Russland: Neue Feuerpause in Kraft – Korridore geöffnet

Russland: Neue Feuerpause in Kraft – Korridore geöffnet
Soldaten helfen einem Kind beim Überqueren des Flusses in Irpin unweit von Kiew. (Bild: Diego Herrera/EUROPA PRESS/dpa)

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In der Ukraine sind nach russischen Angaben in mehreren Städten Fluchtkorridore eingerichtet worden. Präsident Wolodymyr Selenskyj verspricht, in Kiew zu bleiben. Das Geschehen in der Nacht und ein Ausblick auf den Tag.

Moskau/Kiew (dpa) – Das russische Militär hat nach eigenen Angaben am Dienstag eine neue Feuerpause in der Ukraine in Kraft gesetzt und «humanitäre Korridore» in fünf Städten geöffnet.

In der Hauptstadt Kiew sowie den Großstädten Tschernihiw, Sumy, Charkiw und der besonders umkämpften Hafenstadt Mariupol sollten die Menschen die Möglichkeit haben, sich in Sicherheit zu bringen. Die Feuerpause sei um 10.00 Uhr Moskauer Zeit (8.00 Uhr MEZ) in Kraft getreten, teilte das Verteidigungsministerium mit.

Die ukrainische Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk bestätigte, mit Russland und dem Roten Kreuz sei eine Vereinbarung für die nordukrainische Stadt Sumy getroffen worden, die bis 20.00 Uhr (MEZ) gelte. Die Route führe über Holubiwka, Lochwyzja und Lubny in die 170 Kilometer entfernte zentralukrainische Großstadt Poltawa. Die Evakuierung habe begonnen, meldete die ukrainische Agentur Unian in ihrem Telegram-Kanal und zeigte in einem Videoclip abfahrende Busse und Autos mit Zivilisten.

Die Einstellung der Kämpfe gilt als Voraussetzung für das Funktionieren von Fluchtkorridoren in den umkämpften Städten. Ein Schwerpunkt ist die von Russland belagerte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Dort warten nach Angaben des Roten Kreuzes 200.000 Menschen darauf, über verschiedene Routen aus der Stadt zu kommen.

In Mariupol handelt es sich um den inzwischen vierten Versuch, Menschen in Sicherheit zu bringen. Sie sollen mit Bussen und Autos herausgebracht werden. Dazu werden nach Angaben der ukrainischen Behörden auch Sammelpunkte in der Stadt eingerichtet. Vertreter der Ukraine und Russlands hatten bei einer dritten Verhandlungsrunde am Montag nach Angaben aus Kiew dazu Details vereinbart. Kiew hatte von Moskau vorgeschlagene Fluchtkorridore abgelehnt, über die Menschen fast ausschließlich nur nach Russland und Belarus gelangt wären. Russland wolle die Zivilisten als Geiseln nehmen, behauptete ein Berater des ukrainischen Innenministeriums.

Selenskyj: «Ich bleibe in Kiew»

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will Kiew nicht verlassen. «Ich bleibe in Kiew», sagte er in einer am Montagabend veröffentlichten Videobotschaft. Er verstecke sich nicht und habe vor niemandem Angst. Man werde weiter mit Russland sprechen, sagte Selenskyj. «Wir werden auf Verhandlungen bestehen, bis wir einen Weg finden, unseren Menschen zu sagen: So kommen wir zum Frieden.» Jeder Tag des Kampfes schaffe «bessere Bedingungen» für die Ukraine. «Eine starke Position. Um unsere Zukunft zu sichern. Nach diesem Krieg.»

Janukowitsch fordert Selenskyj zum Aufgeben auf

Der ehemalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch forderte den amtierenden Staatschef im Krieg gegen Russland zum Aufgeben auf. «Sie persönlich sind verpflichtet, das Blutvergießen zu beenden und ein Friedensabkommen um jeden Preis zu erzielen», schrieb der moskau-nahe Politiker in einer an Selenskyj gerichteten Botschaft, die die russische Staatsagentur Ria Nowosti verbreitete. «Das erwarten die Ukraine, der Donbass und Russland von Ihnen.» Auch Kiews Partner im Westen würden einen solchen Schritt begrüßen.

Behörden: Mehr als zehn Tote bei Angriffen auf Sumy

Bei Luftangriffen auf Sumy wurden den örtlichen Behörden zufolge mehr als zehn Menschen getötet, darunter auch Kinder. «In einigen Ortschaften wurden Wohngebäude bombardiert. Und fast im Zentrum von Sumy wurden mehrere Häuser durch einen Bombentreffer zerstört», teilte der Chef der Gebietsverwaltung, Dmytro Schywyzkyj, mit. Die Angaben sind nicht unabhängig zu prüfen.

Lage in Mariupol ernst

In der von Russland belagerten Hafenstadt Mariupol hat sich die Lage nach Angaben des Stadtrats weiter zugespitzt. «Es gibt keine Straße ohne kaputte Fenster, zerstörte Wohnungen oder Häuser.» Die Stadt sei ohne Strom, Wasser und Gas. Mariupol liegt nahe der sogenannten Kontaktlinie zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischer Armee im Verwaltungsbezirk Donezk. Die Stadt hat strategisch große Bedeutung.

Außenminister bestätigt geplantes Lawrow-Treffen

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bestätigte den Plan für ein baldiges Gespräch mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow. «Derzeit ist der 10. (März) geplant», sagte er in einer Videobotschaft. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu hatte zuvor gesagt, beide Seiten würden am 10. März in Antalya erwartet. Kuleba sagte, wenn Lawrow zu einem ernsthaften Gespräch bereit sei, werde man von Diplomat und Diplomat reden. «Falls er anfängt, die absurde Propaganda zu wiederholen, die in letzter Zeit ausgeteilt wurde, wird er von mir die harte Wahrheit hören, die er verdient.»

Lwiw: Brauchen Unterstützung für Flüchtlinge

Die westukrainische Stadt Lwiw bittet internationale Organisationen um Unterstützung bei der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen. Die Stadt sei zu einem Zufluchtsort für etwa 200.000 Menschen geworden, die vor Bombeneinschlägen und Raketenangriffen geflohen seien, sagte Bürgermeister Andrij Sadowyj einer Mitteilung zufolge. Die Menschen bekämen warmes Essen und alles Nötige. «Dies ist eine extrem schwere Belastung für die Stadt, und heute stehen wir am Rande unserer Fähigkeiten», warnte er.

Ukraine: Milliardenschäden an Verkehrs-Infrastruktur

Die ukrainische Regierung schätzt die bisherigen Schäden am Verkehrssystem des Landes durch den russischen Angriffskrieg auf bisher mehr als zehn Milliarden Dollar (etwa 9,2 Mrd Euro). Betroffen seien etwa Brücken, Eisenbahn und Flughäfen, sagte der ukrainische Infrastrukturminister Alexander Kubrakow der Onlinezeitung «Ukrajinska Prawda» zufolge. Er sei überzeugt, dass die meisten Schäden in spätestens zwei Jahren beseitigt sein könnten.

Ärzte ohne Grenzen: Medizinische Lage verschlechtert sich

Der Krieg macht aus Sicht der Organisation Ärzte ohne Grenzen die Hilfe für Verletzte zunehmend schwierig. Die Versorgung der Krankenhäuser sei nicht mehr so gut gewährleistet wie vor Beginn der Kampfhandlungen, sagte der Geschäftsführer der Hilfsorganisation, Christian Katzer, im ZDF-«Morgenmagazin». So sei zum Beispiel in Odessa die Versorgung mit Essen zusammengebrochen. «Auch können wichtige Medikamente nicht einfach mehr bestellt werden.»

Ärzte ohne Grenzen hat demnach mehrere Teams in der Ukraine, etwa in der Hauptstadt Kiew sowie in Mariupol und Odessa. Eine effektive Hilfe sei aber noch schwierig, sagte Katzer. «Im Moment ist die Lage in vielen Gebieten der Ukraine noch so unübersichtlich, dass ein Arbeiten nicht wirklich möglich ist.»

US-Demokraten bereiten Milliarden-Hilfspaket vor

Die Demokraten im US-Senat bereiten ein Paket für die Ukraine im Umfang von mehr als zwölf Milliarden Dollar (elf Milliarden Euro) für humanitäre Hilfe und Unterstützung des Militärs vor. Die Mittel würden Flüchtlingen und Vertriebenen zu Gute kommen, genauso wie der medizinischen Versorgung, der Ernährungssicherheit und dem Transfer von Waffen in die Ukraine, sagte der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer. Das Paket solle noch im Laufe der Woche als Teil des Haushalts beschlossen werden.

Weltbank mit Hilfspaket von über 700 Millionen Dollar

Die Weltbank beschloss zur Unterstützung der Ukraine ein Paket, das dem Land 723 Millionen Dollar (665 Millionen Euro) neuer Kredite und Hilfen einbringen soll. Die schnelle Auszahlung werde der Regierung helfen, Sozialleistungen zu finanzieren sowie Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Renten zu zahlen, erklärte die Weltbank. Dies sei nur «der erste von vielen Schritten», um der Ukraine zu helfen.

Moskau behauptet Biowaffen-Bau

Russland wirft der Ukraine nach Angaben britischer Geheimdienste zunehmend vor, nukleare oder biologische Waffen zu entwickeln. Diese Erzählung sei zwar nicht neu, werde aber seit Ende Februar verstärkt verbreitet, um die russische Invasion in die Ukraine nachträglich zu rechtfertigen, hieß es in einem am Dienstag veröffentlichten Geheimdienst-Update aus dem britischen Verteidigungsministerium.

Moskau hatte zuvor angekündigt, Angriffe auf Gebäude der ukrainischen Waffenindustrie auszuweiten. Erst am Montag behauptete das russische Verteidigungsministerium, in der Ukraine gebe es ein Netzwerk von Bio-Laboren, die im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums arbeiteten. Internationale Faktenchecker haben diese Behauptung allerdings längst entkräftet.

Das wird am Dienstag wichtig

Die EU-Kommission legt einen Plan vor, der den Ausbau von erneuerbaren Energien ankurbeln und dabei helfen soll, insbesondere von russischem Gas loszukommen. Rund 40 Prozent des in die EU importierten Gases kommt über Pipelines aus Russland. «Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland befreien», sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.