„Polizeiruf 110“ trifft Wissenschaft Julia Wege über ihre Beratung im Rotlichtmilieu

Julia Wege über ihre Beratung im Rotlichtmilieu
(Bild: Christine Maisch-Bischof)

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Die 2024 übernahm Julia Wege die Aufgabe der Fachberatung in Bezug auf das Rotlichtmilieu bei der Produktion einer Folge der Krimifilmreihe „Polizeiruf 110“. Im Interview berichtet die RWU Professorin ausführlich über ihre Arbeit in diesem Zusammenhang.  

Alec Weber: Wie kamen Sie dazu an der Produktion einer Folge „Polizeiruf 110“ mitzuwirken und was haben Sie dort konkret gemacht?

Professorin Dr. Julia Wege: Florian Oeller, der unter anderem Drehbücher für den Tatort und den Polizeiruf 110 schreibt, hat mich kontaktiert, weil er über das Thema Prostitution recherchierte und dabei auf meine Doktorarbeit gestoßen ist. Für diese hatte ich mit Frauen in der Prostitution Interviews geführt. Er hat mich gefragt, ob wir uns telefonisch austauschen könnten, daraus wurde ein Telefonat von zwei Stunden. Im Nachgang hat er mir den Rohentwurf seines Drehbuchs geschickt. Hier konnte ich ihm dann Hinweise und Korrekturen geben, wie es im Rotlichtmilieu abläuft.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Ich habe einzelne Stellen im Drehbuch kommentiert und alle Anmerkungen auch mit Quellen, Studien, Zahlen belegt. Damit konnte ich dem Autor den Rücken stärken, weil vieles nicht geglaubt wird, hinsichtlich der Hintergründe im Rotlichtmilieu. Florian Oeller hat mich dann beim NDR vorgeschlagen, ob ich die Fachberatung zu dem Thema Rotlicht übernehmen könne. Im Anschluss erhielt ich den offiziellen Auftrag als Ansprechpartnerin für die Regisseurin, die Produzentin und auch für die Schauspieler zu fungieren. Meine Hauptaufgabe bestand darin, eine fachliche Stellungnahme zu dem Drehbuch zu schreiben. Ich musste alle Szenen bewerten, im Hinblick auf Redewendungen und inhaltliche Details. Ist es stimmig? Ist es zu übertrieben? Ist es realistisch? Wie sind die Aussagen unter den Frauen? Ich habe die Arbeit der Produktion fast zwei Jahre lang seit 2022 unterstützt. Der Abschluss war der Dreh in Hamburg.

Um was für fachliche Details ging es zum Beispiel bei ihrer Arbeit als Beraterin? 

Es ging darum zu überprüfen, ob zum Beispiel die Inhalte der Dialoge oder die Zusammenhänge in Bezug auf die Handlungsstruktur realistisch erscheinen. Ich habe auch oft mit der Kripo oder dem LKA Rücksprache gehalten. Zum Beispiel sind viele der Frauen von ihrem Zuhälter gebrandet. Das heißt, sie haben ein Tattoo und man erkennt, zu welchem Zuhälter die Frauen gehören. Das funktioniert wie ein Etikett, wodurch der Mensch zur Ware wird. Ich musste dann nochmal Rücksprache mit dem LKA halten, ob es zum Beispiel eine Art Tattoo-Register gibt.

Was war ihr Highlight am Set beziehungsweise während des Drehs?

Das Highlight am Set waren die Gespräche mit den beiden Schauspielerinnen Anneke Kim Sarnau und Lina Beckmann, die die Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe spielen. Sie haben erzählt, wie sie sich auf das Thema vorbereitet haben. Sie fanden es bewegend und dramatisch, sich diesem Tabuthema zu nähern. Und sie waren auch echt verärgert, weil die politischen Akteure und Gesellschaft viel stärker Stellung zur Thematik beziehen müsste. Es freut mich und ich bin auch stolz drauf, dass ich angefragt wurde, mit meiner fachlichen Expertise an der Folge mitzuarbeiten.

Können Sie sich also vorstellen, auch in Zukunft so oder in ähnlicher Funktion an Film- und Fernsehproduktionen mitzuwirken?

Meines Erachtens ist es wichtig, sich zu gesellschaftlichen Themen auch in den Medien zu äußern und Stellung zu beziehen. In den letzten Jahren hatte ich viele Medienanfragen, insgesamt waren es über 350, auch von internationalen Medien: Aus New York kam zum Beispiel der Sender HBO nach Mannheim, wo ich die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution Amalie gegründet hatte. Aber das Thema ist sensibel, die Lebenssituationen der Frauen sehr prekär und ich wollte bei meiner damaligen Arbeit nicht jeden Tag von Kamerateams begleitet werden. Es geht darum, die Frauen zu schützen. Dennoch habe ich mir die Zeit genommen, an Dokumentationen mitzuwirken, wie zum Beispiel für ARTE oder das ZDF. Ich prüfe die Anfragen aber immer sehr genau, von wem wird das Ganze produziert und was das Ziel ist. Da gibt es große Unterschiede, ich möchte nicht an unseriösen Formaten mitwirken.

Zum Abschluss und im Hinblick auf ihre Arbeit am Polizeiruf 110 würde ich gerne wissen, wie Sie auf den medialen Umgang mit Prostitution blicken?

Teilweise gibt es große Unterschiede, wie Medien das Thema Prostitution aufgreifen, insofern muss es differenziert betrachtet werden. Ich wünsche mir, dass Produktionsfirmen mehr Wert auf Qualität setzen und auch Zeit für eine umfangreiche Recherche investieren.  Meistens fehlt diesen dafür aber die Zeit und das Thema wird oberflächlich und einseitig dargestellt. Es gibt einige gute Sendungen, aber mein Gesamteindruck ist, dass es noch nicht vollständig gelungen ist, das Thema in die Gesellschaft zu tragen. Deswegen finde ich den Polizeiruf 110 unter dem Titel „Sie haben Namen“ richtig gelungen. Florian Oeller hat umfangreich recherchiert. Ich glaube, dieser Krimi wird große Wellen schlagen. Denn das Rotlichtmilieu wird schonungslos und realitätsnah dargestellt.

Vollständiges Interview unter: https://www.rwu.de/news-medien/aktuelles/pressemitteilungen/julia-wege-im-interview-ueber-ihre-arbeit-fuer-die

(Quelle: RWU/Alec Weber)