Die gesamte Insel ist im Schockzustand. Ein Erdbeben wie seit fast 25 Jahren nicht mehr richtet vielerorts Verwüstung an. Auch Deutsche sind betroffen.
Gespenstisch neigt sich das mehrstöckige Wohnhaus in Hualien im Osten Taiwans zur Straße. Jeden Moment könnte es umkippen. So wirkt es zumindest. Ein schweres Erdbeben hat an vielen Orten der ostasiatischen Insel ein Bild der Verwüstung hinterlassen. Es gibt Tote, Verletzte und völlig zerstörte Autos und Gebäude. Zwei Deutsche waren zeitweilig in einem Tunnel eingeschlossen. Stunden nach dem Beben liegt die Zahl der Toten bei mindestens neun. Es wird damit gerechnet, dass die Opferzahl weiter steigt.
Um kurz vor 8.00 Uhr hatte ein Erdbeben die gesamte Insel erschüttert. Es hatte laut taiwanischen Angaben eine Stärke von 7,2 und war das stärkste seit fast 25 Jahren. Sein Epizentrum lag nur wenige Kilometer von Hualien entfernt. Die US-Erdbebenwarte registrierte eine Stärke von 7,4. In Japan wurde sogar die Stärke 7,7 gemessen. Allein um Hualien werden selbst acht Stunden nach dem Beben noch mehr als 100 Nachbeben registriert.
Auswärtiges Amt in Kontakt mit Reisegruppe
Am frühen Abend (Ortszeit) sprachen die Behörden von 9 Toten und mehr als 800 Verletzen. Dutzende galten noch als eingeschlossen in Tunneln und Gebäuden. Zwei Deutsche wurden später nach Behördenangaben aus dem Tunnel befreit. Details sind noch nicht bekannt.
Das Auswärtige Amt hat nach eigenen Angaben darüber hinaus zu einer weiteren Reisegruppe mit Deutschen Kontakt. Es handle sich um eine Gruppe mit 19 Menschen, die ursprünglich als vermisst galten, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts. 18 davon seien Deutsche, und ihnen gehe es den Umständen entsprechend gut, hieß es.
«Noch nie habe ich so ein Erdbeben gespürt, seit ich vor drei Jahren aus der Hauptstadt Taipeh in erdbebengefährdete Küstenstadt zog», sagte ein Bewohner Hualiens der Deutschen Presse-Agentur. Das ganze Ausmaß der Katastrophe war Stunden nach den Erdstößen noch nicht abzusehen.
Erinnerung an fast vergessene Katastrophe
Der Mann befand sich nach eigenen Worten im Büro, als die Erde zu beben begann. Einige seiner Kollegen hätten versucht, sich gegen Wände zu lehnen und nichts zu tun. «So einen schrecklichen Vorfall haben wir noch nie zuvor gesehen», sagte der 54-Jährige. In ihm wurden Erinnerungen wach: «Ich dachte an die schreckliche Erfahrung des großen Bebens von 1999.» Damals hatte mitten in Taiwan ein Beben der Stärke 7,3 heftige Zerstörung angerichtet. Es gab mehr als 2400 Todesopfer.
Taiwan liegt am Rand zweier tektonischer Platten: der Eurasischen und der Philippinischen. Die Insel mit mehr als 23 Millionen Einwohnern ist deshalb sehr durch Erdbeben gefährdet. Nach der Katastrophe von 1999 überarbeitete die Regierung ihre Vorgaben, um Gebäude erdbebensicherer zu machen. Außerdem nahm sich Taipeh ein Beispiel am erdbebenerfahrenen Japan und übernahm Maßnahmen zum Katastrophenschutz. Zugleich steckte die Regierung mehr Geld in Erdbebenüberwachung und baute Stationen zur Echtzeitmessung von Erdaktivitäten im gesamten Land.
Tsunami-Warnungen in mehreren Ländern
Laut Augenzeugen war das Beben auch in und um die Hauptstadt Taipeh deutlich zu spüren. In Neu-Taipeh, das die Hauptstadt umschließt, wurden demnach drei Menschen verletzt, als ein Lagerhaus einbrach. Bewohner der Hauptstadt berichteten, dass in ihren Häusern und Wohnungen Einrichtungsgegenstände und Geschirr zu Bruch gingen. Mehrere große Städte stellten den öffentlichen Nahverkehr auf der Schiene zeitweilig ein. Auch der Schnellzugverkehr wurde vorübergehend unterbrochen. In Zehntausenden Haushalten fiel der Strom aus.
Über mehrere Stunden warnten Taiwan, China, Japan und die Philippinen vor Tsunamis. Später wurden die Warnungen zunächst gelockert und dann aufgehoben. Im nordöstlich von Taiwan gelegenen Japan löste das Erdbeben eine Warnung vor einem drei Meter hohen Tsunami für nahegelegene Inseln der südwestjapanischen Präfektur Okinawa aus. Die Bewohner der betroffenen Inseln wurden aufgerufen, sich in Sicherheit zu bringen.
Auf den Philippinen gaben die Behörden ebenfalls eine Tsunami-Warnung heraus. Es würden hohe Tsunami-Wellen erwartet, die stundenlang andauern könnten, teilte das nationale Institut für Vulkanologie und Seismologie mit. Menschen in mehreren Provinzen des Inselstaates wurden aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen und die Küstenregionen zu verlassen.
China bietet Hilfe an
Im Nachbarland China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet, war das Erbeben ein Hauptthema in den Nachrichten des Staatsfernsehens. Die chinesischen Behörden seien über die Lage sehr besorgt, sagte die Sprecherin des chinesischen Büros für Taiwan-Angelegenheiten, Zhu Fenglian, in Peking. Das Festland beobachte die Situation und sei bereit, Katastrophenhilfe anzubieten. Ob Taiwan die Hilfe Chinas annehmen wird, blieb offen. Zwischen den beiden Staaten gibt es immer wieder Spannungen wegen Pekings Gebietsanspruch, obwohl in Taiwan seit Jahrzehnten eine unabhängige und demokratisch gewählte Regierung an der Macht ist.
Produktionsstopp bei wichtigem Chiphersteller
Das Beben hatte auch Auswirkungen auf die Wirtschaft: Taiwans wichtiger Halbleiter-Hersteller TSMC etwa hielt die Produktion an, wie die Behörde des Industrieparks der Stadt Hsinchu mitteilte. Die Firma evakuierte laut Berichten Arbeiter während des Bebens aus der Produktion. Auch andere Betriebe stoppten die Arbeit vorübergehend. Der staatseigene Energieversorger berichtete von mehr als 308.000 Haushalten in Taiwan, bei denen mit dem Beben der Strom ausfiel. Zehntausende waren auch danach zeitweilig noch ohne Strom.