Schrott zu Schrott: Der Lebenskreislauf eines Küchenmessers von der Herstellung bis zur Entsorgung

Schrott zu Schrott: Der Lebenskreislauf eines Küchenmessers von der Herstellung bis zur Entsorgung
Ein Küchenmesser in seiner natürlichen Umgebung. Hier, in Action, befindet es sich schon weit fortgeschritten in seinem Lebenskreislauf, aber gleichzeitig in der längsten Phase. (Bild: unsplash.com © Peyman Shojaei)

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„Schnipp“ macht es und aus Tomate, Gurke, Hähnchen und anderen Lebensmitteln wurde eine feine Scheibe oder ein großes Stück herausgetrennt. Möglich macht es etwas, das in jeder Küche so allgegenwärtig ist wie Herd und Töpfe.

Stets handelt es sich dabei um ein Werkzeug, das hauptsächlich aus Stahl besteht – und somit einem Werkstoff, der schon seit dem Altertum in einen umfassenden Kreislauf eingebunden ist. Ganz gleich, ob sehr günstiges Messer von eher zweifelhafter Qualität oder hochwertiges Exemplar für gutes Geld, über sein „Leben“ hinweg erfährt jedes Küchenmesser ganz ähnliche Stationen.

1. Die Stahlherstellung – Primärmetallurgie

Vom Eisen bis zum Stahl ist es ein langer Weg. Dieser beginnt damit, überhaupt einen Rohstahl zu erschaffen, der als Grundlage für alles Weitere dient. Dieser erste Schritt nennt sich Primärmetallurgie.

Los geht es damit, dass in einem Stahlwerk sogenanntes Roheisen (in meist flüssiger Form) angeliefert wird – entweder aus einem anderen Werk oder Bereich im eigenen Werk. Bereits das hat einen Verarbeitungsschritt hinter sich. Es entsteht, wenn Eisenerz (heute in Form homogenisierter Pellets) in einem Hochofen geglüht und dadurch von unerwünschten Bestandteilen (vor-)gereinigt wird.

Dieses Roheisen enthält jedoch zu viel Kohlenstoff. Nur was weniger als zwei Prozent davon enthält, wird als Stahl definiert. Darüber ist es Gusseisen. Das lässt sich nur in fertige Endformen gießen, nicht schmieden oder walzen, und ist deshalb für unser Küchenmesser völlig ungeeignet. Also muss der Kohlenstoff aus dem Metall heraus.

Die heute am weitesten verbreitete Reinigungsmethode nennt sich Linz-Donawitz-Verfahren (LD). Dabei wird das Roheisen in einen großen Behälter eingefüllt, genannt Konverter. Dazu werden nun Stahlschrott und/oder Roheisenschwamm hinzugegeben – ebenfalls ein Vorprodukt aus Eisen.

Dann wird es spektakulär: Über eine Lanze wird Reinsauerstoff in die Schmelze eingeblasen. Dadurch kommt es zu einer heftigen Verbrennung bzw. Oxidation mit fliegenden Funken und Feuerschein.

  • Kohlenstoff,
  • Silizium,
  • Mangan,
  • Schwefel und
  • Phosphor

werden dadurch entweder ausgegast oder sammeln sich auf der Schmelze als Schlacke. Weiter unten verbleibt reiner, deutlich weniger verunreinigter Rohstahl.

2. Die Stahlveredelung – Sekundärmetallurgie

In früheren Zeiten und bis heute bei manchen Messern könnte man diesen Primärstahl bereits nutzen. Er enthält nur Eisen und ungefähr zwei Prozent Kohlenstoff. Doch selbst dort, wo die Klinge aus einem derart simplen sogenannten Kohlenstoffstahl bestehen soll – und sowieso bei anderen Klingenstählen – geht man heute noch einen weiteren Weg.

In dieser sogenannten Sekundärmetallurgie wird der flüssige Rohstahl weiter verfeinert. Beispielsweise so:

  • Genaues Austarieren des Kohlenstoffgehalts durch Hinzugabe von Sauerstoff oder Kohlenstoff.
  • Reinigen der Schmelze von Phosphor und Schwefel. Er darf nur höchstens 0,045 Prozent betragen. Wird die Menge auf 0,025 Prozent reduziert, spricht man von Edelstahl.
  • Hinzugeben weiterer Metalle und Elemente, um eine komplexere Legierung herzustellen – wichtig unter anderem, damit das Küchenmesser nicht (so rasch) rostet.

Am Ende dieses Weges wird der flüssige Stahl in einer beidseitig offenen Form in grob rechteckige Bänder gegossen, die zu Blöcken zerteilt werden. Diese werden entweder für den weiteren Transport über Tage hinweg auskühlen gelassen oder, falls es sich um ein integriertes Hüttenwerk handelt, noch im glühenden Zustand in den nächsten Werksbereich gebracht.

3. Walzen – auf die Kraft kommt es an

Je heißer Stahl ist, desto weniger Kraft benötigt er zur Verformung. Das passt, denn für die industrialisierte Messerfertigung (die gar nichts mit manuellem Schmieden auf dem Amboss zu tun hat) werden große Blechtafeln oder lange Blechbänder benötigt.

Unser Stahlblock ist weit von diesem Zustand entfernt. In einem Walzwerk wird er daher nun in Form gebracht. Über viele einzelne Schritte durchläuft er verschiedene stählerne Walzen. Diese pressen ihn immer weiter zusammen. Dadurch geschehen zwei wichtige Dinge:

  1. Es entsteht eine Blechtafel oder ein Blechband, dessen Dicke dicht an derjenigen des späteren Messers ist.
  2. Da von dem Stahlblock nichts entfernt wird, entsteht ein ähnlicher verdichtender Effekt wie beim Schmieden. Das sorgt für unterschiedliche physikalische Vorteile, darunter eine erheblich erhöhte Festigkeit – die Belastbarkeit im Angesicht mechanischer Beanspruchungen.

Am Ende dieses vielstufigen Prozesses wird das Blechband zu gewaltigen Ringen, genannt Coils, aufgewickelt.

4. In der Messerfabrik – Plätzchen-Ausstechen einmal anders

Dieser Punkt ist derjenige, an dem sich die industrialisierte Serienfertigung heutiger Küchenmesser am stärksten von einer eher manufakturartigen Fertigung unterscheidet. Kurz zu letzterem:

In der Manufakturfertigung würde man mit dickeren Stahlstücken agieren – jedes mengenmäßig passend für ein Messer. Diese Stücke würden erhitzt und dann im Gesenk geschmiedet. Das heißt, sie werden in eine Presse gelegt, in der Ober- und Unterform ein Negativ des Messers sind. Dort wird der Stahl mit gewaltiger Kraft hineingepresst.

Weil das jedoch zeitaufwendig und teuer ist, lohnt es sich nur bei kostspieligeren Exemplaren. Bei unserem herkömmlichen Kochmesser geht es weniger spektakulär zu. Indem der Stahl in der Sekundärmetallurgie präzise auf die Kundenwünsche abgestimmt wurde, hat die Messerfabrik nunmehr Stahlbänder mit bis auf den Millionstel Teil genau bekannten Inhaltsstoffen – und somit Verhalten.

Was die Messerfabrik ebenso hat, sind mechanische Formen, respektive dreidimensionale Abbildungen des Messers – diese wurden während des Design-Prozesses erstellt. Das umfasst hauptsächlich die Klingenform, aber ebenso verschiedene andere Parameter.

Dadurch ist die Fabrik nunmehr in der Lage, die Bänder in Maschinen einzufädeln. Darin werden die Messerrohlinge nun  

  • ausgestanzt,
  • per Wasserstrahl ausgeschnitten oder
  • per Laser herausgebrannt.

Alle drei Techniken haben Vor- und Nachteile. Daher kommt es nicht zuletzt auf Stückzahlen und gewünschte Qualitätsklasse an.

Was dabei vom Stahlblechband übrigbleibt, wird gesammelt und danach sofort wieder ins Stahlwerk verfrachtet – also an den ersten Punkt unserer Geschichte. Für das Messer hingegen geht es jetzt weiter.

5. In der Messerfabrik – geometrisch präzise

Bislang handelt es sich um einen gleichmäßig dicken Rohling, der nur dem Umriss nach einem Messer samt Erl ähnelt (das ist der Teil, der in den Griff hineinragt oder ihn bildet).

Damit sich das ändert, durchwandert der Rohling jetzt mehrere Schleifmaschinen. Sie nehmen von den Seiten immer mehr Material ab, bis sich die im Profil klassische (grobe) Keilform ergibt. Jetzt ähnelt die Sache schon viel eher einem Messer. Schneiden lässt es sich damit jedoch noch nicht.

5. Die Wärmebehandlung – Feintuning der Stahl-Eigenschaften

Jeder Stahl kann aufgrund seiner Legierungsart eine minimale und maximale Härte erreichen. Beides wäre für ein Messer schlecht. Zu hart, und es ließe sich kaum schärfen und würde so schnell brechen wie eine Feile. Zu weich, und die Klinge würde keine Schärfe halten.

Um den Rohling innerhalb seiner möglichen Parameter zu justieren, geschieht nun ein zweistufiger Prozess (der Vollständigkeit halber: Je nach Fertigung kann er sich durchaus direkt an das Walzen anschließen).

  1. Der Stahl wird wieder zum Glühen gebracht und dann in Wasser oder Öl abgeschreckt – gehärtet. Dadurch erhält er seine maximale Härte.
  2. Anschließend wird der Stahl wieder auf eine deutlich geringere Temperatur erwärmt, die typischerweise etwa 350°C nicht überschreitet. Dadurch wird die Härte wieder etwas reduziert. Wie weit, ist durch die Stahlzusammensetzung und die genutzte Temperatur exakt im Vorfeld bekannt. Von dort wird der Rohling wieder langsam abkühlen gelassen.

Nach diesem zweiten Schritt, Anlassen genannt, ist der Stahl fein eingestellt. Er wird viel mitmachen, seine Schärfe lange halten, aber sich dennoch relativ einfach wieder schärfen lassen. Damit lässt es sich arbeiten.

6. Polieren und fertigmachen – für Optik und Handling

Durch die Wärmebehandlung sieht die Oberfläche ziemlich unschön aus, weil sich Zunder gebildet hat. Der Rohling wird daher jetzt zum Messer komplettiert:

  • Schleifen und Polieren der gesamten Oberfläche. Bei Küchenmessern meistens bis zum Spiegelglanz, weil das weniger Angriffsfläche für Bakterien bietet.
  • Befestigen des Griffs. Beispielsweise, indem Kunststoff um den Erl herum gegossen wird. Kunststoff ist hygienisch und es gibt keine Fugen zwischen Griff und Erl, in die Lebensmittelreste und Bakterien eindringen könnten.
  • Finales Schärfen, um das Messer gebrauchsfertig zu machen.

In diesem Zustand geht das Messer nun zu den Händlern – und von dort in unseren Haushalt. Damit ist der Weg allerdings noch nicht ganz beendet. Jetzt kommt erst die längste Lebensphase.

7. Schneiden, abstumpfen, schärfen – repeat

Denn das Messer wird jetzt vielleicht über Jahrzehnte hinweg in einer Küche treue Dienste leisten. Doch je intensiver es benutzt wird, desto unausweichlicher ist sein Lebensende. Die „Fabrikschärfe“ wird unter dem Kontakt mit harten Tellern, Schneidbrettern und dem Schnittgut schon bald leiden. Der einstmals spitzwinklige Keil stumpft immer mehr ab.

Der gute Koch greift dann zum Schleifstein und ähnlichen Helfern, Sie erzeugen wieder einen scharfen Keil und machen das Messer somit wieder einsatzbereit. Bloß: Bei jedem Schärfvorgang wird von der Klinge Metall abgeschliffen.

Sie wird deshalb immer dünner bzw. niedriger und kürzer. Nach einem langen Küchenleben kann deshalb ein Messer durchaus bis zu einem nicht mehr brauchbaren Stumpf mit geradezu Stillet-artig dünner Klinge geworden sein.

Dann wird es Zeit, den Kreislauf von vorn beginnen zu lassen. Der Messerrest wandert in den Metallschrott. Als Schrottbeigabe bei der Rohstahlherstellung wird er einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass ein neues Stahlprodukt entstehen kann – wie seit vielen Jahrhunderten und vielleicht ebenfalls wieder als Messer.