Wir Geimpften

Mike Jörg, seit 1994 bekannt für seinen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“
Mike Jörg, seit 1994 bekannt für seinen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“ (Bild: PR/Mike Jörg)

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Mike Jörg, oberschwäbischer Kabarett-Grandseigneurs aus Weingarten, heitert Sie, in diesen humorlosen Zeiten, jede Woche bei uns ein bisschen auf. Der Satiriker ist seit 1994 bekannt für seinen satirischen Jahresrückblick „Wa(h)r was?“ Aus bekannten Gründen müssen alle Termine für die treffsicheren Sticheleien landauf und landab leider ausfallen. Nicht aber bei uns. Lassen Sie sich jede Woche überraschen, mit was Mike Jörg Ihre Lachmuskeln digital kitzeln wird. Viel Vergnügen!

Mich juckt es schon im Arm. Wann werde ich endlich geimpft? Im Internet habe ich recherchiert. Der Rechner sagte mir, dass ich durchaus die Chance hätte, Mitte Mai geimpft zu werden, wenn sich nicht zu viele heimlich vordrängeln:  Soldaten, Landräte, Bischöfe, Oberbürgermeister. Aber die sagen alle, sie seien keine Vordrängler. Der Bischof sagte, er habe sich impfen lassen, weil er viele Krankenbesuche mache. Ich kenne einen Fall, da lag eine sehr alte Frau im Krankenhaus und wollte die „letzte Ölung“. Ging aber nicht, ist verboten. Dann haben sich die Ärzte zusammengesetzt und entschieden, dass ein Pfarrer kommen darf. Den haben sie eingepackt wie einen Astronauten, die Frau bekam die Krankensalbung und ist drei Tage später friedlich gestorben. Als der Pfarrer ins Krankenzimmer kam, lag da noch eine zweite Patientin. Die wäre schon tags zuvor entlassen worden, aber weil sie allein lebt, durfte sie übers Wochenende noch bleiben und erlebte mit, dass da dieser Pfarrer war. „Das geht aber gar nicht“, sagte die Frau als sie am Montag entlassen wurde, und informierte den Landrat. Der war genauso empört wie die Frau und machte die Ärzte und den Pfarrer richtig flott. Ob dieser Landrat inzwischen rein zufällig geimpft wurde, weiß ich nicht. In Ecuador ist der Gesundheitsminister zurückgetreten worden, weil er ein paar Verwandten es ermöglicht hat, sich vorzudrängeln.

Ist doch alles harmlos

In Brasilien tun manche so, als würden sie impfen. Einem tattrigen Alten haben sie nur die Spritze gezeigt, kurz das Spritzen angedeutet und dann einen Wattebausch aufgedrückt. Seine Angehörigen haben es zuhause bemerkt. Anderen Brasilianern wurde Luft gespritzt, weil der Impfstoff anderweitig dringender gebraucht wurde. Im Vergleich dazu sind doch unsere Fälle in Deutschland harmlos. Der Bischof, der Landrat  und die hundert Soldaten wurden doch nur geimpft, weil man sonst den Impfstoff hätte wegwerfen müssen. Das macht man nicht. Man wirft auch kein Essen weg.

Aber das nur nebenbei. Ich will von den Vorfreuden von uns Geimpften erzählen. Leider ist ein 88-Jähriger aus dem Elsass nicht dabei. Er hatte einen Impftermin, war aber etwas zu spät dran, deshalb donnerte er mit Tempo 191 über die Landstraße. Die Polizei hat ihn gestoppt. Der Impftermin ist weg, auch der Führerschein ist weg und sein Auto wurde stillgelegt.

Bald lassen wir die Sau raus

Das sind alles Geschichten, die meine Hoffnung auf eine baldige Impfung ziemlich trüben. Aber dann, wenn ich geimpft bin, dann lassen wir Auserwählten die Sau raus. Für uns werden die Cafés geöffnet, die Kinos, die Theater, die Schwimmbäder – und wir dürfen wieder in den Urlaub fliegen. Vor allem aber sind wir unter uns. Während die anderen zum Malochen gehen, kurbeln wir die Wirtschaft an. Das sind doch schöne Aussichten.