Seit Kriegsbeginn hat kein hochrangiger Politiker der Bundesrepublik die Ukraine besucht. Nun ist die formal zweithöchste deutsche Repräsentantin in Kiew zu Besuch.
Kiew (dpa) – Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ist am Sonntag in Kiew eingetroffen, wo sie an den Gedenkveranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa vor 77 Jahren teilnehmen will.
Die SPD-Politikerin ist nach dem Bundespräsidenten die zweithöchste Repräsentantin der Bundesrepublik und damit die wichtigste deutsche Politikerin, die die Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs besucht.
Bas gedachte zusammen mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Ruslan Stefantschuk der Opfer des von Nazi-Deutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs. Beide legten am Grabmal des unbekannten Soldaten Kränze nieder. Dieses Gedenken sei für sie «sehr bewegend», sagte Bas. Es sei ein großer Schritt, dass sie dies als Repräsentantin des Landes, das den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Gräueltaten zu verantworten habe, gemeinsam mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten tun könne.
Bas machte deutlich, dass es um «alle Opfer» gehe – zuerst um die der Ukraine, aber auch um die Opfer in Russland, Polen, Belarus, in den baltischen Staaten und in den Staaten Mittel- und Osteuropas. «Für mich ist der Tag auch insofern besonders, weil er nicht nur erinnert, sondern auch der Versöhnung dienen soll.» Bas forderte, dass es in der Ukraine zum Frieden kommen müsse.
Umarmung vom Amtskollegen
Stefantschuk, auf dessen Einladung Bas mit dem Zug nach Kiew gefahren war, dankte ihr für ihr Kommen gerade an diesem 8. Mai. «Das ist für uns wirklich ein Zeichen der Solidarität Deutschlands mit der Ukraine und mit dem ukrainischen Volk.» Am 8. Mai 1945 war der Zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht zu Ende gegangen.
Bas wurde von Stefantschuk betont herzlich und mit einer Umarmung begrüßt. Zur Kranzniederlegung wurden die Nationalhymnen beider Staaten gespielt, eine Ehrengarde war angetreten. Zum Auftakt ihres Besuches in Kiew hatte sich die Bundestagspräsidentin mit dem ukrainischen Regierungschef Denys Schmyhal getroffen.
Dieser schrieb anschließend auf Twitter, dass die Ukraine einen hohen Preis dafür zahle, die zivilisierte Welt zu verteidigen. Das Land zähle auf die Unterstützung Deutschlands beim Wiederaufbau und bei der Aufnahme in die Europäische Union.
Geplant ist auch ein Gespräch von Bas mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – sofern die Sicherheitslage dies zulässt. Das Verhältnis zwischen Berlin und Kiew war in den vergangenen Wochen extrem angespannt gewesen. Verursacht wurde dies vor allem durch das Ausladen von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zusammen mit den Präsidenten Polens und der drei baltischen Staaten nach Kiew reisen wollte. In Berlin wurde dies als ein beispielloser Vorgang und Affront gewertet. Die Irritationen wurden laut Bundespräsidialamt bei einem Telefongespräch von Steinmeier und Selenskyj am vergangenen Donnerstag aber ausgeräumt.
Baerbock-Reise geplant
Vor der Bundestagspräsidentin war am vergangenen Dienstag der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz in Kiew gewesen. In den kommenden Tagen ist zudem eine Reise von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) geplant.
Bas will mit dem Besuch der Millionen Opfer gedenken, die der von Hitler-Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg weltweit verursacht hat – in der Ukraine, aber auch in Russland, Belarus, Polen, im Baltikum und in den übrigen Staaten Mittel- und Osteuropas. In besonderer Weise möchte sie auch der im Holocaust ermordeten Juden gedenken, der immensen Opfer in der Zivilbevölkerung und in der Roten Armee.
Die SPD-Politikerin versteht ihre Reise zugleich als besonderen Ausdruck der Solidarität des Bundestages mit der Ukraine. Sie will deutlich machen, dass Deutschland in dem von Russland ausgehenden völkerrechtswidrigen Angriffskrieg fest an der Seite der um ihre Existenz kämpfenden Ukraine steht. Deutschland hat die Ukraine seit 2014 mit rund zwei Milliarden Euro unterstützt. Bas wirbt auch dafür, weiterhin mit diplomatischen Mitteln eine politische Lösung für die Beendigung des Konflikts zu suchen.
Offen ist weiter, ob und wann Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Ukraine reisen wird. Selenskyj hat ihn für diesen Montag eingeladen. Am 9. Mai feiert Russland den sowjetischen Sieg über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Scholz könne einen «sehr starken politischen Schritt» unternehmen und am 9. Mai in die ukrainische Hauptstadt kommen, sagte Selenskyj bei einer Veranstaltung der Londoner Denkfabrik Chatham House am vergangenen Freitag.