„Angesichts der Preissteigerungen fällt der Heizkostenzuschuss zu gering aus“ – Ein Interview mit VdK-Präsidentin Verena Bentele

„Angesichts der Preissteigerungen fällt der Heizkostenzuschuss zu gering aus“ – Ein Interview mit VdK-Präsidentin Verena Bentele
VdK-Präsidentin Verena Bentele kümmert sich mit dem Verband um die sozialen Belange der Mitglieder. (Bild: VDK/Susie Knoll)

Verena Bentele, seit 2018 Präsidentin des Sozialverbandes VdK e. V., hat sich durch ihre großartigen Erfolge bei den Paralympics einen Namen gemacht. Zwar beendete sie 2011 ihre sportliche Karriere. 2013 machte sie sich zu einer bemerkenswerten Bergtour auf, bestieg den Kilimandscharo und als erster blinder Mensch auch den Mount Meru. Im Januar 2014 wurde sie zur Behindertenbeauftragten der Bundesregierung berufen. Seit Mai 2018 kümmert sie sich als Präsidentin des VdK um die sozialen Belange der Mitglieder ein.

Wir führten Präsidentin Verena Bentele ein Gespräch, um mehr über den VdK und seine aktuellen Aufgaben zu erfahren.

Frau Bentele, früher galt der VdK als gemeinnütziger Verein, der sich vorwiegend um Kriegsversehrte kümmerte. Welche Änderungen in der Ausrichtung und Mitgliederstruktur haben sich beim VdK ergeben?

Der VdK hat sich vom einstigen Interessenvertreter der Kriegsversehrten zu einem modernen Sozialverband mit 13 Landesverbänden und einem Bundesverband in Berlin entwickelt. Mit unseren mehr als 2,1 Millionen Mitgliedern sind wir heute der größte Sozialverband Deutschlands. Wir verstehen uns als Partner für Menschen, die Hilfe brauchen, der soziale Missstände aufdeckt und benennt. Wir beraten und vertreten unsere Mitglieder in allen sozialrechtlichen Angelegenheiten, beispielsweise in Sachen Rente, Behinderung, Unfallfolgen oder Pflege, und ziehen für sie zur Not auch bis vors Bundesverfassungsgericht. Wir setzen uns für eine gerechte Gesellschaft ein, an der alle teilhaben können. Die politische Interessenvertretung ist neben der Sozialrechtsberatung der VdK-Mitglieder eines der Hauptziele unseres Sozialverbands. Wir gestalten die deutsche Sozialpolitik aktiv mit, unter anderem durch unseren Einfluss auf Gesetzgebungsprozesse sowie medienwirksame Aktionen und Kampagnen. Als VdK-Präsidentin nutze ich die Möglichkeit, mit der Bundesregierung und den Abgeordneten über Gesetzesentwürfe zu diskutieren und die politische Willensbildung im Sinn unserer Mitglieder zu beeinflussen.

Sie können die Mitgliedschaft im VdK empfehlen, weil und wem?

Ich empfehle die Mitgliedschaft im Sozialverband VdK, weil in unseren bundesweit tätigen Geschäftsstellen Fachleute vor Ort qualifiziert zu allen Fragen des Sozialrechts helfen können. Wir unterstützen unsere Mitglieder dabei, Ansprüche gegen Krankenkassen, Rentenversicherungen und Behörden durchzusetzen. Außerdem hilft der VdK beispielsweise auch ganz praktisch beim Ausfüllen von Anträgen, bei der Formulierung von Widersprüchen und begleitet die Mitglieder bei Klagen vor den Sozialgerichten. Eine Mitgliedschaft empfehle ich allen Menschen, die unser breit gefächertes Angebot nutzen möchten, aber auch all jenen, die persönlich vielleicht keine sozialrechtlichen Probleme haben, uns aber bei unserem Kampf für eine gerechtere Gesellschaft unterstützen wollen.

Im Moment belasten steigende Energiepreise und die Inflation im besonderen Maße einkommensschwächere Menschen. Was kann der VdK für diese Menschen tun?

Der VdK berät seine Mitglieder und vertritt sie sozialrechtlich. Wir können also insbesondere dafür sorgen, dass die tatsächlichen Heizkosten in der Grundsicherung übernommen werden. Außerdem machen wir Druck bei der Regierung, dass die Energiepreise gesenkt und Menschen mit kleinen Einkommen dauerhaft entlastet werden.

Ist die Höhe des von der Regierung beschlossenen Heizkostenzuschusses ausreichend? Ggf.: Wie hoch müsste der aus VdK-Sicht sein?

Der beschlossene Heizkostenzuschuss für Wohngeldbezieher kann als kurzfristige Notfallunterstützung funktionieren. Er reicht aber nicht aus. Die Bundesregierung sieht vor, dass ein Einpersonenhaushalt einen einmaligen Heizkostenzuschuss in Höhe von 135 Euro erhält. Bei zwei Personen sind es 175 Euro. Angesichts von Preissteigerungen um das Doppelte oder sogar Dreifache fällt ein Betrag von 135 Euro für die komplette Heizperiode 2021/2022 viel zu knapp aus. Um einkommensschwache Haushalte bei den gesamten Wohnkosten effektiv zu entlasten, müssen unbedingt auch die kompletten tatsächlichen Heizkosten bei der Berechnung des Wohngeldes oder auch bei der Grundsicherung dauerhaft berücksichtigt werden.

Welche Probleme sehen Sie bei der Altersrente, insbesondere von Geringverdienern?

Das Grundproblem ist, dass viele Geringverdiener im Alter eine Rente erhalten, die unterhalb des Existenzminimums liegt. Und das, obwohl sie ein Leben lang Vollzeit gearbeitet haben. Deshalb fordert der VdK, diese niedrigen Renten aufzuwerten. Dabei ist die Grundrente ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es müssen aus Sicht des VdK jedoch mehr Personen von der Grundrente profitieren. Zudem ist sie zu kompliziert. Langfristig muss das Ziel sein, dass Konzepte wie die Grundrente überflüssig werden. Dazu braucht es mehr Tarifbindung mit anständigen Löhnen und eine Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 13 Euro, damit jeder einem arbeitsreichen Leben automatisch eine Rente oberhalb der Grundsicherung erhält.

Immer mehr wohnortnahe Krankenhäuser werden geschlossen. Darf es sein, dass eine gute stationäre und ambulante Versorgung vom Wohnort abhängig ist/wird?

Nein, das darf nicht sein. Alle Patientinnen und Patienten in Deutschland müssen Zugang zu einer guten und sicheren Krankenhausversorgung haben. Sowohl für die Notfallbehandlung als auch für einfache Eingriffe muss für alle Menschen in Deutschland ein Krankenhaus gut und schnell erreichbar sein. Es ist nicht entscheidend, sehr viele Krankenhäuser zu haben, sondern das richtige Krankenhaus an der richtigen Stelle.

Die Zahl der zu Pflegenden nimmt zu, die Plätze in Heimen sind begrenzt. Hat der VdK Vorstellungen wie eine Pflege im häuslichen Umfeld (finanziell) ermöglicht werden kann?

Die Menschen wollen zu Hause gepflegt werden. Doch die Politik konzentriert sich darauf, den Heimsektor zu stärken. Die pflegenden Angehörigen bekommen viel zu wenig Unterstützung – finanziell, ideell und organisatorisch. Der VdK hat eine große Umfrage unter pflegenden Angehörigen und Gepflegten durchgeführt. Dabei ist deutlich geworden, dass zu Hause Pflegende dringend stärker entlastet werden müssen. In allererster Linie wird das im Bereich des Haushalts und bei der Bürokratie gewünscht. Angehörige wollen sich kümmern und dazu müssen sie mehr denn je von den oft lästigen und zeitraubenden Alltagsdingen entlastet werden. Und diejenigen, die neben der Pflege noch einer Arbeit nachgehen, brauchen Auszeiten vom Job, die sie nicht in finanzielle Not stürzt – also eine Lohnersatzleistung.

Sie haben bei den Paralympics 11 Goldmedaillen gewonnen. Hilft Ihnen die dabei gelebte Disziplin und Ehrgeiz in Ihrem Ehrenamt weiter?

Für die politische Arbeit ist die Zielstrebigkeit schon sehr hilfreich. Viele politische Vorhaben lassen sich nicht in wenigen Wochen oder Monaten durchsetzen, eher sind es olympische Zeiträume von vier Jahren – manchmal dauert es auch noch viel länger, bis ein Erfolg erzielt wird. Geholfen hat mir in den letzten Jahren aber vor allem, dass ich an Ziele glaube und bereit bin, viel für diese Ziele zu investieren.

Was war in Ihrem Privatleben das spannendste Erlebnis?

Mein erster Wettkampf im Langlauf und Biathlon war eine sehr besondere Erfahrung. Vor allem habe ich damals viel über mich und meine Einstellung zum Erfolg und Misserfolg erfahren. Damals habe ich gelernt, dass das Gewinnen Spaß macht. Die Fehler sind zwar ärgerlich, sie sind jedoch die beste Schule fürs Hinfallen und wieder aufstehen.