Gegenstände tragen Geschichte in sich. Die sieben Elfenbeinfiguren, die nach Jahrzehnten wieder an ihren ursprünglichen Ort, der ehemaligen Villa Bergmann in Laupheim, zurückkehrten, können eine Geschichte von Unrecht, Verlust, aber auch moralischer Stärke und dem Versuch der Wiedergutmachung erzählen.
Anlässlich des Tags des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar, dem Tag an dem vor genau 80 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau befreit wurde, fand in der Musikschule Gregorianum ein festlicher Akt statt. „Wir gedenken heute der Opfer des Holocausts und somit Menschen, die Opfer des Hasses wurden, der sich grausam in der industriellen Vernichtung der Juden zeigte. Doch vor Ausschwitz gab es Vorstufen und diese fanden direkt in unserer Nachbarschaft, hier vor Ort statt. Als Freunde auf einmal keine Freunde mehr waren, jüdischen Bürger die Bürgerschaft abgesprochen wurde, jüdische Kinder nicht mehr am Kinderfest teilnehmen durften. Es ist aber genauso ein Tag, der an die Überlebenden erinnert. Diese Überlebenden sollten wir ehren, nicht aber durch unsere Worte, sondern genauso durch unsere Taten“, betont Oberbürgermeister Ingo Bergmann.
Die Geschichte der Elfenbeinfiguren reicht über zwei Kontinente, mehrere Jahrzehnte und verbindet von nun an zwei Familien, nämlich die Familie Bergmann sowie die Familie Meyer. Vermutlich erwarb Marco Bergmann, einer der vier Teilhaber der damals weltbekannten sowie international agierenden Haarfabrik Bergmann, bei einer seiner Asienreisen die zwölf geschnitzten Elfenbeinfiguren aus Japan. Ende des 19. Jahrhunderts kam eine große Japanbegeisterung in Europa auf, in dem Zuge verstärkt japanische Handwerkskunst gesammelt wurde. Auch der als kunstsinnig und kulturelle vielseitig interessierte Marco Bergmann erwarb die zwölf Elfenbeinfiguren für seine private Sammlung.
Bei diesen handelt es sich um „Okimono“, eine Kunstschnitzarbeit, welche seit dem späten 19. Jahrhundert in Japan gefertigt wurden. Die Villa Bergmann war ein Ort, in dem Kunst und Kultur sowie der rege Austausch stark geschätzt wurde. Konzertabende fanden dort regelmäßig statt, wobei dort sowohl auf einem Steinway-Flügel, einem Violoncello sowie einer wertvollen Geige musiziert wurde. Marco Bergmann und seiner Frau Else gelang 1937 die Flucht aus Nazi-Deutschland, seine Villa mitsamt dem Inventar wurde jedoch kurz darauf zwangsversteigert.
Dass die Elfenbeinfiguren nach Jahrzehnten wieder zurück in die ehemalige Villa Bergmann zurückkehren konnten, ist dem Engagement und den ausführlichen Recherchen des Journalisten Christoph Meyer zu verdanken. Als Kind hatte er bei seiner Großtante Liesel eine kunstvoll und ornamentreich gestaltete Elfenbeindose bewundert. Als seine Tante einige Jahre später starb und er gefragt wurde, ob er gerne etwas aus dem Nachlass übernehmen möchte, fiel ihm wieder die Elfenbeindose ein.
“Als ich meinen Onkel darauf ansprach, wurde deutlich, dass die Dose nicht auf rechtmäßigem Weg in den Besitz meiner Tante gelangt war, sondern aus einer Villa jüdischer Fabrikanten in Laupheim stammte”, sagt Christoph Meyer. Zudem habe der Onkel zu erkennen gegeben, dass sie nicht mehr vorhanden war. “Ich habe es damals damit bewenden lassen”, erinnert sich Meyer. Erst viele Jahre später während der Pandemie nahm er sich vor, die Nazi-Vergangenheit seiner Familie zu recherchieren. Er schaute in diesem Zuge auch die Entnazifizierungsakten seiner Großeltern und seiner Großtante durch. „Ich wusste, dass viele in der NSDAP waren, dass aber meine Großtante, die für mich immer ein großes Vorbild war und auch meine Wertvorstellungen stark geprägt hatte, die dickste Akte besaß, überraschte mich“, erzählt Christoph Meyer.
In den Akten fand sich ein Hinweis, dass die Großtante in der Nazizeit immer wieder in Laupheim war, um die Familie ihres Verlobten zu besuchen. Dabei übernachtete sie wohl in direkter Nachbarschaft der Villa Bergmann. “Mir wurde plötzlich klar, dass das Elfenbein nur aus der Villa Bergmann stammen konnte”, sagt Meyer. Die Dose blieb verschwunden, doch auf dem Dachboden seines Onkels fanden sich zu Meyers Überraschung Elfenbeinfiguren, die aus derselben Quelle stammen sollten. Wie die Figuren in den Besitz seiner Tante kamen, lässt sich nicht mehr genau nachvollziehen. Doch weitere Recherchen zeigten, dass die Bergmanns tatsächlich Elfenbeinfiguren besaßen, die in der Nazizeit gestohlen oder konfisziert und verkauft worden waren. “Als ich herausfand, dass es doch noch Elfenbein aus der Villa Bergmann gab, war mein erster Impuls, die Gegenstände natürlich wieder zurückzugeben. Ich hoffte sehr, dass es noch Nachfahren gab, denn das ist oftmals leider nicht mehr der Fall“, so Christoph Meyer.
Seine ersten Recherchen führten ihn direkt zur Gesellschaft für Geschichte und Gedenken e.V. Dort konnte Micha Schick weiterhelfen und vermittelte den Kontakt zu Ann Dorzback. Die Nichte Marco Bergmanns ist mittlerweile stolze 103 Jahre alt und lebt in den USA. Sie stellte den Kontakt zu Marco Bergmanns Enkeln her, wodurch ein intensiver Austausch zwischen Christoph Meyer und den Bergmann Nachkommen entstand.
Bei dem Festakt waren sowohl Meyers Familie als auch Ron Bergmanns Familie anwesend. Ron Bergmann erzählt: „Die Figuren sollten ursprünglich als Dauerleihgabe in das Museum kommen. Dr. Niemetz schlug vor, diese direkt in der Musikschule zu präsentieren. Das schien mir noch treffender zu sein, da die Villa Bergmann der Ort war, zu dem die Figuren ursprünglich gehörten. Zudem war die Villa immer ein Ort der Kultur und des Austausches. Die Musikschule selbst ist ein Ort des Lehrens und des Lernens, ich finde es daher überaus passend, dass die Schüler auf diese Weise auch etwas über die Geschichte des Ortes erfahren.“
Sichtlich gerührt waren die Bergmanns über die Rückkehr der geraubten Elfenbeinfiguren. „Für mich ist das, was Christoph Meyer getan hat nicht selbstverständlich. Es ist das eine, sich seiner Familiengeschichte zu stellen, aber es ist das andere, dann auch tätig zu werden und gemachtes Unrecht wiedergutzumachen. Für mich ist das ein mutiger und inspirierender Akt, der zeigt, wie eine Geschichte, auch nach Jahrzehnten, wieder Menschen miteinander verbinden kann. Ich möchte auch gerne allen, die dafür gesorgt haben, dass wir heute, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, hier stehen, danken.“, unterstreicht Ron Bergmann.
Dass dieses Zusammenkommen nicht selbstverständlich ist, hebt auch Museumsleiter Dr. Michael Niemetz hervor: „Der Abend und diese gesamte Geschichte zeigen, dass es auch das Engagement von vielen Seiten benötigt. Das von einer Einzelperson, die alles ins Rollen bringt, aber auch das der Menschen, die dafür sorgen, dass etwas auch umgesetzt wird. Dazu gehören in ganz erheblichen Maßen die jüdischen Nachkommen der Laupheimer Gemeinde, die hier mitwirken und unterstützen. Doch genauso braucht es die Unterstützung aus der Stadt, ob nun von der Stadtspitze oder der Bürgerschaft, die sich oftmals ehrenamtlich einbringen. Dass wir diese Unterstützung in Laupheim haben, kann nicht hoch genug geschätzt werden“.
Der Abend wurde musikalisch von Helmuth Zeihsel am Klavier, Petr Hemmer an der Violine sowie Michael Strele am Violoncello begleitet, die jeweils ein Musikstück von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Heinrich Ignac Franz Biber sowie Ernest Bloch spielten. Tim Beck, Leiter der Musikschule übernahm an dem Abend die Moderation und lud die Besucher zum Austausch ein: „Der heutige Tag ist kein Tag zum Feiern, es ist einer zum Innehalten, Reflektieren und Gedenken. Die Rückkehr der Elfenbeinfiguren markiert ein wichtiges Kapitel nicht nur für Laupheim, sondern auch für unsere Musikschule. Aus dem Grund wird die Geschichte der Figuren sowie der Villa Bergmann auf der Homepage der Musikschule, in Englisch und Deutsch, ergänzt“.
Neben den Figuren und einer Infotafel wurde auch eine Plakette an der Musikschule angebracht, die an die Familie Bergmann erinnern soll.
(Pressemitteilung: Stadt Laupheim)