Mit dem Schiff über die Alpen – die geniale Idee des Pietro Caminada

Mit dem Schiff über die Alpen – die geniale Idee des Pietro Caminada
Pietro Caminada wollte das Mittelmeer mit dem Rhein und weiter mit der Nordsee verbinden. Und das mit Schiffen. (Bild: Von Pietro Caminada - Rom 1907// https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18588277)

Vor über 100 Jahren hatte der Schweizer Ingenieur Pietro Caminada die Idee, das Mittelmeer mit der Nordsee zu verbinden. Aber nicht mit der Bahn, sondern mit Schiffen. Auf den ersten Blick eine aberwitzige Idee. Aber es lohnt sich auch heute noch, genauer hinzuschauen. Immerhin hatte der Feldherr Hannibal bereits 218 v. Chr. die Alpen mit 40 Elefanten überquert.

Caminada wurde im Mai 1862 im kleinen Graubündner Nest Vrin geboren. Bereits als Kind faszinierten ihn die Ideen von Leonardo Da Vinci. Er lebte lange In Rio de Janeiro und kehrte 1907 nach Europa zurück.

In Rio einen Namen gemacht

Caminada hatte sich in Rio einen Namen gemacht. Von ihm stammte u.a. die Idee, ein ausgedientes Aquädukt für eine Straßenbahn zu nutzen. Er baute den Hafen von Rio aus und entwickelte sogar erste Ideen für eine neue Hauptstadt Brasilia.

Pläne, Städte wie Zürich und Genf über einen „transhelvetischen Kanal“ mit dem Rhein zu verbinden, gab es um 1900 schon einige. Aber Caminadas Idee ging weiter, viel weiter.

Mittelmeer und Nordsee mit dem Schiff direkt verbinden

Er wollte das Mittelmeer mit dem Rhein und weiter mit der Nordsee verbinden. Und das mit Schiffen. Seine Strecke sollte von Genua bis Mailand und den Comersee bis hinauf zum Splügenpass, dann durch einen 15 km langen Scheiteltunnel führen. Auf der Alpennordseite sollte es über Viamala, Thusis und Chur weiter auf dem Rhein bis zum Bodensee gehen. Auch den Rheinfall sah er nicht als Problem. Von dort sollte man weiter rheinabwärts bis an die Nordsee schippern. 591 km lang war die Strecke bis zum Bodensee. 61 km sollten in Kanälen, 43 km in Röhren geführt werden.

Eigentlich auf den ersten Blick völlig abwegig. Denn im Weg standen dem Projekt die Alpen. Dazu müssten erst mal über 1.300 Höhenmeter überwunden werden – und das per Schiff.

Absolut verrückt oder realisierbar?

Absolut verrückt und nicht realisierbar nannten seine Kritiker die Pläne. Andere sahen die Pläne durchaus als durchführbar an. Zu ihnen zählte der italienische König Viktor Emanuel III.

Der Splügenpass liegt nur wenige Kilometer von Caminadas Geburtsort entfernt. Der Weg über den Splügen galt als gefährlich und steil. Unzählige Säumer, Pilger und Soldaten verunglückten. Immer wieder rissen Lawinen Reisende in den Tod.

Doch Caminada ließ sich nicht abbringen. Er entwickelte die Idee, geschlossene Röhren mit großem Durchmesser zu bauen, die 50 Meter lange Lastschiffe transportieren könnten. Sie sollten Lasten bis zu 500 Tonnen befördern können.

Damals war das Straßennetz über die Alpen schlecht ausgebaut. Die Alpenkette erschienen damals noch als schier unüberwindlich.

Schiffe in Doppelröhren befördern und Wasserkraft ausnutzen

Die Idee Caminadas war es, Doppel-Kanalröhren zu bauen. Soll nun ein Schiff den Berg hochgehievt werden, fährt es in die unterste Schleuse ein. Das Tor schließt sich hinter ihm. Durch das Ansteigen des Wasserdrucks wird das Schiff vorwärts und auch aufwärts geschoben.

Um die Wasserkraft optimal ausnutzen zu können, müssen jeweils zwei Schiffe geschleust werden, eines bergauf, das andere bergab. Das Prinzip, das Caminada entwickelt hatte, war simpel: Während in der einen Schleusenkammer die Wassersäule sinkt und das eine Schiff abwärts gleitet, wird das abgelassene Wasser in die andere Kammer gepumpt. Das Schiff wird vom Wasserdruck bergwärts geschoben. Von Schleuse zu Schleuse geht es jeweils auf- bzw. abwärts.

Tunnel durch den Splügen

Auf diese Weise wollte Caminada den höchsten Punkt am Splügen erreichen. Dort oben sollte ein waagerechter Tunnel durch den Fels gegraben, die Schiffe von der Südseite beim Dorf Isola auf die Nordseite bei der Rofflaschlucht transportiert werden.

Das Projekt stößt auf Begeisterung. Die Gazetten berichten weltweit darüber. Sogar die New York Times widmet dem Projekt einen langen Artikel.

Weltweites Lob und große Beachtung

In Italien ist das Interesse besonders groß. Immer wieder wird auf die enorme wirtschaftliche und politische Bedeutung hingewiesen.

Nicht nur im Italienischen Königshaus, auch Wasserbauexperten aus dem Königreich Preußen preisen das Projekt in höchsten Tönen. Weltweit finden Caminadas Ideen enorme Beachtung und großes Lob.

Bahnlobby fürchtet Konkurrenz

Doch in Caminadas Heimatkanton Graubünden herrscht große Skepsis. Einige Bündner Politiker bevorzugen eine Trassenlösung per Eisenbahn. Die mächtige Schweizer Bahnlobby sieht in Caminadas Projekt eine gefährliche Konkurrenz.

Doch der „Feuerkopf mit langen Harren bis zu den Schultern“ wie ihn das Bündner Tagblatt beschreibt, kämpft für seine geniale Idee. Mehr als 15 Jahre lang feilt er an den Plänen. Schließlich baut er für eine Architekturausstellung in Mailand sogar ein Riesenmodell im Maßstab 1:10.

Der Erste Weltkrieg stoppt Caminadas Pläne

Doch dann bricht der Erste Weltkrieg aus. Die Machthaber in Rom haben nun in erster Linie militärische Interessen. Sein Projekt gerät in den Hintergrund. Selbst nach dem Krieg gibt sich der Ingenieur noch lange nicht geschlagen.

1923 will er nach Graubünden reisen um die Bündner von seinem Projekt zu überzeugen. Doch am 20. Januar 1923 stirbt Caminada im Alter von nur 60 Jahren.

Nach seinem Tod gerät das Projekt in Vergessenheit

Das Projekt gerät nach seinem Tod zunehmend in Vergessenheit. An den genialen Ingenieur und seine hochfliegenden Pläne erinnert sich bald kaum mehr jemand. Bis auf den Pädagogen Kurt Wanner, der 2005 eine Sonderausstellung in Splügen organisiert.

Auch der Südtiroler Staatsbeamte Albert Mairhofer ist von Caminadas Ideen begeistert. Die Entwürfe Caminadas bezeichnet er als sehr beeindruckend aber etwas zu kompliziert. Sein eigener Vorschlag, statt über die Alpen durch die Alpen in einem langen Tunnel zu fahren, gibt der Idee, die Alpen per Schiff zu queren, neuen Schwung. Aber auch sein Projekt kommt nie zur Realisierung.

Eisenbahntrassen erweisen sich als effizienter

Das Bauen von Eisenbahnstrecken wie Simplon, Gotthard ober Brenner erweisen sich schließlich als effizienter und schneller realisierbar.

Geblieben sind jedoch Caminadas geniale Ideen. In Vrin, wo er geboren wurde, habe man nach seinem Tod die Glocken geläutet. „Einer der Ihrigen sei gestorben, auf den man stolz sein dürfe“.