Gesundheitspolitik Gesundheitspolitik: Die Kandidaten für den Bundestag stellen sich den Fragen

Gesundheitspolitik: Die Kandidaten für den Bundestag stellen sich den Fragen
Die Bundestagsabgeordneten Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Gerster (SPD) und Wolfgang Dahler (CDU) äußerten sich zur Gesundheitspolitik. (Bild: picture alliance / Eibner-Pressefoto | EIBNER/DROFITSCH/picture alliance / Geisler-Fotopress | Frederic Kern/Geisler-Fotopress/Wolfang Dahler CDU)

Am 23. Februar wird der neue Bundestag gewählt. Während die Abgeordneten Anja Reinalter (Bündnis 90/Die Grünen) und Martin Gerster (SPD) in ihrem Wahlkreis (Biberach) um den erneuten Wiedereinzug in den Bundestag kämpfen, versucht Wolfgang Dahler (CDU) erstmals den Sprung ins Parlament zu schaffen. Dahler kandidiert als Nachfolger des Langjährigen Bundestagsabgeordneten Josef Rief (CDU), der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr antritt.

Zum Auftakt unserer Themenkataloge haben wir den drei aussichtsreichsten Kandidaten im Wahlkreis Biberach Fragen zur Gesundheitspolitik gestellt, um die unterschiedlichen Standpunkte der Kandidaten und ihren Parteien herauszuarbeiten. Die Kandidaten werden in regelmäßigen Abstanden zu weiteren wichtigen Themen befragt.

Bei Facharztterminen müssen Patienten oft monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen. Bei den Zahnärzten gibt es flächendeckend einen Aufnahmestopp. Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um hier zu einer besseren Patientenversorgung zu kommen?

Reinalter: Wir Grüne werden Vertragsärzte von unnötiger Bürokratie entlasten und den Sprechstundenanteil für gesetzlich Versicherte erhöhen, damit Patienten schneller Termine erhalten. Unterversorgte Gebiete wollen wir stärker unterstützen, indem wir die Verteilung von niedergelassenen Ärzten enger mit der Krankenhausplanung der Länder verknüpfen.

Dahler: Der Fachärztemangel hat viele Ursachen. Wir werden älter, wir haben überall, besonders aber im Gesundheitswesen und in der Pflege, Fachkräftemangel. Der medizinisch-technische Fortschritt und steigende Kosten sind eine weitere Herausforderung. Wir wollen die Hausarzt- und Kinderarztpraxen in Zukunft so weiterentwickeln, dass sie eine Steuerungsfunktion für die Behandlungsabläufe übernehmen, um Wartezeiten auf Termine zu senken. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz hatte die letzte CDU-geführte Bundesregierung beschlossen, dass Ärzte, die Neupatienten aufnehmen, zusätzliche Vergütung erhalten und Terminvermittlungen durch Hausärzte ebenfalls bezahlt werden können. Durch die Ampel wurden große Teile des Gesetzes wieder einkassiert. Wir müssen im Gesundheitssystem durch Digitalisierung und die Entlastung von Bürokratie mehr Effizienz erreichen. Auch muss weiter darüber diskutiert werden, ob die schnelle Terminvergabe davon abhängig sein darf, ob es sich um Privat- oder Kassenpatienten handelt.

Gerster: Bei der ambulanten Gesundheitsversorgung macht sich stark bemerkbar, dass auf der einen Seite immer mehr Menschen das Rentenalter erreichen, was zu einem Mehrbedarf an medizinischer Versorgung führt. Auf der anderen Seite scheiden die generationsstarken Babyboomer-Jahrgänge aus dem Beruf aus, gleichzeitig fehlt durch den demografischen Wandel an entsprechendem Fachkräfte-Nachwuchs. Deshalb hat das SPD-geführte Bundesgesundheitsministerium das Versorgungsstärkungsgesetz vorgelegt, mit dem wir einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Kapazitäten im Bereich der ambulanten Versorgung auch künftig zu sichern und effizienter zu nutzen. Das Gesetz zielt mit umfangreichen Maßnahmen insbesondere auf eine Stärkung der ambulanten Versorgung und der Attraktivität der hausärztlichen Tätigkeit ab. Zudem sollen ambulante Versorgungsstrukturen flexibilisiert und der Zugang der Patientinnen und Patienten zu den ambulanten Behandlungsangeboten verbessert werden.

Das wollen wir unter anderem erreichen, indem wir es den Kommunen erleichtern, eigene medizinische Versorgungseinrichtungen zu erreichten und zu betreiben. Der Gesetzentwurf ist vom Bundeskabinett beschlossen, konnte aber wegen des von der FDP herbeigeführten Koalitionsbruchs nicht mehr vom Bundestag beraten werden. Wir wollen in der nächsten Wahlperiode, die im Krankenhausbereich begonnenen Strukturreformen schnell fortsetzen. Um Wartezeiten zu verringern, werden wir eine Termingarantie der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen einführen. Gesetzlich Versicherte sollen genauso schnell wie Privatversicherte einen Termin erhalten.

Neben strukturellen Reformen setzen wir auch auf Digitalisierung und Prävention. Wir haben die Digitalisierung im Gesundheitswesen massiv vorangetrieben, um die Diagnostik und Behandlung zu verbessern und eine schnelle Datenverfügbarkeit zu gewährleisten.

Ausgerechnet im reichen Landkreis Biberach fehlen die meisten Kinderärzte im Ländle. Wie kann das sein?

Reinalter: Ich kenne die Suche nach Kinderärzten in Biberach von vielen Eltern aus meinem Wahlkreis. Wir Grüne nehmen die Unterversorgung einzelner Regionen bei Kinderärzten sehr ernst. Wir müssen die Tätigkeit in der kinderärztlichen Versorgung dringend attraktiver machen. Daher haben wir im Bereich der Kindermedizin mit der Entbudgetierung bereits eine wichtige Maßnahme umgesetzt: So bekommen Kinderärzten endlich all ihre Leistungen vollständig bezahlt und Niedergelassenen wird mehr Planungssicherheit verschafft. Dadurch wird es auch für junge Mediziner*innen attraktiver, sich für diese Fachrichtung zu entscheiden.

Dahler: Man sieht, dass es nicht nur eine Frage des Geldes ist, Kinderärzte zu finden. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sodass sie in der Regel nicht auf normale Hausärzte ausweichen können. Jeder, der Kinder hat, kann die besondere Situation nachvollziehen. Der Erfindungsreichtum von Kommunen und Landkreisen ist groß, wenn es darum geht, neue Ärzte zu gewinnen. Ein Weg wäre die Gründung sogenannter Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) durch die Landkreise. Hier könnten gerade auch Ärztinnen für eine Anstellung gewonnen werden, die wegen ihrer Familienplanung oder zur Wahrung ihrer Flexibilität sich nicht mit einer eigenen Praxis niederlassen möchten. Ich werde mich dafür einsetzten, dass wir hier die Bemühungen verstärken und neue Lösungen finden, wenn ich in den Bundestag gewählt werde.

Gerster: Die Probleme bei der pädiatrischen Versorgung haben wir frühzeitig erkannt und entsprechend gehandelt, indem wir die in diesem Bereich geltenden Budgets abgeschafft haben. In der ambulanten Kinder- und Jugendmedizin wurden bisher Budgets festgelegt. Wenn Kinderärztinnen und -ärzte in einem Quartal mehr Patientinnen und Patienten behandelt haben als das Budget vorsah, bekamen sie dafür nicht mehr Vergütung.

Wir haben neu geregelt, dass es Vergütungen für pädiatrische Leistungen gibt, auch wenn das Budget der Kinderärzte und der Kinderfachärzte bereits aufgebraucht ist. Damit wird sichergestellt, dass jede erbrachte Leistung zu 100 Prozent vergütet wird. Ausgewählte Leistungen der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie werden zudem extrabudgetär vergütet. Mit dieser Regelung machen wir nicht nur den Beruf von Kinderärzten attraktiver, sondern reagieren auch auf die Versorgungsprobleme und stärken so zielgenau die bedarfsgerechte kinder- und jugendmedizinische Versorgung.

Dennoch machen sich die grundsätzlichen Probleme des Fachkräftemangels und des fehlenden Nachwuchses auch in der Kinder- und Jugendmedizin bemerkbar. Es ist primär die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Länder, die regionale Versorgung zu sichern. Wir haben für eine Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Länder gesorgt, indem wir ihnen zusätzliche Möglichkeiten an die Hand gegeben haben, z.B. durch die Einführung sektorenübergreifender Versorgungseinrichtungen.

Die Krankenkassenbeiträge sind zum Jahreswechsel deutlich gestiegen und schon kündigen die Kassen weitere Beitragserhöhungen an. Wie will Ihre Partei diesen besorgniserregenden Trend stoppen?

Reinalter: Wir Grüne setzen uns für eine Finanzierung von Gesundheit und Pflege ein, die verlässlicher und gerechter ist als der Status quo. Basis hierfür ist eine faire und solidarische Beteiligung aller Versicherten an der Finanzierung. Wir wollen, dass die Abgaben für die Bürgerinnen und Bürger bezahlbar bleiben und sich die Menschen darauf verlassen können, dass sie auch im Notfall jederzeit gut versorgt sind.

Die Beitragsbemessung werden wir reformieren und beispielsweise auch Kapitaleinnahmen zur Finanzierung unseres Gesundheits- und Pflegesystems heranziehen. Normale Sparer werden selbstverständlich nicht betroffen sein. Wer sich etwas zurücklegt oder privat fürs Alter vorsorgt, soll das auch in Zukunft ohne Belastungen tun können. Damit schützen wir auch Löhne und Gehälter vor höheren Beitragsabgaben.

Dahler: Unbestritten ist die Gesundheitsversorgung in unserem Land kostenintensiv. Wir wollen und müssen das Gesundheitspersonal ordentlich bezahlen, der medizinisch-technische Fortschritt und steigende Kosten schlagen sich auch bei den Krankenkassenbeiträgen nieder. Wir wollen mehr Wettbewerb zwischen den Krankenversicherungen und mehr Effizienz beim Einsatz von Beitragsgeldern. Zudem müssen wir endlich darüber nachdenken, die Krankenversicherungen von versicherungsfremden Leistungen zu entlasten. So sollten zum Beispiel die Gesundheitskosten der Bürgergeldempfänger nicht über das System der Gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, in die Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch einzahlen. Aktuell zahlt der Bund für Bürgergeldempfänger eine Pauschale in den Gesundheitsfonds der GKV, die aber weniger als die Hälfte der tatsächlichen Kosten deckt.

Gerster: Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Beiträge für Versicherte sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stabil bleiben und die Ungleichheiten zwischen verschiedenen Versichertengruppen beendet werden. Deshalb werden wir den Finanzausgleich zwischen den Krankenkassen gerechter gestalten. Auch die privaten Versicherungen sollen zum Risikostrukturausgleich beitragen.

Ein solidarisches Finanzierungssystem schafft Vertrauen und nimmt den Bürgern die Sorge vor finanziellen Belastungen. Versicherte dürften nicht durch ihre Wahl der Krankenkasse benachteiligt werden. Deshalb stärken wir das beitragsfinanzierte Umlagesystem. Außerdem werden wir versicherungsfremde Aufgaben im Gesundheitswesen zukünftig verstärkt aus Steuermitteln finanzieren.

Ein überwiegender Teil der Krankenhäuser schreibt noch immer tiefrote Zahlen (in Baden-Württemberg 2024 knapp 900 Millionen). Mit welchen Konzepten wollen Sie gegensteuern, um ein nicht gewünschtes Krankenhaussterben zu unterbinden?

Reinalter: Ziel ist es, in Deutschland weiterhin eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung sicherzustellen, bei der die jeweiligen Bedarfe der Bevölkerung zielgenau betrachtet werden. Wir Grüne fordern deshalb notwendige Korrekturen an Teilen der Krankenhaus-Reform, um in der Fläche eine leistungsgerechte, faire und betriebswirtschaftlich auskömmliche Ausgangslage zu garantieren. Allen voran muss dazu die geplante Vorhaltevergütung für die Krankenhäuser nach diesen Maßstäben verändert werden. Daran müssen die gesetzlichen und privaten Versicherungen angemessen beteiligt werden.

Dahler: Das Ergebnis der Krankenhausreform von SPD-Gesundheitsminister Lauterbach bleibt hinter den Erwartungen und Ankündigungen zurück und wurde während des Gesetzgebungsverfahrens kontrovers diskutiert. Eine hochwertige Versorgung in der Stadt wie auch auf dem Land ist im Zuge einer Krankenhausreform sicherzustellen. Dabei muss die Planungshoheit über die Krankenhäuser bei den Ländern verbleiben, welche die Bedarfe in der Fläche am besten kennen. Es wird nicht ausbleiben, dass wir spezialisierte Leistungen an einzelnen Standorten konzentrieren müssen. Schon heute stimmen die Leute mit den Füßen ab, in welchem Krankenhaus sie etwa die Hüfte oder das Knie operieren lassen. Spezialisierungen bringen höhere Qualität und mehr Effizienz mit sich, denn nicht nur die ärztliche Kompetenz, sondern auch das Pflegepersonal und die technische Ausstattung tragen entscheidend zum Erfolg bei. Wir brauchen aber gerade auch im ländlichen Raum eine flächendeckende stationäre Grund- und Regelversorgung. Unser Ziel ist es, den kalten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft, sprich die Insolvenzen von Kliniken, zu verhindern und Fehlsteuerungen infolge der Krankenhausreform zu korrigieren.

Gerster: Nach über zwei Jahren intensiver Vorarbeit haben wir mit der Krankenhausreform eines der wichtigsten Fortschrittsprojekte beschlossen. Damit stellen wir die Weichen für eine moderne Krankenhauslandschaft in Deutschland.

Nun steht die Umsetzung der Reform in den Ländern an. Das wird vor allem von den Planungsbehörden in den Ländern verlangen, dass sie die Versorgungssituation vor Ort kritisch betrachten und überlegen, welche Krankenhausstandorte in Zukunft welche Leistungsgruppen zugeordnet bekommen sollen. Davon abhängig muss dann entschieden werden, welche Standorte auf Dauer erhalten bleiben, welche ausgebaut oder zusammengelegt und welche u.U. nicht mehr als Krankenhaus weiter betrieben werden sollen. Für den daraus resultierenden Umbau der Krankenhauslandschaft können die Länder Gelder aus dem Transformationsfonds beantragen.

Wichtige Voraussetzung für diese Umsetzungsschritte sind die Verordnungen, die begleitend zum Gesetz wesentliche Details regeln. Dabei geht es vor allem um die Weiterentwicklung der Leistungsgruppen, die Mindestfallzahlen, die in den einzelnen Leistungsgruppen erbracht werden müssen und um die Beantragung der Mittel aus dem Transformationsfonds.

Die Schulnote beim Abi ist noch keine Garantie, dass aus dem Studenten ein guter und vor allem empathischer Arzt wird. Können wir es uns deshalb als Gesellschaft noch leisten, dass wir angesichts des Ärztemangels weiterhin auf dem Numerus Clausus für das Studienfach Medizin bestehen?

Reinalter: Eine Abschaffung des Numerus Clausus für ein Medizinstudium garantiert keineswegs, dass der Missstand der Fehlversorgung behoben wird. Dafür werden strukturelle Anpassungen in der Steuerung und Verteilung von Mediziner auf die unversorgten Gebiete und Fachbereiche benötigt. Selbstverständlich wünschen wir uns gute und empathische Ärzte, aber ein sehr gutes Abitur und ein Numerus Clausus schließen dies nicht aus.

Dahler: Es gibt zu wenig Studienplätze. Die Bewerber auf einen Studienplatz in Medizin übersteigen die Anzahl der Studienplätze deutlich. Mit Programmen wie der Landarztquote, bei denen sich Studienanfänger verpflichten für einen gewissen Zeitraum als Landarzt tätig zu sein, können auch Abiturientinnen und Abiturienten mit einem Abiturschnitt, der nicht dem Numerus Clausus entspricht, Medizin studieren. Ein solches Programm gibt es bereits in Baden – Württemberg und ist fortzusetzen. Die Anzahl der Studienplätze hängt beim Medizinstudium auch von der Anzahl der Laborplätze ab, die deutlich erhöht werden müssten, wenn mehr Ärztinnen und Ärzte in Deutschland ausgebildet werden sollen.

Oftmals sind es auch die Bürokratie, die Arbeitszeiten im Krankenhaus oder die Verdienstmöglichkeiten, die Ärzte ins Ausland abwandern lassen. Bei der wegen des großen Interesses notwendigen Auswahl der Studentinnen und Studenten werden bereits jetzt zusätzliche Kriterien zum Abiturschnitt herangezogen.