Nach Schätzungen besitzt Baden-Württemberg die größten zusammenhängenden Streuobstbestände Europas. Aber die Zahl der Bäume geht immer weiter zurück. Das Land will dagegenhalten.
Die Pflege von Streuobstwiesen ist überaus aufwendig, das Klima nagt am Bestand – und der Bagger auf dem Baugebiet nebenan ist der größte Feind. Deshalb will das Land die Pflege und den Verkauf von Obst von den Wiesen mit einem neuen Programm und weiteren Mittel aus dem Haushalt ankurbeln. «Streuobstwiesen sind ein prägender Teil der Kulturlandschaft Baden-Württembergs», sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) heute. Vielen Menschen sei aber gar nicht bewusst, welchen ökologischen Nutzen die Wiesen hätten. Ziel der «Streuobstkonzeption 2030» sei es, den Rückgang der Streuobstbestände aufzuhalten.
Was das Land plant
Um den Marktzugang für regionale Streuobstprodukte zu forcieren, wurde Streuobst bereits in das Qualitätszeichen (QZ) Baden-Württemberg aufgenommen. Außerdem soll die Baumschnittförderung neu berechnet und vereinfacht werden, um zur Pflege der Wiesen zu motivieren. «Vom Schreibtisch aus wird kein Baum geschnitten und keine Wiese gemäht», sagte Agrarminister Peter Hauk (CDU). Ziel ist es, Menschen zu unterstützen, die sich in der Pflege der Bäume sowie Wiesen engagieren und neue Menschen dafür zu gewinnen.
Ebenfalls Teil des neuen Konzepts: Um Nachwuchs für die Wiesen zu gewinnen, sollen Wissen und Praxiserfahrung aufgebaut und zu Projekten und Forschungen aufgerufen werden, unter anderem mit Blick auf die Ausbreitung von Misteln oder den Klimawandel. Unklar ist bislang allerdings nach Angaben Hauks, wie viel Geld in das Konzept einfließen wird. Davon wird auch die Höhe der Förderung des Baumschnitts abhängen. Bislang wurden laut Hauk 5 Euro pro Baum gezahlt, dieser Betrag soll sich verdoppeln oder gar verdreifachen. Angemeldet für den Haushalt 2025 sind nach Angaben des Ministers 13 Millionen Euro, für das darauffolgende Jahr 14 Millionen Euro.
Was die Naturschützer sagen
Hier setzen die Naturschutzverbände Nabu, BUND und LNV an. «Seine Ziele erreicht das Land nur, wenn im nächsten Doppelhaushalt 2025/2026 die dringend benötigten finanziellen Mittel eingestellt werden», sagte Ingrid Eberhardt-Schad (NABU). Sie schätzt die benötigten Mittel für den langfristigen Erhalt auf etwa zehn Millionen Euro pro Jahr. Der Nabu schätzt, dass in den kommenden zehn Jahren wegen des massiven Abgangs von Bäumen Ersatzpflanzungen auf mindestens 25 bis 30 Prozent des aktuellen Bestands nötig sind. «Das sind rund zwei Millionen neu gepflanzte und gut gepflegte Hochstämme bis 2030», sagte der BUND-Landesgeschäftsführer Martin Bachhofer.
Nach den jüngsten Erhebungen sind im Zeitraum zwischen 2009 und 2019 rund 17 Prozent der Streuobstbestände im Land verloren gegangen. Gab es vor fünf Jahren 7,1 Millionen Bäume, so waren es im Jahr 2009 etwa 8,3 Millionen und 1965 sogar 18 Millionen.
Der Streuobstanbau ist seit März 2021 von der deutschen Unesco-Kommission als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Als Hotspot der Biodiversität stehen die Streuobstwiesen im Land seit 2020 unter einem Erhaltungsgebot. Ab einer Größe von 1500 Quadratmetern darf ein Streuobstbestand mit einer Genehmigung umgewandelt werden. Jedoch nur, wenn die Gründe für die Umwandlung so wichtig sind, dass der Erhalt dahinter zurückstehen muss. In diesen Fällen muss ein Ausgleich erfolgen – vorrangig durch die Anlage eines neuen Streuobstbestandes.
Was den Streuobstwiesen zusetzt
Rund 40 Prozent aller Streuobstbestände Deutschlands befinden sich im Südwesten. Warum geht der Bestand zurück? Das Klima schadet den Wiesen natürlich. Es gibt aber auch immer weniger Bäume, weil viel gerodet wird für neue Baugebiete. Streuobstgürtel um Gemeinden und Städte fallen laut Nabu in erheblichem Umfang neuen Wohn- und Gewerbegebieten, dem Straßenbau oder der Flurbereinigung zum Opfer. Außerdem geht die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe zurück, die das auf Streuobstwiesen gewonnene Futter nutzen.
Knapp die Hälfte der Bäume sind Apfelbäume, etwa 25 Prozent sind Kirschbäume. Die Streuobstwiesen bieten Lebensraum für rund 5000 Tier- und Pflanzenarten sowie etwa 3000 verschiedene Obstsorten.