„Unserem Gehirn geht es jeden Tag als Erstes darum, unser Überleben zu sichern“

„Unserem Gehirn geht es jeden Tag als Erstes darum, unser Überleben zu sichern“
Erklärt mit ihrer Marke embodisports, wie wichig ein gut funktionierender Kopf im Alltag oder Sport ist: Stefanie Raaf. (Bild: embodisports)

Nonnenhorn (tmy) – Stefanie Raaf ist Doktorin der Sportwissenschaften, arbeitet auch als Sportpsychologin und kümmert sich bei ihren Kunden um den neurozentrierten Ansatz, da sie mit ihrer Marke „embodisports“ nicht nur Unternehmen und Sportler, sondern auch Privatpersonen betreut und coacht. Darüber hinaus ist Raaf Trainerin des Handball-Landesligisten SG Argental. Für unseren Sportredakteur Thomas Schlichte hat sich Steffi Raaf Zeit für ein exklusives Interview mit „Wochenblatt News“ genommen.

Frau Raaf, warum ist ein gut funktionierender Kopf im Alltag und Sport so wichtig?

In der Fachsprache nennen wir das „Survival via Perdiction“. Unser Gehirn braucht eine gute Vorhersehbarkeit der Umwelt. Je bessere Vorhersagen das Gehirn machen kann, desto höher wird unsere Leistung. Aber oft haben wir Verletzungsgeschichten (angesammelte Verletzungen über die Jahre), die das Gehirn in der Vorhersehbarkeit einschränken und somit die Bedrohung für das Gehirn ansteigt.

Können Sie das bitte noch etwas konkretisieren?

Unser Gehirn antwortet dann auf die Frage „Ist das, was ich hier tue, sicher. Ja oder Nein?“ mit Nein und sendet dann einen „Protective Output“ beispielsweise in Form von Schmerz. Es ist daher immer wichtig, sich das sogenannte „Threat Bucket“ anzuschauen. Wo ist die Bedrohung, woher kommt die Bedrohung für das Gehirn? Denn: Wenn das Bedrohungsfass voll ist, dann antwortet unser Gehirn eben mit Schmerz. Bedrohungen sind unterschiedlicher Natur.

Was können denn aus Ihrer Sicht solche Einschränkungen sein?

Wir reden hier von einer Kopfverletzung (Kopf angeschlagen), Schleudertrauma beim Autounfall, Operationen, Narben, Medikamente oder Sportverletzungen. All das kann Einfluss auf das Gehirn haben und somit seine Vorhersehbarkeit einschränken.

Haben Sie uns hierzu ein Praxisbeispiel?

Eine Kundin von mir ist Filialleiterin im Einzelhandel und bei ihr wurden im August 2020 zwei Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule festgestellt. Diese äußerten sich mit Nervenirritationen (Kribbeln, Schmerzen), im Arm. Es sollte eine Operation folgen. Doch – und das möchte ich betonen – es muss nicht immer eine OP sein. Denn der neurozentrierte Ansatz hilft nicht nur dabei, die Performance im Sport zu steigern oder präventiv zu arbeiten, sondern hilft auch den „Athleten des Alltags“ – also Privatpersonen – schmerzfrei zu werden und um eine OP herumzukommen.

Wie gehen Sie hierbei ganz konkret vor?

Zunächst ist es wichtig herauszufinden, wo die Bedrohung für das Gehirn liegt. Es ist zu kurz gedacht, nur das Symptom „Bandscheibenvorfall in der Halswirbelsäule“ zu beheben. Dort, wo das Problem liegt, ist meistens nicht die Ursache. Betrachtet man das Ganze aus Gehirnsicht (neurozentrierte Perspektive), dann ist es wichtig zu verstehen, wie Bewegung funktioniert.

Wie funktioniert unser Bewegungsapparat denn?

Wir haben drei Inputkanäle (das visuelle System, das vestibuläre System und das propriozeptive System). Über dieses drei Inputkanäle erhält das Gehirn Informationen aus der Umwelt, diese werden im Gehirn integriert, interpretiert und dann trifft das Gehirn eine Entscheidung. Es folgt ein Output in Form von Bewegung. Und jetzt kommt das Entscheidende. Liefern beispielsweise die drei Inputkanäle schlechte Informationen an das Gehirn, also eine potenzielle Gefahr, dann sendet es einen „Protective Output“ in Form von Schmerz. Haben wir hingegen perfekt trainierte Systeme, dann ist die Gefahr für das Gehirn niedrig, die Vorhersehbarkeit hoch und unser Gehirn wird uns keinen „Protective Output“ senden, sondern Performance.

Und was bedeutet das für den regelmäßigen Trainingsbetrieb?

Für den Trainingsalltag bedeutet das immer: Input First. Das heißt: Wir müssen dringend die Inputkanäle bei der Beurteilung von Schmerzen mit einbeziehen. Schmerz ist immer ein Output vom Gehirn, der aufgrund von Bedrohung fürs Gehirn entsteht. Im Fall meiner Kundin war das auch so: Alle drei Systeme, das visuelle, das vestibuläre und das propriozeptive System (im Beckenbereich und Kieferbereich) waren nicht voll funktionsfähig.

Und wie genau läuft nun ein neurozentriertes Training ab?

Höchste Priorität hat zu Beginn eine detaillierte Analyse. Dabei stehen die Verletzungsgeschichte (über die Jahre hin weg) des Kunden und eine ausführliche Ganganalyse an erster Stelle. Es wird ein ausführliches Protokoll erstellt, so das auf dieser Basis spezifische Übungen herausgearbeitet werden können, die einen direkten Einfluss auf das Ziel des Kunden haben. Im Fall meiner Kundin war das oberste Ziel „schmerzfrei zu sein“. Nach nur einer Session waren die Nervenschmerzen weg. Der Kunde erhält dann im Normallfall einen bis fünf Drills für zu Hause, die er drei- bis fünfmal am Tag einfach in den Alltag integrieren kann. Nach etwa zwei Wochen gibt es einen Kontrolltermin, um gegebenenfalls ein paar Anpassungen vorzunehmen.

Weitere Informationen gibt’s im Internet unter www.embodisports.de