Wenn der Seelsorgerin die Seele schmerzt

Wenn der Seelsorgerin die Seele schmerzt
Sr. Myria Maucher (Bild: DRS/Markus Waggershauser)

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Sr. Myria Maucher erzählt vom Arbeiten, Leben und Sterben mit Corona

Ravensburg – Corona ist immer mehr in ihr Leben eingebrochen. „Es verfolgt mich“, sagt Schwester Myria Maucher. Im St. Elisabethen-Klinikum in Ravensburg begleitete die Seelsorgerin – im Erstberuf Krankenschwester – im vergangenen Jahr schon früh Patientinnen und Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen und deren Angehörige. Anfang November suchte das Virus das Kloster Reute bei Bad Waldsee heim, in dem sie als inzwischen wiedergewählte Generalrätin in der Leitung mitwirkt. Schließlich traf die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit ihre Familie und sie selbst.

Erst im November 2020 feierte Schwester Myrias Vater im Rahmen des damals Möglichen seinen 100-sten Geburtstag. Gut sechs Wochen später starb er an Corona. „Er war geistig und körperlich noch sehr rüstig“, erzählt die Franziskanerin mit Tränen in den Augen. Dass sie sich nicht mehr von ihm verabschieden konnte, brach ihr fast das Herz. Denn nach dem Coronaausbruch auf dem Reuter Klosterberg hielt sich die Ordensfrau zunächst vom Pflegeheim fern. Ihr erster und letzter Besuch danach mit negativem Schnelltest und Maske war am 5. Januar. Einen Tag später wurde ihr Vater mit eindeutigen Symptomen ins Krankenhaus gebracht.

Als Kontaktperson musste Schwester Myria sofort in Quarantäne. In einem Ferienhaus des Klosters versuchte sie ihren Tagesablauf einigermaßen zu strukturieren. Sie verband Spaziergänge auf abgeschiedenem Gelände mit dem Gebet. Mal war es ein Rosenkranz, mal eine Gehmeditation. Mit ihren Gedanken war die 59-Jährige bei ihrem Vater und hatte anfangs Hoffnung, dass er die Krankheit überstehen könnte. Sein Zustand verschlechterte sich jedoch täglich – und sie konnte nicht zu ihm. Am 11. Januar erhielt sie die Nachricht am Telefon: „Er ist allein und ganz friedlich gegangen.“

Sr. Myria Maucher mit dem Foto ihres verstorbenen Vaters. (Bild: DRS/Markus Waggershauser)

Nun setzte Sr. Myria alle Hebel in Bewegung, um schnell einen PCR-Test zu bekommen, der sie aus der Quarantäne erlösen sollte. Sie wollte wenigstens bei der Beerdigung ihres Vaters dabei sein. Sie erhielt einen Termin am Tag vor der Beisetzung, blieb jedoch bereits in der Hofeinfahrt des Ferienhauses mit dem Auto im tiefen Schnee stecken. Es ging nichts mehr. Als sich bei ihr dann im Laufe des Tages coronatypische Symptome zeigten, konnte sie sich in ein abgetrenntes Appartement im Ravensburger Konvent zurückziehen. Während der Sarg ihres Vaters tags darauf zu Grabe getragen wurde, plagten sie 20 Kilometer entfernt Fieber und Schmerzen.

Inzwischen ist Schwester Myria genesen und arbeitet wieder in der Krankenhausseelsorge. Im Umgang mit den Patientinnen und Patienten sei sie noch sensibler geworden, „denn meine eigenen Wunden haben sich noch nicht geschlossen“, gesteht die Franziskanerin. Immer wieder besucht sie das Grab ihres Vaters. Dass Menschen die Gefährlichkeit des Virus leugnen und meinen, dass die Coronatoten alte Leute seien, die eh gestorben wären, kann Schwester Myria nicht verstehen. „Die älteren Mitmenschen leben noch sehr gerne“, weiß sie aus eigener Erfahrung.

Wenn die Ordensfrau den vergangenen Wochen trotz allem auch etwas Positives abgewinnt, dann ist es die viele Zeit, die sie hatte. Sie konnte nachdenken, Erinnerungen auffrischen, ausführlich telefonieren und beten. „Mir tat das gut, das war für mich wichtig“, blickt sie auf die schweren Tage zurück. Sie ist Betroffene, der der persönliche Abschied von ihrem Vater verwehrt blieb, und Seelsorgerin. Kolleginnen und Kollegen sowie Ehrenamtlichen in der Trauerbegleitung rät sie, auch anderen Hinterbliebenen diese Zeit zu geben. „Und die Menschen einfach erzählen lassen“, ergänzt sie, „so wie ich es gerade tue.“

Hinweise

Das ausführliche Gespräch mit Sr. Myria Maucher im Podcast „Kapellengespräche“ ist auf der Homepage der Diözese unter www.drs.de oder auf Soundcloud abrufbar. Unter dem Titel „Ohne Dich“ lädt die Trauerpastoral im Dekanat Allgäu-Oberschwaben Angehörige von während der Pandemie Verstorbenen zu einer Stunde mit Musik und Impulsen ein. Beginn ist jeweils um 19 Uhr am 9. April in St. Peter in Bad Waldsee, am 16. April in St. Martin in Leutkirch, am 17. April in der Spitalkirche zum Heiligen Geist in Wangen und am 18. April in der Ravensburger Jodokskirche.

(Quelle: DRS)