Kasachstans Staatsfernsehen: 164 Tote bei Unruhen

Kasachstans Staatsfernsehen: 164 Tote bei Unruhen
Einschusslöcher in der Windschutzscheibe eines Autos in Almaty. Kasachstan erlebte in dieser Woche die schlimmsten Straßenproteste seit seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion. (Bild: Vladimir Tretyakov/NUR.KZ/AP/dpa)

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Seit rund einer Woche wird Kasachstan von beispiellosen Ausschreitungen erschüttert. Am Freitag erließ Präsident Tokajew einen Schießbefehl. Nun gibt es offizielle Zahlen zu Todesopfern.

Nur-Sultan (dpa) – Bei den schweren Unruhen im zentralasiatischen Kasachstan sind offiziellen Angaben zufolge 164 Menschen getötet worden.

Das berichtete das Staatsfernsehen am Sonntag unter Berufung auf das Gesundheitsministerium. Demnach sollen allein in der von den Unruhen besonders schwer erschütterten Millionenstadt Almaty 103 Menschen ums Leben gekommen sein – darunter zwei Kinder.

Wie viele der Todesopfer Zivilisten waren, war zunächst unklar. Zuvor hatten die Behörden von mehr als 40 Toten gesprochen, unter ihnen mindestens 16 Polizisten und Soldaten. Die Unruhen in der an China und Russland grenzenden Ex-Sowjetrepublik dauern seit einer Woche an.

Mehr als 2200 Verletzte

Laut offiziellen Angaben sind dabei bisher mehr als 2200 Menschen verletzt worden. Vor allem in der Almaty im Südosten der Ex-Sowjetrepublik hätten rund 1100 Menschen medizinische Hilfe ersucht, meldete das Staatsfernsehen unter Berufung auf die Behörden. Unabhängige Informationen gibt es auch weiterhin nur spärlich.

Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte Polizei und Armee am Freitag angewiesen, «ohne Vorwarnung» auf Demonstranten zu schießen, die er als «Terroristen» und «Banditen» bezeichnete.

Seit einer Woche kommt das Land nicht zur Ruhe. Unmut über gestiegene Treibstoffpreise an den Tankstellen in dem öl- und gasreichen Land schlug in Proteste gegen die Staatsführung um. Neben vielerorts friedlichen Demonstrationen kam es auch zu gewaltsamen Ausschreitungen. Die autoritären Behörden sagen, die Lage sei mittlerweile unter Kontrolle. Wie das Präsidialbüro nach einer weiteren Krisensitzung mittelte, dauern die Einsätze gegen Demonstranten an. «Es werden Maßnahmen ergriffen, um Terroristen ausfindig zu machen und festzunehmen.»

Es seien mittlerweile fast 6000 Menschen festgenommen worden, darunter viele Ausländer, hieß es weiter. Tokajew behauptete, Demonstranten würden auch aus dem Ausland unterstützt.

Viel Zerstörung in Almaty

Einem Anwohner zufolge haben die beispiellose Ausschreitungen in Almaty schwere Verwüstungen hinterlassen. «Heute ist die Situation in der Stadt relativ ruhig», sagte ein vor Ort lebender Journalist der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag am Telefon. «Gestern Abend habe ich noch selbst Schüsse gehört.» Viele Lebensmittelgeschäfte seien geplündert worden. «Bankfilialen, Bankautomaten – alles ist kaputt.» Vor Bäckereien, die den Betrieb wieder aufgenommen hätten, bildeten sich lange Schlangen, sagte der 50-Jährige.

Weiterhin funktioniere das Internet in der Millionenstadt im Südosten des autoritär geführten Landes nicht. Immer wieder war auch die Mobilfunkverbindung in den vergangenen Tagen unterbrochen. Menschen in anderen Landesteilen und im Ausland hatten oft vergeblich versucht, Angehörige und Bekannte in Almaty zu erreichen. Am Freitag seien rund 2000 Demonstranten an seinem Haus vorbeigezogen, erzählte der Journalist, der unweit des Stadtzentrums wohnt. Einige hätten Stöcke in den Händen gehalten, Gewalt habe er aber nicht beobachtet.