Als sei Führung bestellt worden: In Sindelfingen bekräftigt der Kanzler vor Schülern sein Taurus-Nein. Klingt nach Basta. Und bei Mercedes greift Olaf Scholz selbst zum Lenkrad.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist bei seinem zweiten Besuch in Baden-Württemberg binnen einer Woche herzlich empfangen worden – diesmal mit mehr Applaus als Protest. Bei einem Schulbesuch in Sindelfingen südlich von Stuttgart wurde der SPD-Politiker mit «Olaf, Olaf»-Rufen begrüßt. Ein Passant rief so begeistert, dass der Kanzler ihn sogar zu einem Selfie zu sich bat. Auch von den Schülern des technischen Schulzentrums wurde Scholz auf dem Weg zu einer Podiumsdiskussion regelrecht belagert. Bei Mercedes-Benz in Sindelfingen setzte sich der Regierungschef schließlich selbst hinters Lenkrad.
Die Polizei betonte am Mittag, die Lage in Sindelfingen sei völlig ruhig gewesen. «Wir haben keinerlei Protestaktionen festgestellt», sagte eine Sprecherin. Man sei sehr zufrieden damit, wie der Großeinsatz in der Stadt bislang verlaufen sei. Bei einem Besuch von Scholz am vergangenen Montag in Freiburg hatte die Lage anders ausgesehen: Hunderte Landwirtinnen und Landwirte hatten dort ihrem Unmut über die Agrarpolitik Luft gemacht. Bei seinem Stopp im Nordschwarzwald am Montagnachmittag war Scholz dann wieder mit lautstarken Demonstranten von Landwirten konfrontiert.
In der Schule in Sindelfingen holten den Kanzler dann aber doch wieder die bekannten Streitthemen ein. So fragten die Schüler etwa nach der Unterstützung für die Ukraine und der Führungsrolle des Kanzlers. Der machte deutlich, dass er trotz aller Kritik auch aus der eigenen Koalition an seinem Nein zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine festhalten will. «Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das», sagte er. Den innenpolitischen Streit über Taurus bezeichnete er als «merkwürdige Debatte über einzelne Waffensysteme». Zu dem abgehörten Gespräch von hochrangigen Bundeswehr-Offizieren über Taurus äußerte Scholz sich nicht, wurde in der Runde aber auch nicht danach gefragt.
Der Kanzler bekräftigte seine Argumentation, die er in der vergangenen Woche auf einer dpa-Chefredaktionskonferenz erstmals geäußert und später in einem Bürgergespräch noch ergänzt hatte: «Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht, und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann. Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das völlig ausgeschlossen.» Und mit Blick auf die Frage eines Schülers nach einem Machtwort des Kanzlers fügte er hinzu: «Diese Aussage habe ich sehr klargemacht. Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das.»
Deutlich wurde Scholz auch bei der Frage eines Schülers nach der drohenden Auslieferung von Julian Assange an die USA. «Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendigen Schutz gewähren, weil er ja doch mit Verfolgung in den USA rechnen muss, angesichts der Tatsache, dass er amerikanische Staatsgeheimnisse verraten hat», sagte Scholz.
Er gehe davon aus, dass die Chancen dafür gewachsen seien. «Denn die Vertreter der Vereinigten Staaten konnten den britischen Richtern in der letzten Verhandlung nicht zusichern, dass sich die mögliche Bestrafung in einem aus der Sicht Großbritanniens vertretbaren Rahmen bewegt», sagte Scholz.
Eine Absage erteilte Scholz Forderungen zu einem Wiedereinstieg Deutschlands in die Kernenergie. «Wenn sich jetzt jemand entscheidet, ein Kernkraftwerk zu bauen, ist das nach den gegenwärtigen Bauzeiten in 15 bis 20 Jahren fertig. Da müssen wir alle unsere Probleme längst gelöst haben», sagte Scholz. Der Strom, der aus solchen Kraftwerken komme, koste ein Vielfaches von dem, was Strom aus Windkraft, Sonnenenergie oder anderen Produktionsquellen koste, so Scholz. Zudem seien die Uranvorräte endlich. «Wenn man in zwanzig Jahren rückwärts guckt, wer die billigere und effizientere Entscheidung zur Stromproduktion getroffen hat, dann wird das unser Land sein», prognostizierte der Kanzler.
Bei einem Besuch des nahegelegenen Werks des Autobauers Mercedes-Benz hob Scholz am Nachmittag die Bedeutung der Automobilindustrie für Deutschlands Wirtschaft hervor. «Deutschland ist ein Land, in dem die Wirtschaft sehr daran hängt, dass wir erfolgreich sind, beim Bauen von Automobilen», sagte er. Mercedes-Benz sei mit der Geschichte des Landes und seiner Fähigkeit, Fahrzeuge zu produzieren und weltweit zu exportieren, unmittelbar verbunden.
Auf Einladung von Betriebsratschef Ergun Lümali nahm Scholz zunächst an einer Betriebsversammlung teil, ehe es auf eine Teststrecke ging, wo der Bundeskanzler sich hinter das Lenkrad setzte. Zum Schluss stand noch eine Werksführung auf dem Programm, bei der sich Scholz auch mit Beschäftigten des Autobauers austauschte.
In Sindelfingen werden nach Angaben von Mercedes-Benz Fahrzeuge der Ober- und Luxusklasse – wie etwa die S-Klasse, die Mercedes-Maybach S-Klasse oder der EQS – gefertigt. Insgesamt arbeiteten am Standort 35.000 Beschäftigte, davon 21.500 in der Produktion. Im vergangenen Jahr wurden in Sindelfingen rund 220.000 Autos produziert, wie Mercedes-Benz mitteilte.
Am Nachmittag besuchte Scholz dann noch das Vakuumtechnik-Unternehmen Schmalz im Nordschwarzwald. Dort besichtigte er die Produktion. Im Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hielt sich der Kanzler offen, den Zugang zum Kurzarbeitergeld wieder zu erleichtern, sollte sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland verschlechtern. «Aktuell würde, glaube ich, auch von den Arbeitgebern und Gewerkschaften keiner sagen, wir sollen die Regeln ändern, weil das ja Geld der Beitragszahler ist, das da als Erstes ausgegeben wird», sagte er. «Aber wenn die Krise schwieriger wird, machen wir das».
Der Zugang zum Kurzarbeitergeld war während der Corona-Pandemie und während der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erleichtert worden. Der Anteil der Beschäftigten, der von Arbeitsausfall betroffen sein muss, bevor Kurzarbeit greifen kann, war damals gesenkt worden – von mindestens einem Drittel auf mindestens zehn Prozent. Die Maßnahme ist Mitte 2023 ausgelaufen.
In Glatten (Landkreis Freudenstadt) war Scholz auch wieder mit lautstarken Demonstranten von Landwirten konfrontiert. Dem Landratsamt zufolge war mindestens eine Protestaktion angemeldet. Die Polizei sprach am Nachmittag von rund 100 Teilnehmern sowie ungefähr 30 Traktoren und 30 anderen Fahrzeugen.
Die Aktion sei weitgehend ordnungsgemäß und friedlich abgelaufen, teilte die Polizei mit. Teilweise hätten Teilnehmer aber versucht, näher an den Veranstaltungsort zu kommen. Vereinzelt sei auch Pyrotechnik gezündet worden. Auf der Anfahrt zu der Versammlung habe sich ein Traktor überschlagen, hieß es weiter. Der 18 Jahre alte Fahrer erlitt dabei leichte Verletzungen, sein 16-jähriger Beifahrer wurde schwer verletzt.