Glosse: Lass Dich nicht hängen

Glosse: Lass Dich nicht hängen
Mike Jörg, seit 1994 bekannt für seinen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“ (Bild: PR/Mike Jörg)

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Der oberschwäbische Kabarett-Grandseigneurs Mike Jörg aus Weingarten heitert uns alle jede Woche ein bisschen auf und kitzelt digital unsere Lachmuskeln. Seit 1994 ist er bekannt für seinen satirischen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“. Aus bekannten Gründen mussten alle Termine für seine treffsicheren Sticheleien in der ganzen Region ausfallen. Nicht aber bei uns. Lassen Sie sich jede Woche überraschen, was sich Mike Jörg überlegt hat und wo er den Finger in die Wunde hält. Viel Spaß!

Puh, bin ich froh, dass der Wahlkampf endlich vorbei ist. Es war nicht mehr auszuhalten. Diese Wahlhelfer, das sind doch alles Zyniker: Hängen ihre Kandidaten, hängen ihre politischen Idole einfach am nächstbesten Laternenpfahl auf, ohne sich dabei was zu denken. Am liebsten würde ich sie alle abhängen, sofort, aber das geht nicht, das ist verboten. Nur aufhängen ist erlaubt… Ein Gericht in Chemnitz hat entschieden, dass es auch kein Problem sei, wenn die Partei „III Weg“ Plakate aufhängt mit dem Text: “Hängt die Grünen auf“.

Das geht so in Ordnung, sagt das Gericht

Sie müssten nur zu den Plakaten der Grünen einen Abstand von 200 Meter einhalten. Das ist sehr rücksichtsvoll. Trotzdem ist es für mich der Hauptgrund, warum ich es leid bin, über das ganze Wahlkampf-Gedöns noch Gedanken zu verschwenden. Deshalb nur noch zwei Ratschläge an die Kandidat*innen: Erkennt zur rechten Zeit, wann die Chance vorbei ist. Macht es nicht wie Gerhard Schröder damals. Der hatte selbst vier Stunden nach der Wahl noch nicht begriffen, dass er verloren hat. Seither kennen wir den Begriff „suboptimal“.

Nehmt euch die Pfuhlschnepfe zum Vorbild

Sie ist die Langstreckenfliegerin unter den Vögeln. Vor ein paar Tagen hat eine Pfuhlschnepfe ihren Nonstop-Flug nach Neuseeland nach 2.000 km abgebrochen. Der Gegenwind war einfach zu stark. Die Schnepfe war schon 33 Stunden unterwegs, hatte aber dann eingesehen, dass es keinen Sinn mehr machte, weiter zu fliegen. Sie kehrte um und war nach insgesamt 57 Stunden Flug ohne Pause wieder zurück in Alaska. Diese Schnepfe hat rechtzeitig realisiert, was Sache ist. Sie hat nicht resigniert; sie hat ihr Leben gerettet.

Bei einem Wahlkampf geht es nicht um Leben oder Tod

Das ist nicht wie beim Fußball. Lothar Matthäus sagte mal „Beim Fußball geht es um mehr als um Leben und Tod“. Das musste auch mal gesagt werden. Das ist der Grund, warum ich lieber Sportschau gucke als so ein Triell. Was willst du damit sagen? Sollen zwei von den dreien einen Meter vor dem Ziel aufhören zu kämpfen? Nein. Im Gegenteil: Ich rufe ihnen zu: Schätzt eure Lage richtig ein – und: Seid zuversichtlich! Denkt an den Olympioniken aus Jamaika, denkt an den Hürdenläufer Hansle Parchment.

Er machte sich auf den Weg zum Endlauf, stieg aber in den falschen Bus ein. Als er ausstieg, wurde ihm klar, dass ihn der Bus ans andere Ende von Tokio gebracht hatte. Er guckte auf die Uhr – und blieb ganz cool. Er hatte noch mehr als eine Stunde Zeit. Er schilderte dem Taxifahrer in Gebärdensprache seine Situation – und während der Taxifahrer losbretterte, zog er sich schon mal um, um für den Start fertig zu sein. Mit den Wettkampfschuhen in der Hand rannte er dann vom Taxi direkt ins Stadion, zog die Schuhe an, rammte sich in den Startblock und holte sich die Goldmedaille über 110 m Hürden.

Bald ist es soweit

Ich freue mich auf 26. September, 18 Uhr. Ab dem Moment habe ich das Recht, alle diese Aufgehängten straffrei vom Laternenpfahl zu schneiden. Das Plakat der Partei „III. Weg“ – „Hängt die Grünen auf“ – werde ich für meine Enkel*innen aufbewahren. Wäre interessant zu erfahren, was die in 30 Jahren dazu sagen – und natürlich zu diesen vielen Sternchen als Schriftzeichen.