Frankreich, Tschechien, die Niederlande und sogar das kleine Estland: Alle liefern sie schwere Waffen. Kanzler Scholz ist weiter zurückhaltend. In einem Interview lässt er durchblicken, was dahintersteckt.
Berlin (dpa) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat es als oberste Priorität seiner Ukraine-Politik bezeichnet, ein Übergreifen des Krieges auf die Nato zu vermeiden. «Es darf keinen Atomkrieg geben», sagte der SPD-Politiker in einem am Freitag veröffentlichten Interview des «Spiegel».
«Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt.» Vorwürfe gegen seine Partei wegen ihrer Russland-Politik der letzten Jahrzehnte wies der Kanzler schroff als Verleumdung zurück. Es werde ein «Zerrbild sozialdemokratischer Politik» gezeichnet.
Scholz hatte am Dienstag seine weitere Strategie bei der Lieferung von Waffen für den Abwehrkampf der Ukraine gegen Russland vorgestellt. Danach wird die Bundeswehr vorerst keine schweren Waffen wie Panzer und Artilleriegeschütze an die Ukraine abgeben. Die Bundesregierung will stattdessen Lieferungen der deutschen Industrie finanzieren. Auf deren durch die Bundesregierung autorisierten Angebotsliste stehen aber nur 12 Mörser (Kaliber 122), die zu schweren Waffen gezählt werden könnten. Außerdem sollen Nato-Partner über Ersatzleistungen und Ausbildung bei der Lieferung von schwerem Gerät unterstützt werden.
Scholz: Konfrontation mit Nato vermeiden
Scholz wird seit Wochen Zögerlichkeit und Zurückhaltung beim Thema Waffenlieferungen vorgeworfen – auch aus der eigenen Koalition. In dem «Spiegel»-Interview erklärte er seinen Kurs auch mit der Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges. «Ich habe sehr früh gesagt, dass wir alles tun müssen, um eine direkte militärische Konfrontation zwischen der Nato und einer hochgerüsteten Supermacht wie Russland, einer Nuklearmacht, zu vermeiden», sagte er.
Bei den Waffenlieferungen steht die Frage im Raum, ob Russland die Nato deswegen als Kriegspartei wahrnehmen könnte. Scholz sagte dazu, das sei in keinem Lehrbuch geregelt. «Das Buch wird täglich neu geschrieben, manche Lektionen liegen noch vor uns. Umso wichtiger ist es, dass wir jeden unserer Schritte genau überlegen und eng miteinander abstimmen.» Er schiele dabei nicht auf Umfragewerte und lasse sich auch nicht «von schrillen Rufen irritieren».
Die Frage, ob er den Eindruck habe, dass Putin Atomwaffen einsetzen könnte, beantwortete Scholz nicht. Er sagte aber: «Putin steht gewaltig unter Druck.»
Macron: Gleiche Strategie wie Scholz
Nachdem der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki die deutsche Strategie bei den Waffenlieferungen am Donnerstag mit deutlichen Worten kritisiert hatte, bekam Scholz am Freitag Rückhalt vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron. «Wir haben die gleiche Strategie wie Kanzler Scholz: Wir helfen den Ukrainern auf maximale Weise. Aber sind sorgsam darauf bedacht, niemals Kriegspartei zu werden», sagte Macron den Zeitungen der Funke Mediengruppe, der französischen Zeitung «Ouest-France» und dem italienischen Blatt «Corriere della Sera».
Auch Macron warnte vor einem Atomkrieg. Anders als Scholz kündigte er aber nach langer Geheimhaltung der französischen Waffenlieferungen die Bereitstellung von schweren Artilleriegeschützen (Kaliber 155 Millimeter) an. Die Niederlande bestätigten, dass sie Panzerhaubitzen 2000 liefern. Über dieses moderne Geschütz, das bis zu 40 Kilometer weit schießen kann, verfügt auch die Bundeswehr in 120-facher Ausführung. Die niederländischen Streitkräfte haben dagegen nur 54 Haubitzen.
Kuleba spricht von «Heuchelei»
Die Bundeswehr soll nur noch einige leichte Waffen liefern. Scholz nannte Panzerabwehrwaffen, Panzerrichtminen und Artilleriemunition.
Aus der Ukraine kam erneut scharfe Kritik an den Staaten, die keine schweren Waffen bereitstellen. Außenminister Dmytro Kuleba sprach von «Heuchelei». «In manchen Fällen sehen wir, dass Länder etwas tun können, es aber unterlassen, weil sie keine schlechten Beziehungen zu Russland haben wollen», sagte Kuleba im rumänischen Bukarest, ohne konkrete Länder zu nennen. Die Ukraine hatte Deutschland aber in der Vergangenheit schon häufig zu große Nähe zu Russland vorgeworfen.
Scholz bezeichnet Vorwürfe gegen SPD als «Lüge»
Scholz zeigte sich verärgert darüber, dass sich solche Kritik vor allem gegen die SPD richtet. «Seit Adenauers Zeiten gibt es diese verfälschenden und verleumderischen Darstellungen der Europa- und Russlandpolitik der SPD», sagte er. Er befürworte jede Diskussion über künftige Politik. «Aber ich weise zurück, dass die Eintrittskarte für eine Debatte eine Lüge ist.» Der SPD wird vorgeworfen, in den letzten Jahrzehnten zu sehr auf Annäherung zu Russland gesetzt und dabei Risiken außer acht gelassen zu haben.
Scholz verteidigte die Politik der SPD-Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt von 1969 bis 1982. Brandt hatte nach den Jahren der Westbindung der Bundesrepublik Deutschland unter dem CDU-Kanzler Konrad Adenauer eine Entspannungspolitik mit den Staaten des von der Sowjetunion angeführten Warschauer Paktes in die Wege geleitet, die in den Ostverträgen mit der Sowjetunion, der DDR, Polen und der Tschechoslowakei mündete.
Schweigen über Schröder
«Was die SPD auszeichnet, ist die klare Entspannungspolitik durch Brandt und Schmidt», sagte Scholz. Den dritten Kanzler Gerhard Schröder, der enge Beziehungen zum russischen Präsidenten Wladimir Putin aufbaute und den Ausbau der Gaslieferungen aus Russland vorantrieb, erwähnte er nicht.
Merz sieht Mehrheit für Lieferung schwerer Waffen
Unionsfraktionschef Friedrich Merz verteidigte unterdessen die Absicht von CDU/CSU, in der kommenden Woche im Parlament einen Antrag auf Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine einzubringen. Er sei anfangs zurückhaltend gewesen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es ihnen um «taktische Spielchen» gehe, sagte er am Freitagabend beim Ludwig-Erhard-Gipfel in Gmund am Tegernsee. «Aber wenn die Bundesregierung nicht liefert, dann muss das Parlament liefern.»
Merz betonte, es gebe im Bundestag eine Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen, das seien CDU/CSU, FDP und Grüne. «Wir haben eine Minderheit von SPD, AfD und Linkspartei.» Wenn es der Bundesregierung nicht gelinge, die eigene Mehrheit zu mobilisieren, was Aufgabe der Sozialdemokraten wäre, dann müsse man an die Stelle eines Regierungsbeschlusses einen Parlamentsbeschluss setzen. Die Union werde ihren Antrag so formulieren, dass auch Abgeordnete anderer Fraktionen ihm zustimmen könnten. «Aber ich rechne damit, dass der Bundeskanzler von sich aus die Initiative ergreift und dafür sorgt, dass es eine über die Regierung hinaus reichende Mehrheit im Deutschen Bundestag zu diesem Thema gibt», sagte Merz mit Blick auf Regierungschef Olaf Scholz (SPD).