Gewaltvorwürfe Bundesregierung kritisiert Gewalt in Lützerath

Bundesregierung kritisiert Gewalt in Lützerath
Polizisten drängen Demonstranten am Rande des Braunkohletagebaus bei Lützerath zurück. Die Polizei habe «hochprofessionell» gearbeitet, so NRW-Innenminister Reul. (Bild: Oliver Berg/dpa)

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«Hochprofessionell» oder «unverhältnismäßig gewalttätig»? Nach Zusammenstößen von Polizei und Aktivisten in Lützerath wird über die Bewertung des Einsatzes gestritten.

Berlin (dpa) – Die Bundesregierung hat Gewalt von Demonstranten bei der Räumung des Dorfes Lützerath für den Braunkohlebergbau kritisiert. Die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann verwies auf ein Interview von Kanzler Olaf Scholz (SPD) vom Wochenende in der «taz», wo dieser erklärte, die Grenze bei Demonstrationen verlaufe dort, wo es zu Gewalt komme. «Diese Grenze wurde in Lützerath überschritten, und das verurteilen wir auch ausdrücklich», sagte Hoffmann am Montag in Berlin.

Aktivisten hatten der Polizei Gewalt-Exzesse bei der Großdemonstration am Samstag vorgeworfen. Es sei eine «hohe zweistellige bis dreistellige Zahl» von Teilnehmern verletzt worden, sagte am Sonntag eine Sprecherin des Sanitäterdienstes der Demonstranten. Darunter seien viele schwer verletzte und einige lebensgefährlich verletzte Personen gewesen. Nach Angaben der Polizei wurden neun Aktivisten mit Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Demnach erlitten mehr als 70 Polizistinnen und Polizisten seit Beginn des Räumungseinsatzes Verletzungen auf dem Gelände. Ein Polizeisprecher hatte am Sonntag aber gesagt, dass die Verletzungen nur zum Teil auf Gewalt durch Demonstranten zurückgingen.

Hoffmann: Einsatz muss aufgearbeitet werden

«Seitens der Polizei wurde in Lützerath geltendes Recht durchgesetzt», sagte Hoffmann. Dies müsse akzeptiert werden, und von einem Großteil der friedlich demonstrierenden Versammlungsteilnehmer sei dies auch akzeptiert worden. «Aber eben leider nicht von allen.» Dies habe zu den Zusammenstößen geführt, die die Polizei eigentlich habe vermeiden wollen. Der Einsatz müsse nun aufgearbeitet werden, auch die Verhältnismäßigkeit des Vorgehens der Polizei.

Polizisten und Demonstranten stehen sich am Rande des Braunkohletagebaus gegenüber.
Polizisten und Demonstranten stehen sich am Rande des Braunkohletagebaus gegenüber. (Bild: Oliver Berg/dpa)

Hoffmann dankte den Polizistinnen und Polizisten, die rund um Lützerath im Einsatz waren. Es sei kein leichter Einsatz gewesen, Vorbereitungen und Durchführung seien enorm herausfordernd gewesen.

An die Aktivistinnen und Aktivisten gerichtet erklärte Hoffmann: «Diese Bundesregierung hat verstanden, dass wir alles für das Gelingen der Energiewende tun müssen.» Der Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2045 müsse aber auch umsetzbar sein. Bis dahin will Deutschland nicht mehr Treibhausgase ausstoßen als auch wieder gebunden werden können. «Wir können nicht von heute auf morgen die fossilen Energien hinter uns lassen», sagte Hoffmann.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) nahm die Polizei zuvor gegen den Vorwurf unverhältnismäßiger Gewaltanwendung in Schutz. Die Polizei habe «hochprofessionell» gearbeitet, sagte Reul am Sonntagabend in der ARD-Talkshow «Anne Will».

Er werde jeden Fall von unangemessener Polizeigewalt untersuchen lassen. «Wir haben ein, zwei Filme im Netz gesehen, wo wir sagen: «Das sieht nicht gut aus.» Das werden wir uns genau anschauen, da haben wir auch Strafanzeige gestellt vorsichtshalber, weil ich finde, das muss gecheckt werden. Das habe ich die letzten Jahre immer gemacht, und das wird auch jetzt so gemacht.»

Es sei aber nicht so, als wären bei der Demo massenhaft «wild gewordene Polizisten» unterwegs gewesen. Von den Veranstaltern der Demo hätte er sich gewünscht, sich klar von Gewalt zu distanzieren, aber das sei nicht geschehen.

Neubauer: Polizeieinsatz «unverhältnismäßig gewalttätig»

Klimaaktivistin Luisa Neubauer widersprach dem und warf der Polizei in der Sendung einen unverhältnismäßig gewalttätigen Einsatz vor. «Das sah in keiner Weise professionell aus», kritisierte sie. Neubauer verwies darauf, dass nach Angaben einer Sanitäterin der Demonstranten viele Menschen von der Polizei schwer verletzt worden seien. Der Protest dagegen sei friedlich gewesen.

Die Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang verteidigte erneut die Linie ihrer Partei bei der Räumung. «Das war für mich persönlich kein einfacher Kompromiss, ich glaube, für viele aus meiner Partei», sagte sie im ARD-«Morgenmagazin». Es sei aber ein Zeichen von Stärke, dass man es sich als Partei nicht einfach mache.

Großes Polizeiaufgebot bei der Demonstration am Samstag.
Großes Polizeiaufgebot bei der Demonstration am Samstag. (Bild: Henning Kaiser/dpa)

Nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist die Räumung weitgehend so gelaufen wie erwartet. Allerdings hätten die Wetterbedingungen mit Dauerregen und tiefem Morast den Einsatz erschwert, sagte Andreas Roßkopf, Vorsitzender des GdP-Bezirks Bundespolizei, der Deutschen Presse-Agentur. Für ihn sei unverständlich, dass es friedliche Teilnehmer nicht geschafft hätten, «sich von den gewalttätigen Teilnehmern zu distanzieren». Dies habe es den Polizisten und Polizistinnen erschwert, «hier angemessen einzuschreiten». Insgesamt hätten die Einsatzkräfte mit Besonnenheit und «dem nötigen Augenmaß» agiert.