Schüsse aus MP Getöteter 16-Jähriger in Dortmund – Ermittlungen laufen

Kerzen erinnern an den Tod eines 16-jährigen Jugendlichen in Dortmund.
Kerzen erinnern an den Tod eines 16-jährigen Jugendlichen in Dortmund. (Bild: Bernd Thissen/dpa)

WOCHENBLATT
WOCHENBLATT

Ein 16-Jähriger wird bei einem Polizeieinsatz in Dortmund von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole getroffen und stirbt. Wie laufen in einem solchen Fall die Ermittlungen?

Dortmund (dpa) – Steht bei Polizisten eine Straftat im Raum, werden die Ermittlungen nicht von den Kollegen in der eigenen Behörde, sondern «aus Neutralitätsgründen» in einer anderen Dienststelle geführt.

Nach den tödlichen Maschinenpistolen-Schüssen eines Beamten auf einen 16-Jährigen in Dortmund gibt es in Nordrhein-Westfalen aber eine bemerkenswerte Situation: Gleichzeitig ermitteln zwei Polizeibehörden in Fällen, in denen die jeweils andere Behörde involviert war – also quasi «gegeneinander». Das NRW-Innenministerium hält eine neutrale Ermittlungsführung dennoch für sichergestellt.

Wie kann man als Polizeibehörde neutral ermitteln?

Im Fall des am Montag in Dortmund bei einem Polizeieinsatz getöteten, mit einem Messer bewaffneten Jugendlichen ist die Polizei Recklinghausen zuständig. Der 29-Jährige, der sechsmal mit der Maschinenpistole auf den Jugendlichen schoss, wird als Beschuldigter geführt. Die Dortmunder Polizei ermittelt wiederum wegen eines Falles in der Zuständigkeit der Recklinghäuser: Dort war am Sonntag ein 39-Jähriger gestorben, nachdem er in einer Wohnung randaliert und massiv Widerstand geleistet haben soll und von der Polizei fixiert wurde. Es gibt aber auch Anhaltspunkte, dass er unter Drogen stand.

Das NRW-Innenministerium erklärte auf Nachfrage, Straftaten gegen im Landesdienst Beschäftigte würden in bestimmten Polizeipräsidien, den Kriminalhauptstellen, verfolgt. Arbeitet die beschuldigte Person aber selbst dort, ist «aus Neutralitätsgründen» eine andere Kriminalhauptstelle zuständig. Hier gibt es feste Kooperationen: Recklinghausen ist immer für Dortmund zuständig und umgekehrt, das gleiche gilt für Köln und Bonn oder Duisburg und Düsseldorf.

Auf die Nachfrage, ob die Neutralität bei einer andauernden gegenseitigen Zuständigkeit nicht gefährdet sei, betonte ein Sprecher des Innenministeriums, die Ermittlungsverfahren würden ausschließlich unter Sachleitung der zuständigen und «zur Objektivität, Neutralität und Unparteilichkeit verpflichteten Staatsanwaltschaft» geführt. Die Regelung garantiere zudem, dass Polizeibehörden in keinem Fall gegen Beschäftigte der eigenen Behörde ermittelten. «In der Gesamtschau ist eine neutrale Ermittlungsführung insoweit in allen Fällen sichergestellt», hieß es.

Der Dortmunder Fall ist noch lange nicht aufgeklärt

Im Fall des getöteten 16-Jährigen sind noch viele Fragen ungeklärt: Wie kann es sein, dass eine Drohung oder ein Angriff mit einem Messer mit mehreren Schüssen aus einer Maschinenpistole erwidert wird? Unabhängig von dem Dortmunder Fall sagte Frank Schniedermeier aus dem Vorstand der Gewerkschaft der Polizei NRW, Messerangriffe gehörten zu den gefährlichsten Angriffen auf Polizisten: «Wenn Arterien getroffen werden, verblutet man innerhalb weniger Minuten.» Laut LKA gab es in NRW 2020 mehr als 50 Messerangriffe auf Polizisten.

Gefahrensituationen entwickelten sich oft innerhalb von Sekunden, sagte Schniedermeier. Rückzug und den Rücken zudrehen ist demnach meist nicht möglich – schließlich hätte man dann den Straftäter nicht mehr unter Kontrolle. Messerangriffe müsse man auf Distanz abwehren. Wenn ein Täter erst einmal neben einem stehe, habe man keine Chance mehr, sagte der Polizeigewerkschafter. Bei einem Angriff habe man nur Sekundenbruchteile für eine Entscheidung. Bleibt noch Zeit, soll ein Warnschuss abgegeben werden – ansonsten müsse man so schießen, dass das Gegenüber «angriffsunfähig» sei, erklärte Schniedermeier.

NRW-Polizei verwendet Maschinenpistolen vom Typ MP5

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen verwendet Maschinenpistolen vom Typ MP5 von Heckler und Koch. Diese gehören in allen Streifenwagen zur Ausrüstung. Schniedermeier sagte, es gebe regelmäßig Schießtrainings mit allen bei der Polizei eingesetzten Waffen.

Laut einer Statistik des auf polizeilichen Schusswaffengebrauch spezialisierten Professors an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit, Clemens Lorei, setzten Polizisten in Deutschland 2020 insgesamt 159 Mal die Waffe gegen Personen ein. 49 davon waren Warnschüsse. In dem Jahr starben demnach 15 Menschen an den Folgen von Polizeischüssen, 41 wurden verletzt. In NRW starben laut Innenministerium 2021 drei, 2020 vier und 2019 fünf Menschen.

Am Dienstagabend fand in Dortmund eine Demonstration gegen Polizeigewalt statt. Sie sei emotional, aber friedlich verlaufen, teilte die Polizei mit. Etwa 150 bis 200 vor allem junge Menschen hätten teilgenommen.