Nach den krachend miesen Wahlergebnissen der letzten Landtagswahlen und bei der Europawahl haben die Grünen die Reißleine gezogen. Die Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sind mit dem gesamten Parteivorstand zurückgetreten. Wir baten die Bundestagsabgeordneten Prof. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen) und Josef Rief (CDU), sowie Martin Gerster (SPD) um Ihre jeweilige Einschätzung/Bewertung dieser Rücktritte. Gerster äußerte sich zu den Vorgängen bei der Partei des Koalitionspartners bisher nicht.
Statement von Dr. Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen):
„Der Bundesvorstand hat uns heute Morgen über seine Entscheidung informiert. Persönlich möchte ich dem gesamten Bundesvorstand danken und meinen großen Respekt vor dieser Entscheidung aussprechen. Der Rücktritt von Ricarda, Omid und dem gesamten Bundesvorstand ist die richtige Entscheidung und eine notwendige Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden bei den letzten Wahlen. Das war sicher keine leichte Entscheidung. Das zeigt für mich wahre Größe und Weitsicht! Für uns als Partei bedeutet der Neustart eine Chance, uns neu zu sortieren. Und dass dies dringend nötig ist, zeigen die jüngsten Wahlergebnisse im Osten. Und auch bei uns in Baden-Württemberg tun sich Risse auf.
Darum brauchen wir jetzt neue, pragmatische Antworten auf die Herausforderungen unserer Gesellschaft: Zukunftsängste, Furcht vor Wohlstandsverlust, Fake-News oder das Stadt-Land-Gefälle. Wir Grüne werden darauf eine Antwort geben – und vor allem die junge Generation wieder an Bord holen. Jetzt werden wir mit voller Kraft in die kommenden Wahlkämpfe gehen und klar zeigen, dass es uns Grüne braucht.“
Statement von Josef Rief (CDU):
„Zuerst einmal muss man die Entscheidung des Grünenvorstand respektieren. Wenn man in den drei Landtagswahlen im Osten so abschneidet, zumal der Wahlkampf von Bundesthemen dominiert war, ist es nachvollziehbar auch personelle Veränderungen vorzunehmen. Dies ist aber nur ein weiteres Symptom für den Zerfall der Ampel. Hauptproblem der Grünen sind jedoch falsche politische Inhalte, die bei vielen Menschen verschiedenste Ängste und Befürchtungen aufkommen lassen und die wenigsten Menschen einen Arbeitsplatzverlust und analog dazu Wohlstandsverluste größeren Ausmaßes keinesfalls hinnehmen möchten. Die FDP ist bereit zum Aufkündigen der Koalition, falls der Haushalt, der auf tönernen Füßen steht, nicht beschlossen wird.
Die SPD diskutiert bereits sehr offen darüber, ob Scholz der richtige Mann an der Spitze ist. Die kleinen Schritte in der Asylpolitik und die Kontrollen an den Grenzen sind nur auf Druck der CDU/CSU überhaupt durchgesetzt worden. Es ist klar, die Ampel ist am Ende. Ratlosigkeit, Streit und Lähmung können so nicht noch ein Jahr weitergehen. Schnelle Neuwahlen wären jetzt der richtige Weg. Ich befürchte aber, dass auch dazu der Ampel die Kraft fehlt.“
(Quelle: Dr. Anja Reinalter/ Josef Rief)