dafür, die 60 Prozent Zustimmung aller Pflegenden.“ Vogler will daran arbeiten, dass auch ein geringerer Anteil reichen könnte.

Auf dem Gruppenbild von links nach rechts:
Hildegard Kerler, Pflegefachfrau in der Oberschwabenklinik, außerdem Wundexpertin und Pflege-Bachelor-Studentin an der RWU, Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Petra Krebs, Landtagsabgeordnete der Grünen, Melanie Hane, Berufspädagogin und Pflegerische Stationsleiterin am ZfP Südwürttemberg und Georg Roth, Pflegereferent an der GA und Moderator des berufspolitischen Tages.

(Pressemitteilung: Gesundheitsakademie Bodensee-Oberschwaben)