Baden-Württemberg wendet Hotspot-Regeln nicht an

Baden-Württemberg wendet Hotspot-Regeln nicht an
Appelliert an die Menschen im Land, freiwillig in Innenräumen weiter Maske zu tragen: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. (Bild: Marijan Murat/dpa)

WOCHENBLATT
WOCHENBLATT

Ab Samstag fallen im Südwesten nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen. Baden-Württemberg will die im Bundesgesetz noch vorgesehenen Hotspot-Regeln nicht anwenden. Derweil reißt die Kritik an der Bundesregierung nicht ab.

Stuttgart/Berlin (dpa) – In Baden-Württemberg laufen an diesem Samstag nach über zwei Jahren Pandemie nahezu alle Corona-Schutzmaßnahmen aus.

Die Koalition aus Grünen und CDU verständigte sich darauf, die im Bundesgesetz noch vorgesehenen Hotspot-Regeln nicht anzuwenden. Hintergrund ist, dass Grün-Schwarz bezweifelt, dass die Regeln vor Gericht standhalten. Das bedeutet, dass von Sonntag an in Innenräumen keine Masken mehr getragen werden müssen und die Zugangsregeln wegfallen.

Weiter Kritik an Hotspot-Regelung

Unterdessen reißt der Streit um die Hotspot-Regelung für weitergehende Corona-Auflagen in Gebieten mit kritischer Lage nicht ab.

Die Union unterstrich ihre scharfe Kritik an der neuen bundesweiten Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen, aber auch die großen Kommunalverbände äußerten Bedenken. Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP mahnte die Länder derweil, Hotspots nur dort zu erklären, wo es eine konkrete Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitswesens gibt.

Den Ländern sind ab Sonntag nur noch wenige allgemeine Schutzregeln etwa zu Masken und Tests in Einrichtungen wie Kliniken und Pflegeheimen erlaubt. Sie können aber für regionale Hotspots weitergehende Beschränkungen etwa mit mehr Maskenpflichten und Zugangsregeln verhängen, wenn das Landesparlament dort eine kritische Lage feststellt. Mehrere Länder beklagen, dass dafür rechtssichere Kriterien fehlten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte am Montag klargemacht, dass die neue Rechtsgrundlage nicht nochmals geändert werde.

«Lauterbach und Buschmann krachend gescheitert»

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, sagte der «Augsburger Allgemeinen»: «Die zentralen Begriffe der Hotspot-Regelung hätten im Gesetz definiert werden müssen, und zwar mit klaren Schwellenwerten und transparenten Kriterien.» Scharfe
Eingriffe dürfe der Staat nicht an «vage Worte» knüpfen – «erst recht nicht flächendeckend für ein ganzes Bundesland».

Die Gesundheitsministerkonferenz am Montag sei der letzte verzweifelte Versuch der Länder gewesen, von der Bundesregierung eine
verlässliche Aussage zur Hotspot-Regelung zu erhalten. «Daran sind Gesundheitsminister Lauterbach und Justizminister Buschmann krachend gescheitert», so der CDU-Politiker.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, sieht Probleme. «Bedauerlicherweise hat der Gesetzgeber keine Kriterien festgelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Hotspot-Regelung in Betracht kommt», sagte er der «Rheinischen Post». «Schon unter zeitlichen Aspekten dürfte es fraglich sein, ob die Landesparlamente – zum Beispiel in Ferienzeiten – jeweils einzelne Bestimmungen für einzelne Regionen erlassen könnten», kritisierte Landsberg. «Deswegen erwarten wir, dass sich die Länder auf eine möglichst einheitliche Regelung verständigen, so dass auch ein gesamtes Landesgebiet oder große Teile vorsorglich zum Hotspot erklärt werden können.»

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags, Helmut Dedy, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), das neue Infektionsschutzgesetz beschneide den Instrumentenkasten für Länder und Städte. «Wir erwarten, dass das Gesetz bald wieder korrigiert werden muss. Das war kein Glanzstück der Ampel.»

Keine Schwellenwerte beziffert

Schwellenwerte, ab wann eine Region ein Hotspot ist, sind im Gesetz nicht beziffert. Generelle Voraussetzung ist, dass eine Überlastung der Klinikkapazitäten droht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte vier Kriterien genannt, an denen man dies bemessen könne: Wenn Kliniken die Notfallversorgung nicht mehr leisten könnten – wegen zu vieler Corona-Patienten oder Personalausfälle, wenn sie planbare Eingriffe absagen oder Patienten in andere Häuser verlegen müssten – sowie wenn Vorgaben zu einer Mindestpräsenz von Pflegekräften nicht eingehalten werden könnten. CDU-Politiker Sorge kritisierte, auch diese seien «viel zu unpräzise».

Nach der Konferenz der Länder-Gesundheitsminister sagte Bayerns Ressortchef Klaus Holetschek: «In der Sache waren sich alle einig: Die Maskenpflicht in Innenräumen wäre zum aktuellen Zeitpunkt eigentlich noch sinnvoll – und zwar bundesweit.» Dass diese trotzdem nicht verlängert werden könne, sei «doch an Absurdität nicht zu überbieten». Die Bundesregierung argumentiert, dass etwa eine bundesweite Maskenpflicht nicht möglich sei, da keine bundesweite Überlastung des Gesundheitswesens drohe.

Lauterbach: «Wir verlieren Zeit»

Lauterbach hatte die Länder wiederholt aufgefordert, weitergehende Alltagsauflagen für regionale Hotspots mit kritischer Lage zu erlassen. «Wir verlieren Zeit. Aus meiner Sicht muss jetzt gehandelt werden», sagte der SPD-Politiker.

Die Länder müssen nun konkret entscheiden. Mehrere Kabinette tagen an diesem Dienstag. Mecklenburg-Vorpommern hat sich bereits landesweit bis Ende April zum Hotspot erklärt, der Stadtstaat Hamburg plant es. Andere Länder sehen derzeit keine rechtliche Handhabe für eine Hotspot-Regelung.

Buschmann sagte der «Bild»-Zeitung: «Wo die Hotspot-Regeln gelten sollen, müssen auch durchweg die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen.» Es gehe dabei insbesondere um «eine konkrete Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitswesens». Gebe es keine Gefahr für die Funktionstüchtigkeit des Gesundheitswesens, «werden Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten scheitern», warnte Buschmann.