Am kommenden Dienstag, 18. Juni, machen die Zahnärzte flächendeckend auf die Gefährdung der zahnärztlichen Versorgung aufmerksam. In den Praxen finden dazu Sprechtage statt, Politiker der Region sind zu einem Informationsaustausch mit Zahnärzten nach Weingarten eingeladen. Um die Patientenversorgung am Protesttag sicherzustellen, werden halb- bzw. ganztags Not- bzw. Bereitschaftsdienste organisiert.
Austausch mit Politikern
Um auf die Sorgen und Probleme ihres Berufsstandes aufmerksam zu machen, haben die Zahnärzte der Kreise Bodensee, Ravensburg und Biberach Politiker aus Bund, Land und Kommunen zu einem Meinungsaustausch eingeladen. Die öffentliche Veranstaltung findet am kommenden Dienstag ab 15 Uhr im Best Western Hotel in Weingarten (Abt-Hyller-Str. 37-39) statt. Mit kurzen Vorträgen wollen die Zahnärzte die Probleme bei der Patientenversorgung verdeutlichen. Auch die Riedlinger Zahnärztin Dr. Christiane Jaeger-Wamprecht (Kreisvorsitzende Landkreis Biberach) trägt mit einem Kurzvortrag zur Verdeutlichung der Problemstellungen bei.
Im Vorfeld des Protesttages erläuterte sie dem Wochenblatt die Kernpunkte des Protesttages. Es gelte eine flächendeckende, wohnortnahe und qualitativ hochwertige Versorgung der Patienten sicherzustellen. Dazu sei es notwendig, dass die zahnärztliche Versorgung so ausgestaltet sein muss, dass die Berufsausübung für Zahnärzte auch im ländlichen Raum attraktiv bleibt. In Stichpunkten zählte Jaeger-Wamprecht die größten Probleme auf.
Flächendeckende Versorgung stärken
Danach fordert die Kassenzahnärztliche Vereinigung eine Stärkung der ambulanten Versorgung
- einen Abbau der Bürokratie
- eine funktionsfähige und aufwandsentlastende digitale Ausstattung
- eine angemessene Vergütung, bei der die stark steigenden Material-, Personal- und Energiekosten eingepreist sind
- attraktive Bedingungen und angemessene Löhne für das Assistenzpersonal und eine angemessene Vergütung für zahnärztliche Leistungen
- eine Verbesserung von ÖPNV, Bildung, Betreuung, Kultur und Internetgeschwindigkeit, um die bisherigen Nachteile der Infrastruktur des ländlichen Raumes ausgleichen zu können
Leistungen müssen bezahlt werden
Ein großes Ärgernis und wirtschaftlich belastend sei die Budgetierung der Praxen. Diese müsste aus Sicht der Zahnärzte beseitigt werden, um ihre wirtschaftlichen Risiken zu minimieren, damit eine flächendeckende Versorgung überhaupt noch gewährleistet werden kann. Ein zusätzliches Problem stelle die Budgetierung für die Prävention dar. Ohne eine präventionsorientierte Zahnmedizin befürchteten die Zahnärzte hohe Folgekosten für die Solidargemeinschaft.
Jaeger-Wamprecht erklärte, dass es dringend geboten sei, die auch Gebührenordnung für Privatleistungen zu aktualisieren, um hier die gestiegenen Kosten von Energie-, Material-, Hygiene- und Digitalisierungskosten, sowie der hohen Inflationsrate zu finanzieren.
Falsches Bild vom Einkommen
In der Öffentlichkeit entstehe gerne das Zerrbild vom wohlhabenden Zahnarzt. Doch die Zahnärzte müssen, so Jaeger-Wamprecht, neben der Praxistätigkeit noch einen erheblichen Aufwand für die Verwaltungsarbeit leisten. So kämen niedergelassene Zahnärzte problemlos auf eine Arbeitszeit von bis zu 70 Stunden pro Woche. Hinzu kämen hohe Investitionen in eine kostenintensive Praxisausstattung und deren Modernisierung. Um einen Zahnmediziner unter diesen Voraussetzungen für eine Praxisübernahme zu gewinnen, sei es zwingend notwendig, dass seine Vergütung ausreichend honoriert werde.
Bürokratie abbauen und eine entlastende Digitalisierung schaffen
Dringend notwendig sei ein Bürokratieabbau, zu dem konkrete Vorschläge vorliegen würden Die gewonnene Arbeitszeit solle dem Patienten zugutekommen. Damit solle, so Jaeger-Wamprecht, der Bürokratieaufwand für den Zahnarztnachwuchs auf einem erträglichen Niveau einpendeln und nicht länger Hemmschuh für eine Niederlassung sein.
Bei der Digitalisierung wünschen sich die Zahnärzte eine aktive Mitgestaltung bei der Entwicklung der Anwendungen. Jaeger-Wamprecht wies auch darauf hin, dass nur massentaugliche und störungsfreie Anwendungen für die Praxen hilfreich seien.
Probleme der nächsten Jahre
Ein großes Problem rolle in den nächsten 10 Jahren wie eine Lawine auf die Patienten und Praxisinhaber zu. Etwa 30 Prozent der Praxisinhaber gehe in diesem Zeitraum in den Ruhestand. Wer folgt ihnen nach? Jaeger-Wamprecht hat eine klare Meinung: „Wenn es uns nicht gelingt, akzeptable Bedingungen für eine Praxisübernahme zu schaffen, ist die zahnärztliche Versorgung in der Fläche mehr als gefährdet. Jungen Zahnärzte lassen sich dann lieber in einem MVZ (Medizinisches Versorgungszentren) anstellen, haben einen geregelten Arbeitstag und müssen sich weder um das Personal oder die lästige Bürokratie kümmern.“
Immer mehr dieses MVZs entstehen in Großstädten und entlang der Autobahnen. Das Problem sei, so Jaeger-Wamprecht, dass die Fläche davon nicht profitiere. Im Raum Riedlingen sieht sie die Entwicklung wie unter einem Brennglas: „Alle Zahnarzt-Praxen im Raum Riedlingen haben schon jetzt einen Aufnahmestopp, in den kommenden Jahren hören einige Kollegen aber auf. Notbehandlungen bei ‚Nichtpatienten‘ werden natürlich durchgeführt, für weitergehende Behandlungen müssen die Patienten sich aber schon jetzt an anderen Orten einen Zahnarzt suchen und ggf. weite Wege auf sich nehmen.“